Wenn der Liebe die Zukunft genommen wird
Sex, Drugs & Rock 'n' Roll: Michael Winterbottoms pornographische Etüde NINE SONGS
Die meisten Regisseure, die etwas auf sich halten, geben gerne zu, daß es sie reizen würde, einen Porno zu drehen. Weil sie natürlich wissen, daß dort, wo Liebesgeschichten im Kino aufhören, im wirklichen Leben das beginnt, was zur Liebe dazugehört. Und daß man schon deshalb den Sex im Kino vor der alleinigen Vereinnahmung durch die Pornoindustrie retten muß. Mike Nichols etwa hat lange mit einem Projekt namens BLUE MOVIE geliebäugelt, aber was von seinem expliziten Vorhaben übrigblieb, ist ein Film wie HAUTNAH, in dem die Dinge zwar beim Namen genannt, aber nicht gezeigt werden. Um zu begreifen, was das Kino noch erzählen könnte, wenn es sich häufiger trauen würde, muß man gar nicht nur einschlägige Werke wie DER LETZTE TANGO oder REICH DER SINNE bemühen – es genügt schon, wenn man sich vor Augen hält, wieviel das Spiel der Körper in WENN DIE GONDELN TRAUER TRAGEN über das Verhältnis des Ehepaares Julie Christie und Donald Sutherland erzählte und wie aufregend natürlich die atemlose Schönheit der Begierde von Nicolas Roeg inszeniert war.
In den siebziger Jahren schien das Kino deutlich mehr bei sich, was die Darstellung von Sexualität angeht, so daß man die Jahrzehnte, die folgten, unweigerlich als gewaltigen Rückschritt begreifen mußte. Und zwar geradezu umgekehrt proportional zu den Entwicklungen in der Pornoindustrie, in der alle sexuellen Abarten erst auf Video und dann im Internet auf ganz andere Weise verfügbar wurden. Erst in den letzten Jahren hat sich das Kino Terrain zurückerobert, vor allem in Frankreich, wo Catherine Breillats ROMANCE, Bertrand Bonellos PORNOGRAPHE und Patrice Chéreau mit INTIMACY visuelle Entsprechungen zu jener Freizügigkeit zu finden suchten, die in der Literatur etwa Michel Houellebecq pflegt.
Tatsächlich ist NINE SONGS das, was von Michael Winterbottoms Plan, Houellebecqs „Plattform“ zu verfilmen, übriggeblieben ist. Weil der Franzose aber selbst daran arbeitet, schrieb Winterbottom seine eigene Geschichte: Der Klimaforscher Matt erinnert sich auf dem Flug zu einer Expedition in die Antarktis an seine Beziehung zu der Amerikanerin Lisa, die einen Sommer währte – oder wie es der Film zeigt: neun Songs lang. Neun Konzertbesuche bei angesagten Bands wie Franz Ferdinand, Primal Scream, Black Rebel Motorcycle Club, The Von Bondies, The Dandy Warhols, Super Furry Animals, Elbow – und außer der Reihe ein Geburtstagskonzert von Michael Nyman. Und dazwischen Sex, nichts als Sex, auf dem Küchentisch, im Bett, in der Badewanne, in jeder Spielart, zärtlich, heftig, mit Drogen und anderen Hilfsmitteln, und nichts wird ausgespart, auch nicht der Samenerguß. Der Film ist also einfach, geradezu schematisch in der Art, wie sich Sex und Songs abwechseln, und in dem Maße, wie er zeigt, was andere aussparen, verzichtet er auf das, was die Liebe darüber hinaus ausmacht, den Alltag. Es ist geradezu so, daß dessen Abwesenheit der Liebe ihre Zukunft nimmt. Aber wo steht geschrieben, daß ausgerechnet im Kino alle Liebe Ewigkeit braucht, wenn das Glück auch darin liegen kann, Musik zu hören, Sex zu haben und sonst nichts.
160 000 Dollar hat der Film gekostet, gedreht in acht Tagen, ohne Drehbuch und künstliches Licht. Der Hauptdarsteller Kieran O’Brien war schon in Winterbottoms 24 HOUR PARTY PEOPLE dabei, Margo Stilley wurde beim Casting gefunden, und natürlich war die Bedingung, daß die beiden Schauspieler tatsächlich zu dem bereit sind, was man sexuelle Handlungen nennt. Die Kühnheit des Projekts ist um so frappierender, wenn man daran denkt, daß Winterbottom zuvor mit dem Flüchtlingsdrama IN THIS WORLD den Goldenen Bären in Berlin gewonnen hat und danach den aufregenden Science-fiction-Film CODE 46 gedreht hat, der bei uns erst Anfang März ins Kino kommen wird. Es gibt zur Zeit sicher keinen anderen Regisseur, der so vielseitig arbeitet und dessen Autorschaft sich in dem Maße vor allem durch seine Neugier auf unterschiedlichste Erzählformen erweist.
Wenn man den Titel beim Wort nimmt, dann beschränkt er sich natürlich nicht auf die Musik allein, sondern deutet darauf hin, daß Sex sein kann wie Popmusik und natürlich umgekehrt. Die Songs handeln von Sehnsucht und Begierde und, wenn sie gut sind, von dem, was bleibt, von der Trauer danach und dem Wissen, daß die Befriedigung nur ein kurzes Glück ist. So ist NINE SONGS ein Konzertfilm mit Sex und ein Sexfilm mit Musik, die in jedem Fall der Liebe Nahrung ist.
Womöglich ist das Projekt auf dem Papier interessanter, als es sich im Kino anfühlt, weil die Erregungskurve immer gewagterer Sexpraktiken dann doch nicht so richtig als Spannungsbogen taugt. Und dennoch ist dies ein bestechendes Experiment, der Sprache der Liebe im Kino eine neue Grammatik zu verpassen.
Die meisten Regisseure, die etwas auf sich halten, geben gerne zu, daß es sie reizen würde, einen Porno zu drehen. Weil sie natürlich wissen, daß dort, wo Liebesgeschichten im Kino aufhören, im wirklichen Leben das beginnt, was zur Liebe dazugehört. Und daß man schon deshalb den Sex im Kino vor der alleinigen Vereinnahmung durch die Pornoindustrie retten muß. Mike Nichols etwa hat lange mit einem Projekt namens „Blue Movie“ geliebäugelt, aber was von seinem expliziten Vorhaben übrigblieb, ist ein Film wie „Hautnah“, in dem die Dinge zwar beim Namen genannt, aber nicht gezeigt werden. Um zu begreifen, was das Kino noch erzählen könnte, wenn es sich häufiger trauen würde, muß man gar nicht nur einschlägige Werke wie „Der letzte Tango“ oder „Reich der Sinne“ bemühen – es genügt schon, wenn man sich vor Augen hält, wieviel das Spiel der Körper in „Wenn die Gondeln Trauer tragen“ über das Verhältnis des Ehepaares Julie Christie und Donald Sutherland erzählte und wie aufregend natürlich die atemlose Schönheit der Begierde von Nicolas Roeg inszeniert war.
In den siebziger Jahren schien das Kino deutlich mehr bei sich, was die Darstellung von Sexualität angeht, so daß man die Jahrzehnte, die folgten, unweigerlich als gewaltigen Rückschritt begreifen mußte. Und zwar geradezu umgekehrt proportional zu den Entwicklungen in der Pornoindustrie, in der alle sexuellen Abarten erst auf Video und dann im Internet auf ganz andere Weise verfügbar wurden. Erst in den letzten Jahren hat sich das Kino Terrain zurückerobert, vor allem in Frankreich, wo Catherine Breillats „Romance“, Bertrand Bonellos „Pornographe“ und Patrice Chéreau mit „Intimacy“ visuelle Entsprechungen zu jener Freizügigkeit zu finden suchten, die in der Literatur etwa Michel Houellebecq pflegt.
Tatsächlich ist „Nine Songs“ das, was von Michael Winterbottoms Plan, Houellebecqs „Plattform“ zu verfilmen, übriggeblieben ist. Weil der Franzose aber selbst daran arbeitet, schrieb Winterbottom seine eigene Geschichte: Der Klimaforscher Matt erinnert sich auf dem Flug zu einer Expedition in die Antarktis an seine Beziehung zu der Amerikanerin Lisa, die einen Sommer währte – oder wie es der Film zeigt: neun Songs lang. Neun Konzertbesuche bei angesagten Bands wie Franz Ferdinand, Primal Scream, Black Rebel Motorcycle Club, The Von Bondies, The Dandy Warhols, Super Furry Animals, Elbow – und außer der Reihe ein Geburtstagskonzert von Michael Nyman. Und dazwischen Sex, nichts als Sex, auf dem Küchentisch, im Bett, in der Badewanne, in jeder Spielart, zärtlich, heftig, mit Drogen und anderen Hilfsmitteln, und nichts wird ausgespart, auch nicht der Samenerguß. Der Film ist also einfach, geradezu schematisch in der Art, wie sich Sex und Songs abwechseln, und in dem Maße, wie er zeigt, was andere aussparen, verzichtet er auf das, was die Liebe darüber hinaus ausmacht, den Alltag. Es ist geradezu so, daß dessen Abwesenheit der Liebe ihre Zukunft nimmt. Aber wo steht geschrieben, daß ausgerechnet im Kino alle Liebe Ewigkeit braucht, wenn das Glück auch darin liegen kann, Musik zu hören, Sex zu haben und sonst nichts.
160 000 Dollar hat der Film gekostet, gedreht in acht Tagen, ohne Drehbuch und künstliches Licht. Der Hauptdarsteller Kieran O’Brien war schon in Winterbottoms „24 Hour Party People“ dabei, Margo Stilley wurde beim Casting gefunden, und natürlich war die Bedingung, daß die beiden Schauspieler tatsächlich zu dem bereit sind, was man sexuelle Handlungen nennt. Die Kühnheit des Projekts ist um so frappierender, wenn man daran denkt, daß Winterbottom zuvor mit dem Flüchtlingsdrama „In This World“ den Goldenen Bären in Berlin gewonnen hat und danach den aufregenden Science-fiction-Film „Code 46“ gedreht hat, der bei uns erst Anfang März ins Kino kommen wird. Es gibt zur Zeit sicher keinen anderen Regisseur, der so vielseitig arbeitet und dessen Autorschaft sich in dem Maße vor allem durch seine Neugier auf unterschiedlichste Erzählformen erweist.
Wenn man den Titel beim Wort nimmt, dann beschränkt er sich natürlich nicht auf die Musik allein, sondern deutet darauf hin, daß Sex sein kann wie Popmusik und natürlich umgekehrt. Die Songs handeln von Sehnsucht und Begierde und, wenn sie gut sind, von dem, was bleibt, von der Trauer danach und dem Wissen, daß die Befriedigung nur ein kurzes Glück ist. So ist „Nine Songs“ ein Konzertfilm mit Sex und ein Sexfilm mit Musik, die in jedem Fall der Liebe Nahrung ist.
Womöglich ist das Projekt auf dem Papier interessanter, als es sich im Kino anfühlt, weil die Erregungskurve immer gewagterer Sexpraktiken dann doch nicht so richtig als Spannungsbogen taugt. Und dennoch ist dies ein bestechendes Experiment, der Sprache der Liebe im Kino eine neue Grammatik zu verpassen.
Die meisten Regisseure, die etwas auf sich halten, geben gerne zu, daß es sie reizen würde, einen Porno zu drehen. Weil sie natürlich wissen, daß dort, wo Liebesgeschichten im Kino aufhören, im wirklichen Leben das beginnt, was zur Liebe dazugehört. Und daß man schon deshalb den Sex im Kino vor der alleinigen Vereinnahmung durch die Pornoindustrie retten muß. Mike Nichols etwa hat lange mit einem Projekt namens „Blue Movie“ geliebäugelt, aber was von seinem expliziten Vorhaben übrigblieb, ist ein Film wie „Hautnah“, in dem die Dinge zwar beim Namen genannt, aber nicht gezeigt werden. Um zu begreifen, was das Kino noch erzählen könnte, wenn es sich häufiger trauen würde, muß man gar nicht nur einschlägige Werke wie „Der letzte Tango“ oder „Reich der Sinne“ bemühen – es genügt schon, wenn man sich vor Augen hält, wieviel das Spiel der Körper in „Wenn die Gondeln Trauer tragen“ über das Verhältnis des Ehepaares Julie Christie und Donald Sutherland erzählte und wie aufregend natürlich die atemlose Schönheit der Begierde von Nicolas Roeg inszeniert war.
In den siebziger Jahren schien das Kino deutlich mehr bei sich, was die Darstellung von Sexualität angeht, so daß man die Jahrzehnte, die folgten, unweigerlich als gewaltigen Rückschritt begreifen mußte. Und zwar geradezu umgekehrt proportional zu den Entwicklungen in der Pornoindustrie, in der alle sexuellen Abarten erst auf Video und dann im Internet auf ganz andere Weise verfügbar wurden. Erst in den letzten Jahren hat sich das Kino Terrain zurückerobert, vor allem in Frankreich, wo Catherine Breillats „Romance“, Bertrand Bonellos „Pornographe“ und Patrice Chéreau mit „Intimacy“ visuelle Entsprechungen zu jener Freizügigkeit zu finden suchten, die in der Literatur etwa Michel Houellebecq pflegt.
Tatsächlich ist NINE SONGS das, was von Michael Winterbottoms Plan, Houellebecqs „Plattform“ zu verfilmen, übriggeblieben ist. Weil der Franzose aber selbst daran arbeitet, schrieb Winterbottom seine eigene Geschichte: Der Klimaforscher Matt erinnert sich auf dem Flug zu einer Expedition in die Antarktis an seine Beziehung zu der Amerikanerin Lisa, die einen Sommer währte – oder wie es der Film zeigt: neun Songs lang. Neun Konzertbesuche bei angesagten Bands wie Franz Ferdinand, Primal Scream, Black Rebel Motorcycle Club, The Von Bondies, The Dandy Warhols, Super Furry Animals, Elbow – und außer der Reihe ein Geburtstagskonzert von Michael Nyman. Und dazwischen Sex, nichts als Sex, auf dem Küchentisch, im Bett, in der Badewanne, in jeder Spielart, zärtlich, heftig, mit Drogen und anderen Hilfsmitteln, und nichts wird ausgespart, auch nicht der Samenerguß. Der Film ist also einfach, geradezu schematisch in der Art, wie sich Sex und Songs abwechseln, und in dem Maße, wie er zeigt, was andere aussparen, verzichtet er auf das, was die Liebe darüber hinaus ausmacht, den Alltag. Es ist geradezu so, daß dessen Abwesenheit der Liebe ihre Zukunft nimmt. Aber wo steht geschrieben, daß ausgerechnet im Kino alle Liebe Ewigkeit braucht, wenn das Glück auch darin liegen kann, Musik zu hören, Sex zu haben und sonst nichts.
160 000 Dollar hat der Film gekostet, gedreht in acht Tagen, ohne Drehbuch und künstliches Licht. Der Hauptdarsteller Kieran O’Brien war schon in Winterbottoms 24 HOUR PARTY PEOPLE dabei, Margo Stilley wurde beim Casting gefunden, und natürlich war die Bedingung, daß die beiden Schauspieler tatsächlich zu dem bereit sind, was man sexuelle Handlungen nennt. Die Kühnheit des Projekts ist um so frappierender, wenn man daran denkt, daß Winterbottom zuvor mit dem Flüchtlingsdrama IN THIS WORLD den Goldenen Bären in Berlin gewonnen hat und danach den aufregenden Science-fiction-Film CODE 46 gedreht hat, der bei uns erst Anfang März ins Kino kommen wird. Es gibt zur Zeit sicher keinen anderen Regisseur, der so vielseitig arbeitet und dessen Autorschaft sich in dem Maße vor allem durch seine Neugier auf unterschiedlichste Erzählformen erweist.
Wenn man den Titel beim Wort nimmt, dann beschränkt er sich natürlich nicht auf die Musik allein, sondern deutet darauf hin, daß Sex sein kann wie Popmusik und natürlich umgekehrt. Die Songs handeln von Sehnsucht und Begierde und, wenn sie gut sind, von dem, was bleibt, von der Trauer danach und dem Wissen, daß die Befriedigung nur ein kurzes Glück ist. So ist NINE SONGS ein Konzertfilm mit Sex und ein Sexfilm mit Musik, die in jedem Fall der Liebe Nahrung ist.
Womöglich ist das Projekt auf dem Papier interessanter, als es sich im Kino anfühlt, weil die Erregungskurve immer gewagterer Sexpraktiken dann doch nicht so richtig als Spannungsbogen taugt. Und dennoch ist dies ein bestechendes Experiment, der Sprache der Liebe im Kino eine neue Grammatik zu verpassen.