14. September 2001 | Süddeutsche Zeitung | Filmkritiken, Rezension | Haus Bellomont

Das Wenn und Aber des Herzens

Gillian Anderson triumphiert in der Verfilmung von Edith Whartons Roman "Haus Bellomont"

Manchmal genügt schon ein Gesicht, um die ganze Geschichte eines Films zu erzählen. Dann ist es so, als sei den Zügen von Anfang an eingeschrieben gewesen, was die Biographie an Schicksal bereithält. Als habe die Natur vorausgeahnt, was das Leben so bringen wird. Natürlich ist das nicht so. Diesem Stadium der Anverwandlung geht die Besetzung voraus, und den Rest erledigt die Schauspielerei. Aber mitunter kann dabei ein kleines Wunder geschehen – wie im Falle von Gillian Anderson, die zwar schon als Agent Scully in der AKTE X eine beeindruckend kühle Intelligenz ausstrahlte, aber als Lily Bart im HAUS BELLOMONT in Bereiche geht, die weit jenseits dessen liegen, was man sonst mit Rollenverständnis umschreiben würde. Fast möchte man sagen, daß ihr Gesicht mehr weiß über ihre Rolle, als sie selbst vermutlich ahnt.

Jede Verfilmung von Edith Wharton – zuletzt THE AGE OF INNOCENCE von Martin Scorsese – ist angewiesen auf die Ausdruckskraft von Gesichtern. Denn das, was die Romane an Handlung bereithalten, ist viel zu zart und zu vielschichtig, als daß der schlichte Plot allein wiedergeben könnte, was in den Figuren angelegt ist. Schon unter dem Vorspann sieht man, wie sich auf einer Milchglasscheibe langsam Ornamente abzeichnen, und im Grunde ist der ganze Film so, als könnte man dabei zusehen, wie sich die Gefühle darin so langsam herauskristallisieren wie Eisblumen auf einer Fensterscheibe.

Wir befinden uns in den ersten Jahren des vergangenen Jahrhunderts: Das alte Standesbewußtsein hält die neue Welt des gepflegten Müßiggangs noch zusammen, aber an den Rändern weht bereits ein neuer Geist, der auch andere Umgangsformen mit sich bringt, direktere, forschere, reaktionsschnellere. Doch davon ist in den besseren Kreisen noch wenig zu spüren, dort regt sich buchstäblich kein Lüftchen, und in den Räumen scheint noch der Muff des 19. Jahrhunderts zu stehen. Durch diese Welt bewegt sich Lily Bart, eine, wie sie das selber so hübsch französisch nennt, „jeune fille à marier“, ein Mädchen, das unter die Haube gebracht werden soll. Sie weiß selbst nicht so genau, ob sie dabei auf ihr Herz hören oder doch lieber nach einer guten Partie Ausschau halten soll. So ist sie ständig hin- und hergerissen, flirtet mal mit dem jungen Anwalt Selden (Eric Stoltz), dem sie eigentlich zugetan ist, um dann wieder ein Netz aus schmachtenden Blicken zu spinnen für einen schüchternen Langweiler, der ihr ein Leben im Wohlstand garantieren könnte. Und so verbringt sie ihre Tage im Haus Bellomont bei Freunden auf dem Land, die sich in ihren Ehen um so behäbiger eingerichtet haben, je wankelmütiger ihr Herz in Wahrheit ist. Die Stunden verstreichen in gepflegter Langeweile, und das gedämpfte Licht unter den Sonnenschirmen auf der Terrasse gibt in etwa den Gefühlszustand dieser Gesellschaft wieder. Das wahre Leben ist bestenfalls ein Schemen hinter einer Milchglasscheibe.

Wie immer hat diese Ruhe etwas Trügerisches, aber bis Lily das bemerkt, ist es schon zu spät. Das Gefühl, ihre Existenz sei unnütz, hat sie vorher schon beschlichen, aber die Wahrheit ist viel schlimmer: Sie wird zur nützlichen Idiotin in einem Gesellschaftsspiel namens Ehebruch. In einer Welt, in der der ständige Zwang zur Wahrung des Gesichts zu einer allgemeinen Müdigkeit führt, erwacht sie plötzlich – und findet sich in einem Albtraum wieder. Sie hat ihr Gesicht verloren, wird aus der besseren Gesellschaft ausgestoßen und landet schließlich auf der Straße.

Die Schläfrigkeit, die vorher ihre Leidenschaften eingelullt hat, weicht nun einer Benommenheit, die ihren ganzen Körper zu ergreifen scheint. Man hat nie den Eindruck, daß Lily wirklich zu sich kommt, aber in ihrer Betäubung hat sie doch eines begriffen: daß sie ihre Ehre nicht retten kann, indem sie das gesellschaftliche Ränkespiel mitmacht, sondern nur, indem sie den Respekt vor sich selbst wiederfindet. Und das ist ein einsamer, trauriger Weg, der am Ende nur eine Erlösung kennt: den Tod.

HAUS BELLOMONT spielt in einem seltsamen Zwischenreich der Emotionen, das jemand wie Stefan Zweig als „Verwirrung der Gefühle“ oder „Ungeduld des Herzens“ beschrieben hat. Keine Gefühlsregung scheint sich je richtig zu manifestieren, stets bleibt etwas ungesagt, ungelebt, ungefühlt. Eine allgemeine Lähmung hat diese Leute erfaßt, die jeden Impuls unterdrückt und jeden Reflex zügelt. Man vergnügt sich auf Gesellschaften abends damit, Gemälde von Watteau nachzustellen, und übersieht dabei, daß längst das eigene Leben zum Genrebild erstarrt ist.

Der Engländer Terence Davies, der in Filmen wie DISTANT VOICES, STILL LIVES und THE LONG DAY CLOSES bislang vor allem seine Liverpooler Jugendjahre in Tableaus gefaßt hat, erweist sich für diesen Stoff als geradezu kongenialer Regisseur. Mit seinem Talent, die Präsenz von Räumen in langen Einstellungen zu zelebrieren, vermag er sozusagen zwischen den Zeilen der Romanvorlage zu lesen. So schweift seine Kamera über die mit Staubfängern verhängten Interieurs, um dann im Garten mit einem Regenschauer über die Teichoberfläche zu jagen, so daß man den Eindruck hat, diese Sequenzen sagen mehr über die Figuren, als sie selbst auszudrücken in der Lage sind. Man kann richtig spüren, wie die Luft im HOUSE OF MIRTH stillsteht und wie sich alles nach atmosphärischer Veränderung sehnt.

Der Schauplatz, auf dem sich die wahre Geschichte des Films abspielt, ist allerdings Gillian Andersons Gesicht. All die widerstreitenden Empfindungen, diese Wenn und Aber und Vielleicht des ermatteten Herzens, scheinen sich auf ihrer Alabasterhaut abzuzeichnen wie dahinrasende Wolkenschatten auf windbewegter Landschaft. Ein kokettes Erröten hier, ein schlagartiges Erbleichen dort, ein zartes Beben der Lippen in der einen Szene, ein kurzes Aufglänzen der Augen in einer anderen. Hunderte von Romanseiten, das Frauenschicksal einer ganzen Ära, eingefangen in einem Gesicht, das so viel mehr weiß, als Mrs. Anderson ahnt.

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