20. November 2003 | Frankfurter Allgemeine Zeitung | Filmkritiken, Rezension | Tatsächlich…Liebe

Du erkennst mich nicht wieder

Komödie der Doppelungen: TATSÄCHLICH...LIEBE, ein Film von Richard Curtis

Die schlechte Nachricht zuerst: Der Anfang ist die reine Idiotie. Da hört man quasi als Vorspruch, daß in keinem der Gespräche, die aus den Unglücksflugzeugen des 11. September geführt wurden, von Haß die Rede gewesen sei, sondern nur von Liebe. Als müsse man einen Film über die Liebe rechtfertigen und als bekäme die Sache durch diesen völlig unsinnigen Verweis irgendwie mehr Gewicht. Der Film ist also in der Wahl seiner Mittel absolut schamlos. Er führt sich auf wie ein Werbefilm für etwas, das keine Werbung braucht, die Liebe nämlich. Und als sei das noch nicht genug, verknüpft er seine Gefühle auch noch mit Weihnachten. Die gute Nachricht wäre demnach, daß man sich TATSÄCHLICH…LIEBE kaum entziehen kann. Und wer zur Sentimentalität neigt, ist in diesem Heuler hoffnungslos verloren.

Richard Curtis ist der Drehbuchautor von VIER HOCHZEITEN UND EIN TODESFALL und NOTTING HILL, und für seine erste Regiearbeit hat er noch mal den Einsatz erhöht: „Neun Liebesgeschichten und ein Seitensprung“ wäre ein durchaus möglicher Titel. Das Thema wird in allen Varianten durchdekliniert, mal mehr, mal weniger originell, erste Liebe und stummes Sehnen, betrogene Ehemänner und verletzte Gattinnen, Bürosex und Geschwisterliebe, aber letztlich schlagen alle Geschichten in die gleiche Kerbe: All das Neigen von Herzen zu Herzen, ach wie so eigen schaffet das Schmerzen.

In der kuriosesten Episode spielt Hugh Grant den englischen Premierminister, der sich in seine etwas ordinäre Teedame verguckt, die von dem Serien- und Popstar Martine McCutcheon gespielt wird. Grant zu Tony Blairs Wiedergänger zu machen ist natürlich ein bizarrer Besetzungscoup, in dessen Doppelungen und Differenzen der ganze Witz des Films liegt. Wenn er dem amerikanischen Präsidenten (Billy Bob Thornton) dann plötzlich weltpolitisch Paroli bietet, weil dieser nicht die Hände von seiner Teedame lassen konnte, dann lebt seine Rede nicht nur von der Zweideutigkeit, was den Film betrifft, sondern auch von ihrer Doppelbödigkeit, was die Wirklichkeit angeht. Aber wenn Hollywood seine Geschichten ums Weiße Haus stricken kann, scheint Curtis zu denken, dann können auch die Engländer ihren Premier fiktionalisieren und ihn durch die Downing Street tanzen lassen.

Das Ganze ist kein Reigen, weil manche Episoden an den Rändern zusammenhängen und andere eher zusammenhanglos dazwischengestreut sind, aber spätestens unterm Weihnachtsbaum findet jeder Topf seinen Deckel. Der Film ist wie eine einzige große Weihnachtskarte, welche die britische Filmindustrie mit den besten Grüßen nach Hollywood verschickt. Daß selbst für dortige Verhältnisse ziemlich dick aufgetragen wird, haben auch die amerikanischen Kritiker gemerkt, die den Film überwiegend als „sirupy“ geschmäht haben.

Das ändert aber alles nichts daran, daß der Film eben doch verfängt, weil er es versteht, seine Verwicklungen mit sehr knappen Strichen zu zeichnen und die Lücken mit wunderbaren Schauspielern zu füllen. Alan Rickman betrügt seine herzzerreißende Ehefrau Emma Thompson mit Heike Makatsch. Ihr Liebespfand wird sagenhaft umständlich eingepackt von Rowan Atkinson. Liam Neeson muß nach dem Tod seiner Frau den Stiefsohn in Liebesdingen beraten, ehe er Claudia Schiffer begegnen darf. Colin Firth wird von seiner Frau verlassen und findet wortlos Trost bei seiner portugiesischen Haushaltshilfe (Lucia Moniz). Die „Piratenbraut“ Keira Knightley wird überrascht von der Zuneigung des besten Freundes (Andrew Lincoln) ihres Mannes (Chiwetel Eijofor). Und Bill Nighy spielt einen abgetakelten Rocker, der eher widerwillig einen Weihnachtshit landet. Der Song ist nicht mal besonders gut, aber am Ende geht er einem doch nicht mehr aus dem Kopf – und im Grunde ist es mit dem ganzen Film so.

Es gibt eine wunderbare Szene, in der Curtis auch in der Inszenierung etwas gelingt, was sich sonst eher dem Drehbuch verdankt. Da sieht die Braut endlich das Hochzeitsvideo, das der beste Freund ihres Mannes gedreht hat, dessen distanzierte Art ihr schon zu schaffen gemacht hat. Und ganz allmählich stellt sie fest, daß von der Hochzeit nicht viel zu sehen ist, weil das Augenmerk des Freundes immer nur ihr galt. Ihr langsames Begreifen und die Inszenierung des liebendes Blicks bringen den Film auf den Punkt, dessen Augenmerk auch immer nur dem einen gilt. Das ist zwar schamlos, aber eben doch ergreifend.

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