21. Januar 2010 | Frankfurter Allgemeine Zeitung | Filmkritiken, Rezension | Gainsbourg

Die Geschichte von dem Mann, der raucht

In Paris startet Joann Sfars Film über Serge Gainsbourg

Ganz Paris ist plakatiert mit der Visage eines Mannes, aus dessen Mund vor schwarzem Grund sehr malerisch Rauchschwaden entweichen. Ganz Paris? Nein, ein von unbeugsamen Nichtrauchern betriebenes Unternehmen hört nicht auf, dem Nikotin Widerstand zu leisten. Nach dem Schildbürgerstreich, bei dem die Pariser Transportverwaltung RATP auf den Plakaten zur großen Jacques-Tati-Ausstellung Hulots Pfeife durch ein kindisches Windrad ersetzt hat, weigerten sie sich diesmal, in Metrostationen und auf Bussen für den Film GAINSBOURG werben zu lassen. Den Regisseur Joann Sfar erbost das einigermaßen, weil er eigentlich glaubte, die Auflagen gegen Tabakwerbung eingehalten zu haben: „Alle Welt weiß, dass der Typ geraucht hat. Das hat er auch nie verborgen. Den Rauch seiner Kippe zu verbieten, ist eine Art Infantilisierung der Öffentlichkeit. Das kommt aus den Vereinigten Staaten. Je mehr man zensiert, desto mehr verleugnet man unsere Kultur und verhöhnt unsere nationale Identität.“

Man könnte sagen, dass das mal wieder viel Rauch um nichts ist, wenn GAINSBOURG nicht einer der meisterwarteten französischen Filme des Jahres wäre. Zum einen weil der Singer-Songwriter urfranzösisches Kulturgut ist – und nicht nur wegen seiner Chansons, sondern eben auch wegen seines Images als Raucher, Trinker und Weiberheld -, zum anderen weil der Regisseur Joann Sfar einer der produktivsten und beliebtesten Comic-Künstler ist, von dem man mit einigem Recht erhoffen durfte, dass ihm zum Künstlerleben mehr einfällt als das übliche Stationendrama von Aufstieg und Fall. Und in der Tat ist ihm ein charmanter, teils bewegender, oft origineller Film gelungen, der sich vielleicht nicht ganz so weit vom Genre entfernt, wie der Zusatz „Ein Märchen von Joann Sfar“ behauptet, aber auch manches riskiert, was über die bloße Nacherzählung hinausgeht. Das Beste sei gewesen, sagt Sfar, dass die amerikanischen Koproduzenten ihn bestärkt hätten, den Film so französisch wie möglich zu machen – mit Liebespaaren an der Seine, Malern und ihren Modellen unter Atelierdächern, ein Paris-Bild also wie in RATATOUILLE etwa. So ist das Ganze eine Liebeserklärung geworden, eine existentialistische Phantasie, die darin ganz dem amerikanischen Credo folgt: If the fact becomes legend, print the legend.

Ursprünglich hatte Sfar mit Gainsbourgs Tochter Charlotte an dem Projekt gearbeitet, die ihren Vater spielen sollte (was sogar Cate Blanchett als Bob Dylan noch übertroffen hätte). Aber als sie sich nicht ans Klavier setzen konnte, ohne dass ihre Finger zitterten, musste sie sich eingestehen, dass sie für diese Art der Trauerarbeit nicht bereit war, und wünschte Sfar viel Glück auf seinem weiteren Weg ohne sie. Der fand den Theaterschauspieler Eric Elmosnino, der zwar etwas spillriger ist als das Original, aber seine Gestik und Mimik sehenswert verkörpert. Dass zum Beispiel davon abgesehen wurde, ihm aus Gründen größerer Ähnlichkeit eine falsche Nase aufzusetzen, hat insofern seine Berechtigung, als es Sfar durchaus um die Kluft zwischen dem Mann und seinem Image geht.

Dafür hat sich der Zeichner ein Alter Ego einfallen lassen, das Gainsbourgs inneren Schweinehund repräsentiert und immer auftaucht, wenn er an sich zweifelt. Anfangs ist das ein zwei Meter hoher vielarmiger Kartoffelkopf, eine jüdische Karikaturvisage, die ihm als Kind immer wieder erscheint und den Weg zum Außenseitertum und Anderssein weist. So steht der kleine Lucien Ginsburg (wie er eigentlich hieß) als Erster in der Schlange im besetzten Paris, wenn die Judensterne vergeben werden. Und als man ihn fragt, warum er es so eilig habe, den Stern zu tragen, antwortet er nur: „Das ist Ihr Stern, Monsieur. Sie wollen, dass ich ihn trage.“

Das ist insofern eine zentrale Szene, als Sfar von einem Mann erzählt, der seine Identität darin findet, zu spielen, was die anderen in ihm sehen – den Juden, den Verführer, den Lebemann -, aber der damit auch die Verhältnisse zum Tanzen bringt. Diese Kluft hat auch Gainsbourg selbst zelebriert in seinem Alter Ego Gainsbarre, und die Bewegung des Films geht dahin, beides zur Deckung zu bringen, bis er am Ende kein unsichtbares Gegenüber mehr braucht, weil er ganz aufgegangen ist in der Melodie, die er den anderen vorspielte.

Die schönsten Momente aber gehören natürlich den Frauen: Laetitia Casta, die überraschend lustvoll Brigitte Bardot spielt, deren Einwilligung sie sich vorher geholt hatte, und deren Stöhnen für den Skandalhit „Je t’aime (moi non plus)“ man hier zwar auch nicht hört, was aber nichtsdestotrotz zu einer schönen Szene führt, bei der sie tränenüberströmt den ehrfürchtigen Eltern von Serge begegnet, untröstlich, weil sie weiß, dass dieses Zeugnis ihrer Liebe aus Rücksicht auf ihre Ehe mit Gunther Sachs ihr Geheimnis bleiben muss. Umso schöner, wenn dann später das Duett mit Lucy Gordon als Jane Birkin selbst dem inneren Schweinehund die Tränen in die Augen treibt.

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