18. Dezember 1997 | Süddeutsche Zeitung | Filmkritiken, Rezension | Der Eissturm

Herzen unter Glas

Ang Lee läßt die siebziger Jahre wieder aufleben: DER EISSTURM

Die siebziger Jahre waren die Hölle – daran ändert auch ihre Wiederkehr nichts. Aufblasbare Plastiksofas und gehäkelte Überdecken, Flocati-Teppiche und Wasserbetten in der Wohnung. Ausgestellte Hemdkrägen und buschige Kotletten, Plateauschuhe und Polyesterpullover für den Herren. Falsche Haarteile und tonnenschwere Gürtelschnallen, massenhaft Halsketten und bizarre Turbane für die Damen – und über alledem auch noch Watergate. So gesehen ist Der Eissturm der reinste Horrorfilm.

Der Taiwanese Ang Lee hat schon Jane Austens England mit einer Mischung aus Faszination und Ekel betrachtet. Da er als Asiate ein feineres Gespür für Rituale aller Art besitzt, hat ihn besonders interessiert, wie die Gefühle in gesellschaftliche Konventionen verpackt werden. Und als Rahmen für die Geschichte hat er sich für die Exterieurs an der englische Landschaftmalerei und für die Interieurs an Vermeer orientiert. So war Sinn und Sinnlichkeit gleich mehrfach gebrochen.

Für den EISSTURM – nach einer hinreißend komischen und bitterbösen Vorlage von Rick Moody – hat er sich vom Photorealismus inspirieren lassen, dessen Bilder sich wie eine zweite Haut über die Wirklichkeit legen. Alles ist sichtbar, alles wirkt transparent, und doch liegt eine unsichtbare Wand zwischen Welt und Wahrnehmung.

Diese Vorstellung ist umso passender, als Eissturm in diesem Fall etwas bezeichnet, was wir eigentlich als Blitzeis kennen. Wenn sich die Welt durch plötzlichen Temperaturabfall bei Tauwetter mit einer gläsernen Haut aus Eis überzieht und alles unter der Last zu ächzen und zu klirren scheint. Diese Metapher für den amerikanischen Seelenzustand im November 1973 stammt natürlich schon vom Romanautor, aber Lee unternimmt alles, um dieses Bild bis in die letzten Ecken der Handlung fortwirken zu lassen.

Die Herzen sind kühl, die Beziehungen frostig, und das Schweigen klirrt wie Eis. Aber dies wäre kein Film von Ang Lee, wenn am Ende nicht alles ebenso schockartig wieder auftauen würde. So wie sich zuletzt auch Emma Thompsons aufgestaute Gefühle am Ende von Sense and Sensibility in einem herzzerreißenden Schluchzer entluden.

New Canaan, 1973: Die sexuelle Revolution oder das, was von ihr übrig geblieben ist, hat mittlerweile auch den gehobenen Mittelstand von Connecticut erreicht. Die Erwachsenen üben zaghaft den Partnertausch, die Jugendlichen sind ohnehin damit beschäftigt, hemmungslos zu pubertieren. Diese doppelte Perspektive macht Lees Film so spannend. Auf beiden Seiten gibt es Erwartungen, denen keiner gewachsen ist. Die Erwachsenen sind mit der Sexualität so überfordert wie ihre Kinder. Das macht aus der Liebe hier ein besonders grausames Spiel. Am Ende begreift man, daß darin etwas zutiefst Menschliches liegt.

Kevin Kline, Sigourney Weaver und Joan Allen auf der einen Seite, und Christina Ricci, Adam Hann-Byrd und Elijah Wood auf der anderen, treffen den Ton, den man aus den Siebzigern noch im Ohr hat, geradezu schmerzhaft genau. Unter der Haut aus Eis scheinen alle Gefühle offen zu liegen. Man windet sich vor Peinlichkeit oder flüchtet sich in hysterisches Gelächter. Schließlich endet ohnehin alles in Tränen.

Das letzte Wort hat Sigourney Weaver, die am eigenen Leib erlebt hat, wie sich die Siebziger anfühlen: „Darin sieht man doch aus, als käme man vom Strich. Zuerst findet man die Sachen heiß und reizvoll, aber nach ein paar Tagen erschienen sie einem häßlich. Das trifft besonders auf die Männer zu mit ihren großen Krägen und breiten Kravatten und all den widerlichen Braun-, Rost- und Goldfarben, die keinem gut stehen. Es heißt, die Siebziger kommen wieder. Sie kommen nicht wieder. Sie können nicht wiederkommen. Das darf man einfach nicht zulassen. ” Dem ist wirklich nichts hinzuzufügen.

THE ICE STORM, USA 1997 – Regie: Ang Lee. Buch: James Shamus nach dem Roman von Rick Moody. Kamera: Frederick Elmes. Schnitt: Tim Squires. Produktionsdesign: Mark Friedberg. Kostüme: Carol Oditz. Musik: Michael Danna. Darsteller: Kevin Kline, Sigourney Weaver, Joan Allen, Henry Czerny, Adam Hann-Byrd, Christina Ricci, Elijah Wood. Verleih: Pandora. 112 Minuten.

Schreibe einen Kommentar

Ihre E-Mailadresse wird nicht öffentlich angezeigt. Pflichtfelder sind mit * markiert. Mit Absenden Ihres Kommentars werden Ihre Einträge in unserer Datenbank gespeichert. Weitere Informationen finden Sie in unserer » Datenschutzerklärung


3 × 5 =