03. Mai 1999 | Süddeutsche Zeitung | Filmkritiken, Rezension | Ein wahres Verbrechen

Fakten, Fakten, Fakten

Clint Eastwood spielt einen Reporter, wie er im Buche steht: EIN WAHRES VERBRECHEN

Wenn im amerikanischen Kino einer zum Tode verurteilt wird, dann ist er im Zweifelsfall unschuldig. Wenn dann Clint Eastwood auf den Fall angesetzt wird, dann kann man davon ausgehen, daß der zum Tode Verurteilte noch rechtzeitig gerettet wird – nicht immer, aber immer öfter. Wenn Eastwood allerdings nicht nur vor, sondern auch hinter der Kamera steht, dann ist die Vermutung nicht so falsch, daß es dabei nicht unbedingt um Gerechtigkeit geht. Allenfalls geht es um Wahrheit, aber diese Wahrheit ist kein allgemeines Gut, sondern immer nur die Wahrheit eines Mannes. Also liegt dieser Fluchtpunkt, auf den all sein Handeln zuläuft, immer in ihm selbst. Denn vor sich selbst muß er bestehen, nicht vor der Welt.

Ein junger Schwarzer ist also zum Tode verurteilt worden, weil er für eine Handvoll Dollar eine schwangere Kassiererin erschossen hat. Es gab Zeugen, der Fall war klar – nur ein Geständnis fehlt. Aber das spielt keine Rolle, weil das Urteil längst gesprochen ist und die Exekution mit der Giftspritze für eine Minute nach Mitternacht angesetzt ist. Und Eastwood ist als Regisseur gewieft genug, um aus dem Wettlauf gegen die Zeit Profit zu schlagen – aber das ist nicht der einzige Grund, warum er den letzten Stunden des Todeskandidaten so viel Aufmerksamkeit schenkt.

Eastwood selbst spielt einen Reporter der Oakland Tribune. Er kommt aus New York City, hat mit dem Alkohol Probleme, kann mit dem Rauchen nicht aufhören und steigt den Frauen nach, wo er kann. Die besten Zeiten liegen also hinter ihm, und seinen momentanen Job hat er auch nur, weil der Chefredakteur (James Woods) sein Kumpel ist und ihm auch nach einer üblen Geschichte noch die Stange hält. Sein Ressortchef (Denis Leary) kann ihn nicht riechen, zum einen, weil er raucht, zum anderen, weil er mit seiner Frau schläft. Dabei ist Eastwood selbst verheiratet und hat eine Tochter, die er aber genauso vernachlässigt wie ihre Mutter. Er ist nicht unbedingt rücksichts-, aber völlig verantwortungslos. Früher war das kein Thema bei Eastwood – heute erzählen seine Filme davon, daß das Leben ein bißchen komplizierter ist, als das seine früheren Helden wahrhaben wollten. Das Spiel mit seinem Image treibt er ganz bewußt, und das Vergnügen, das seine Filme bereiten, rührt natürlich auch daher, sich den ehemaligen Dirty Harry auf einmal in politisch korrekten Zeiten vorstellen zu müssen. Früher waren an Eastwoods Arbeitsplätzen weibliche Gleichstellung, sexuelle Belästigung oder Passivrauchen gewiß keine Themen – heute bleibt nicht einmal einer wie er davon verschont.

Eastwood kommt an den Fall, weil seine junge Kollegin, die das letzte Interview in der Todeszelle führen sollte, am Abend vorher bei einem Verkehrsunfall ums Leben kommt – und zwar nachdem Eastwood in einer Bar vergeblich versucht hat, sie rumzukriegen. Also schickt die Zeitung Eastwood, nicht ohne ihn darauf hinzuweisen, es gehe bei dieser Story nur um den human interest, um die menschliche Seite dieser Geschichte – nicht um einen Kreuzzug für die Wahrheit. Aber schon bei der Schilderung des Falles beginnt Eastwood wie ein Spürhund die Witterung aufzunehmen – irgend etwas an der Geschichte ist faul.

Alle lügen, sagt Eastwood, er sei nur da, um das aufzuschreiben. Um die Wahrheit geht es in der Tat keinem – alles ist nur eine Sache der Interessenlage. Die Zeitung, der Zeuge, die Staatsanwaltschaft, der Gefängnisdirektor und auch Eastwood selbst verfolgen ihre eigenen Interessen, die den Blick auf die Dinge prägen. Und natürlich geht auch Eastwood dem Fall nur nach, weil er sich davon eine Rechtfertigung seiner diversen Schwächen verspricht. Er ist auf so vielen Ebenen ein Versager, daß er einfach recht behalten muß. Ob er das auch tut, spielt dann irgendwann beinahe keine Rolle mehr. Das Geflecht aus (Not-)Lügen, mit dem er und auch alle anderen bis zum Gefängniskaplan sich umgeben, ist irgendwann so dicht, daß genau darin die Wahrheit liegt: Alle lügen. Das ist die Wahrheit, die Eastwood findet.

Der Titel TRUE CRIME treibt sein Spiel mit dieser Sicht der Dinge. TRUE CRIME bezeichnet aber auch den Einbruch der Realität ins Reich der Fiktionen. Im Kriminalroman bezeichnet das die Faszination für wirkliche Fälle, die den Detektiven von einst das Wasser abgegraben hat. Und womöglich möchte Eastwood damit darauf verweisen, daß die Wirklichkeit des Verbrechens die Brutalität seiner früheren Filme längst überholt hat. AUGE UM AUGE hieß seine Losung damals – heute steht diese Parole auf den Plakaten der Fanatiker, die vor dem Gefängnis den Tod des unschuldigen Schwarzen fordern. So kann es gehen, aber es kommt dabei ein großartiger Film nach dem anderen heraus.

Der Mann war damals ein Außenseiter, und er ist es heute wieder. Aus anderen Gründen. Aber immer geht es um den Preis, den einer dafür zahlen muß, seine ganz eigene Wahrheit zu finden. Der ist heute nicht höher als damals: Er kostet das Leben.

TRUE CRIME, USA 1999 – Regie: Clint Eastwood. Buch: Larry Gross, Paul Brickman, Stephen Schiff nach einem Roman von Andrew Klavan. Kamera: Jack N. Green. Musik: Lennie Niehaus. Mit Clint Eastwood, Isaiah Washington, James Woods, Denis Leary, Diane Venora. Verleih: Warner, 130 Minuten.

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