15. November 1994 | Süddeutsche Zeitung | Filmkritiken, Rezension | Voll normaaal

Kleckern statt klotzen

Tom Gerhardt ist VOLL NORMAAAL

Köln-Kalk, das ist der Dschungel deutscher Leidenschaften, eine Welt der Dackelzüchtervereine und Bodybuildingstudios, der aufgetakelten Wasserstoffblondinen und aufgemotzten Auspuffanlagen. Köln-Kalk, das ist Deutschland nebenan, die Hölle der Normalität.

Tom Gerhardt hat es nach einem Auftritt bei Jürgen von der Lippe mit den beiden Bühnenprogrammen ‚Voll die Disco‘ und ‚Dackel mit Sekt‘ zu einigem Ruhm gebracht. Er hat dem Volk, wie man so sagt, aufs Maul geschaut und Figuren geschaffen, die dem häßlichen Deutschen aus dem Gesicht geschnitten sind. Sein Sprechen bewegt sich in jenen Gegenden, wo die Sprache längt den Geist aufgeben hat. Wo Worte versagen, da fängt er überhaupt erst an, sich zu artikulieren. Die Welt ist ‚Bo, ej!‘ und ‚Volle Möhre!‘ – sonst ist sie nichts.

Wie Polt, Krüger, Gottschalk, Kerkeling, Otto oder Schneider hat er nun auch den Weg ins Kino gefunden, und das ist auch in Ordnung so. Wenn sonst nichts geht – das geht immer. Und wenn es daran etwas zu meckern gibt, dann nur, daß deutscher Alltag bei uns im Kino fast nur noch als Witz vorstellbar ist. ‚Die Rache der Blöden‘ heißt es auf dem Plakat.

Bernd Eichinger hat produziert, Ralf Huettner inszeniert, und also haben sie sich bemüht, Kino zu machen. Dem Nummerncharakter konnten sie zwar dennoch nicht entgehen, aber ihr Film versucht auch gar nicht, sich über seinen Helden zu erheben. Mit Sympathie folgt er dem Prolo mit der Pudelmütze durch die Niederungen des Alltags, wobei Tom Gerhardt Deutschand weniger ganz unten, sondern eher von hinten zeigt.

Es beginnt mit einem Tritt in Hundescheiße, und fortan wird mit einer Konsequenz gerülpst und gekotzt, daß es eine wahre Freude ist. Mehr als irgendein anderer Komiker setzt sein Humor auf anale Fixierung. In kaum einer Szene kann der Film an sich halten; es läuft und tropft und schießt aus allen Öffnungen. Der Held hat dauernd Ölschmiere oder Brotaufstrich an den Fingern, und wenn die wunderbare Katja Flint ganz in weiß die Szene betritt, dann ist das die reinste Folter. Es wird in diesem Film gekleckert, statt geklotzt. Und das taugt gut als Motto fürs deutsche Kino.

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