02. Juni 1990 | Süddeutsche Zeitung | Filmkritiken, Rezension | Drugstore Cowboy

Schnelles Leben, frühes Sterben

DRUGSTORE COWBOY, ein Film von Gus Van Sant

Alles kehrt wieder. Die Achtziger Jahre waren falsche Fünfziger, in den Neunzigern sind die Siebziger groß im Kommen: Hosen mit Schlag und breite Hemdkrägen, Gitarrensoli, Drogen und Liebe für alle. Wer bislang hip war, wird heutzutage wieder zum Hippie. Die fließenden Linien und schwellenden Formen tauchen wieder auf, das Weltbild geht aus dem Leim. Aber bevor die Flower Power so richtig erblühen kann, muß erst das auf die Karriere verengte Bewußtsein wieder erweitert werden. So werden auch die Drogen wieder in Mode kommen. Und DRUGSTORE COWBOY ist der erste Filme dieser neuen Welle.

Kein Film für Anfällige, kein Film für Drogengegner. DRUGSTORE COWBOY betreibt keine Polemik und auch keine Propaganda, er erzählt Geschichten aus einer anderen Welt. Das Leben unter Drogen wird darin weder verteufelt noch verherrlicht, es wird einfach beschrieben. Das ist nicht realistisch, sondern halluzinogen. Der Film ist so nüchtern wie es der Rausch eben zuläßt. Natürlich beginnen gerade da die Mechanismen des Kinos zu greifen, über die Identifikation läßt sich vieles akzeptieren, was man ansonsten ablehnen würde. So blicken wir mit Matt Dillon auf die Welt. Und der ist agil, lässig, sexy, und nimmt Drogen. Also sollte man sich zu den Bildern die Untertitel dazudenken: Der Bundesgesundheitsminister: Fixen gefährdet Ihre Gesundheit.

Matt Dillon, der schon immer der Rebellischste und Erotischste der Halbstarken des jüngsten Hollywoodkinos war, scheint nun doch den Sprung vom ewigen Talent zum Schauspieler zu schaffen. In DRUGSTORE COWBOY beweist er, daß er mit seiner Präsenz und Ausstrahlung einen ganzen Film tragen kann. Als Bob führt er eine Viererbande von Junkies an, die aus seiner Frau Dianne (Kelly Lynch), seinem Freund Rick (James Le Gros) und dessen Freundin Nadine (Heather Graham) besteht. Ihren Lebensunterhalt und ihren Konsum bestreiten sie mit Apothekenüberfällen. Ihr Trick: Nadine täuscht im Drugstore einen epileptischen Anfall vor, und während man sich um sie kümmert, räumt Bob hinter der Theke die Schubladen aus. Die anderen beiden stehen für den Notfall zur Ablenkung bereit. Sobald Bob mit den Medikamenten durch den Hinterausgang entkommen ist, steht die Simulantin auf und geht davon, als sei nichts gewesen. Bis der Apotheker begriffen hat, was los ist, sind die vier über alle Berge. Sie überfallen Drugstores im pazifischen Nordwesten der USA so wie andere zur Arbeit gehen. Ein ganz normales Leben also, wenn auch unter anderen Vorzeichen.

DRUGSTORE COWBOY das bezeichnet Obession und Profession. Dabei hat Bob mehr von einem Kind mit einer Spielzeugpistole als von einem richtigen Verbrecher. Ein infantiler Aberglaube gibt seiner Welt Halt. Man darf in seiner Gegenwart nicht von Hunden sprechen und keine Hüte aufs Bett legen, denn das bringt Unglück. Das verleiht ihm einen tragischen Zug und eine Unschuld zugleich, die im Kino nur den Helden innewohnt. Denn er wird recht behalten mit seinen Befürchtungen. All die hohlen Zeichen bekommen nach und nach ihre Bedeutung, die Welt verdichtet sich, und die vier Außenseiter geraten in einen Strudel von Schuld und Erkenntnis, der ihre ewige naive Jugend zerstört. So erzählt der Film vom Mythos des Forever young, der sich nur im schnellen Leben und frühen Sterben erfüllt.

Gus Van Sant, dessen erster Film MALA NOCHEe bei. uns auch kurz im Kino lief, schildert in seinem zweiten Film ein Leben unter Wasser, eine Welt der klaren Farben und gedämpften Reize, in der das unbarmherzige Licht des Tages lange Zeit sehr fern ist. Mit trägen Bewegungen treibt der Film langsam an die Oberfläche, ganz unangestrengt erfüllt sich sein Schicksal. Man bekommt dabei unglaubliche Bilder zu sehen, in denen halluzinierte Kühe, Flugzeuge und Bäume über dem endlosen Meer des Bewußtseins schweben, und solche, in denen die tote Nadine auf dem Dachboden eines Motels ins unwirklich bunte Licht der verlorenen Jugend getaucht liegt. Und man sieht William S. Burroughs, den Drogenpapst, wie er den Teufel spielt. Er ist der Zombie der ewigen Wiederkehr. Wenn es in der Hölle zu eng wird, kehren die Sünden der Vergangenheit in die Gegenwart zurück.

(In München im Neuen Atelier und Türkendolch.)

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