12. August 1994 | Die Zeit | Filmkritiken, Rezension | Snake Eyes

SNAKE EYES von Abel Ferrara

Schwarze Spiegel

Sie trinken, ficken, koksen. Sie wollen sich verletzen, verzehren und verlieren. Es wird gebrüllt, geschlagen und getötet. Bei Abel Ferrara sind immer alle Ventile geöffnet und sämtliche Schleusen gesenkt. Gefühle werden literweise verfeuert, und sie entfachen nichts als Gewalt und Schmerz. Dabei hoffen alle auf Gnade und Glück.

Wenn der Film anfängt, sitzt die Familie bei Tisch. Die Frau hat Pasta gemacht und zweifelt an ihren Künsten. Der Mann beruhigt sie und macht Scherze. Der Sohn schweigt und ißt. Das ist das Leben. Ein Bild nur. Nicht viel, aber genug, um sich wie eine Folie über die folgenden Bilder zu legen.

Der Mann ist Regisseur, und die Geschichte, die er in seinem neuen Film erzählt, spielt Lichtjahre entfernt von der Welt, die er bewohnt. Da geht es um ein Paar (James Russo und Madonna), das das Leben gemeinsam bis zur Neige ausgekostet hat, jetzt aber vor dem Bruch steht. Sie hat sich von den Exzessen abund der Religion zugewandt, er beschimpft sie als Heuchlerin. Sie hat einen Weg aus der Hölle hinaus gefunden, er kämpft noch um Gnade und Erlösung. Mit ihr, mit sich, mit dem Teufel.

Der Film im Film soll MOTHER OF MIRRORS heißen, und deshalb ist es kein Zufall, daß sich die Spiegelungen dieser Geschichte in alle Richtungen fortsetzen. Die beiden Darsteller haben auch im wirklichen Leben eine Affäre, in der ähnliche Kräfte wüten wie vor der Kamera. Außerdem geht der Regisseur mit seiner Darstellerin ins Bett, als könnte er von ihr die Antworten erhalten, die sein Held von ihrer Figur im Film nicht bekommt. Daß diese Figur in ihrer unbeugsamen Verschlossenheit wiederum der Frau des Regisseurs ähnelt, ist auch noch nicht das Ende dieses Spiegelkabinetts. Der Umstand, daß Harvey Keitel, der hier den Regisseur spielt, in Ferraras letztem Film der BAD LIEUTENANT war, sorgt genauso für Überlagerungen und Verdoppelungen wie die Tatsache, daß die Frau des Regisseurs hier von Ferraras Frau Nancy gespielt wird.

SNAKE EYES, das bezieht sich auf die Filmkamera, die wie eine Schlange in zwei Richtungen gleichzeitig blicken kann. Dabei gibt es immer zwei Bewegungen: Verstrickung und Entzauberung. In beiden Fällen gibt der Blick hinter die Kulissen des Filmemachens nur vermeintlich Wahrheiten preis. In Wirklichkeit wird in keinem Genre so nachhaltig die Kraft der Fiktionen beschworen wie hier. Denn der Regisseur ist meistens ein Marionettenspieler, der sich in den Fäden seiner Puppen verheddert. Am Ende wird nicht nur sein Beruf, sondern auch sein Leben in Frage gestellt.

Was SNAKE EYES vor anderen Filmen seiner Art auszeichnet, ist die Art und Weise, wie Ferrara die Extreme denkt und wie bei ihm alles immer die schlimmstmögliche Wendung nimmt. Jeder Weg führt an sein bitteres Ende, und bei all der Kraft und Faszination, die Ferraras Helden mit ihrer Fallsucht ausüben, findet er jedesmal Bilder, die ihren Autismus und ihre Selbstüberschätzung gnadenlos bloßstellen. In BAD LIEUTENANT war das die Szene, in der Harvey Keitel nach einem seiner Drogenexzesse frühmorgens besinnungslos auf seinem Wohnzimmersofa liegt, während die Familie bereits ihren Alltag aufgenommen hat. So faszinierend seine selbstzerstörerische Unbedingtheit vorher noch gewirkt haben mag, so ärmlich und banal stellt sie sich dar, wenn er da auf dem Sofa liegt. Ein Heuchler, ein Verlierer, eine arme Sau.

Auch diesmal taucht Keitel wieder blindlings in die Welt der Schmerzen und der Finsternis hinab, um dann von seiner Frau eine Abfuhr zu erhalten, als er ihr seine Seitensprünge gesteht. Die Tragödie eines lächerlichen Mannes wird da sichtbar, eines Mannes, der glaubt, sein Seelenheil sei im Ernst wichtiger als seine Familie. Wenn er das so toll fände, bescheidet ihm seine Frau, dann solle er das doch gleich seinem kleinen Sohn sagen. Und wieder steht er da, vergebens auf Erlösung hoffend, allein mit seinen Fragen, Zweifeln und Wehwehchen.

Dann steigt der Regisseur ins Flugzeug, wo man ihn minutenlang mit dunkler Brille am Fenster sitzen sieht. Das Echo der Eheszene verklingt im Raum, die Läuterung bleibt aus. Die Stewardeß, die den Mann anspricht, wird bei ihm im Bett landen. Und wieder kreist die Kamera durch den Dunst von Hollywood und lauscht dem Echo nach. Die Welt ist ein Labyrinth bei Ferrara, und der einzige Ausweg ist der Tod.

Schreibe einen Kommentar

Ihre E-Mailadresse wird nicht öffentlich angezeigt. Pflichtfelder sind mit * markiert. Mit Absenden Ihres Kommentars werden Ihre Einträge in unserer Datenbank gespeichert. Weitere Informationen finden Sie in unserer » Datenschutzerklärung


4 × eins =