05. Februar 1992 | Die Zeit | Filmkritiken, Rezension | Glengarry Glen Ross

GLENFARRY GLEN ROSS von James Foley

Ausverkauf

Die Hure schließt die Augen und denkt ans Geld, während sie die Beine breit macht: Ich verkaufe, also bin ich. Das ist die Formel, auf die dieser Film den amerikanischen Traum bringt. Das ist das Credo, mit dem sich Amerika bei David Mamet prostituiert.

Vier Vertreter hat Mamet in seinem 1984 entstandenen Stück versammelt, vier Männer, die um jeden Preis Grundstücke verkaufen wollen. Sie brauchen dafür nichts als ein Telephon und die Nummern von Interessenten, die sich irgendwann auf eine Anzeige gemeldet und nähere Informationen erbeten haben. Potentielle Käufer sind nur selten dabei, dafür um so öfter Nieten: Hochstapler, die sich wichtig machen wollen, Gelangweilte, die auf jede Anzeige antworten, Einsame, die über jeden Anruf froh sind, oder Träumer, die sich mit dem Bau von Luftschlössern trösten. Sie sind die schweigende Mehrheit am anderen Ende der Leitung, ein Volk von Käufern, die kein Geld haben.

Amerika wirkt in diesem Film manchmal wie ein potemkinsches Land. Die Fassade von Realität wird noch aufrechterhalten, aber dahinter ist nichts mehr wirklich. Immer wieder hängen sich die Vertreter ans Telephon, geben sich als vielbeschäftigte Makler aus, die zufällig in der Gegend sind und vor dem Weiterflug eine halbe Stunde erübrigen könnten, um schnell mit einem fabelhaften Angebot vorbeizuschauen. Sie sind Herrscher ohne Reich, die mit Kunden ohne Kredit verhandeln. Die Grundstücke, die sie anbieten, sind in der Regel wertlos, taugen weder zur Geldanlage noch als Altersruhesitz. Der amerikanische Traum vom eigenen Land ist zum Ausverkauf verkommen, und auf den Wühltischen sind nur noch die Ladenhüter übrig: Tabula rasa.

Der Handlungsreisende ist tot, es leben Mamets Vertreter. Jack Lemmon, AI Pacino, Ed Harris und Alan Arkin sind die Helden dieser Reise ins Herz des amerikanischen Bankrotts. Reden ist ihr Kapital, aber auch dort hat die Inflation schon zugeschlagen: Ihre Worte werden durch Gefühle nicht mehr gedeckt, sie sind nur noch Stimmen ohne Seele. Sie zu hören ist jene Sorte von Abenteuer, die das Kino nicht allzuoft zu bieten hat.

AI Pacino muß man in der amerikanischen Originalfassung erleben, wenn er einen zaghaften Kunden (Jonathan Pryce) in einer Bar zum Kauf verführt. Völlig unbeteiligt scheint er sich zum Zuhörer seiner selbst zu machen, um dem Kunden nicht den Eindruck zu vermitteln, er wolle ihn manipulieren. Wenn er dann mit seinen Kollegen spricht, merkt man erst, wie gezielt er diesen Effekt einsetzt. Verglichen mit Pacino wirken die Leistungen der anderen geradezu gemäßigt: Lemmon, der keine Demütigung scheut; Harris, der verbittert die Reste seines Stolzes aktiviert; und Arkin, dessen Stimme direkt aus dem Grab seiner Illusionen zu kommen scheint. Dazu gesellen sich der Bürovorsteher Kevin Spacey, den nichts mehr beeindrucken kann, der Kunde Jonathan Pryce, der sich vor seiner Frau fürchtet, und vor allem Alec Baldwin, der mit seiner Vorstellung in den Olymp der widerlichsten Figuren der Filmgeschichte aufsteigt.

Baldwin ist der Abgesandte der Firmenleitung, der diese Außenstelle auf Trab bringen soll. Er stellt den Erfolgreichsten Prämien in Aussicht – dem Ersten einen Cadillac, dem Zweiten einen Satz Steakmesser – und den Erfolglosen die Kündigung. Aus dem Credo der Verkäufer folgert er gnadenlos: Wer nichts verkauft, ist auch nichts. Er ist das Monster, das die Reagan Ära geschaffen hat. Nach seinem Auftritt gleicht das Maklerbüro einem Ameisenhaufen, den man mit einem Stock in Aufruhr versetzt hat. Die Panik dieser ersten Minuten wütet durch den ganzen Film: Es geht ums Überleben.

David Mamets Kunstfiguren brauchen die Künstlichkeit geschlossener Räume, um lebendig zu werden. Also unternimmt Regisseur James Foley (AUF KURZE DISTANZ, AFTER DARK, MY SWEET) wenig, um dem Drama die Theatralik zu nehmen. Als Schauplätze genügen ihm das Büro und die chinesische Bar auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Die wenigen Exkursionen an andere Orte ändern an dem Eindruck nichts. Denn die wahre Bühne sind ohnehin die Gesichter der Schauspieler, die die Kamera in ihren Bann schlagen. So zieht das Kino vor dem Theater den Hut.

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