Höllensturz ins Reich der Toten
Die Bank gewinnt immer: Martin Scorseses aberwitziger Film CASINO
Mit Glück hat das alles nichts zu tun. Hier geht es nur ums Geschäft, und also lautet das Motto: Die Bank gewinnt immer. Scorsese interessiert sich weniger für die Spieler, die gewinnen, als für das Geld, das sie verlieren. Er zeigt nicht, wie Karten aufgedeckt oder Einsätze gemacht werden, sondern wie Münzen sortiert und Scheine gebündelt werden. Und wie dann die Mafia ihren Anteil in einem Koffer abholen läßt. Der Film erzählt von Männern, die nichts dem Zufall überlassen und am Ende genau darüber stolpern, über ihre Gier, ihre Arroganz, ihren Wahn. CASINO ist ein einziger Höllensturz.
Schon der Auftakt raubt einem so den Atem, daß man eigentlich erst nach knapp drei Stunden wieder daran denkt, Luft zu holen. Bis dahin flitzt die Kamera durch den Film wie eine Roulettekugel über den Drehteller, die Welt ein Nichts aus bunten Lichtern und grellen Fratzen, gierigen Händen und leeren Augen. Dies ist keine Geschichte von Gewinn und Verlust, sondern ein Drama um Aufstieg und Fall.
Auftritt De Niro, in einem Aufzug, der mindestens so häßlich wie teuer ist, ein rosafarbener Alptraum, von Kopf bis Fuß Ton in Ton. Er geht zu seinem Wagen, steigt ein, läßt den Motor an – und fliegt in die Luft. Dann kommt der Vorspann, der eine Welt für sich ist, entworfen von Saul Bass, der schon für Hitchcock und Preminger kleine Wunder geschaffen hat. Man sieht zur Matthäus-Passion von Bach eine Silhouette unendlich langsam durch ein ewiges Höllenfeuer fallen, das im nächsten Moment in einen Funkenregen tausendfach gebrochener Neonlichter zerstiebt. So nehmen die Credits die Bewegung vorweg, die der Film in der Folge dann nochmal nachzeichnet.
Nach dem Vorspann rasen wir in die Nacht über Nevada und sehen in der dunklen Wüste Las Vegas funkeln wie einen Edelstein auf schwarzem Samt. Und gerade als man eintauchen will in den Glitter und Flitter des Neon Strips, eilt das ruhelose Auge schon wieder über die sonnenhelle Wüste, die diesen Film genauso wie die Stadt selbst stets vom Rande her bedroht. Sie scheint der einzige Schrecken, den diese ruhelosen Typen zu kennen scheinen, das große, gleißende Nichts, wo sich nichts bewegt und nichts bewegen läßt. Die Wüste ist auch der Keller, in dem Vegas seine Leichen verstaut. Pesci sagt gleich zu Beginn, wer klug ist, müsse schon vorher die Gruben ausheben, in die er später die Leichen seiner Feinde werfen will – das spare eine gute halbe Stunde, die man unter Umständen später dringend nötig hat. Und De Niro, der so unbesiegbar scheint als Herrscher über das Glück, daß er sich ausgerechnet ins Verderben verliebt, scheint nur eine Furcht zu kennen: den Gedanken an all diese Löcher in der Wüste. Als er einmal selbst dort steht, wagt er kaum einen Schritt zu tun, aus Angst, in eine der Gruben zu treten.
Scorsese läßt die Geschichte der beiden Freunde (De Niro und Pesci), von denen jeder Vegas auf seine Art regiert, aus dem Off erzählen, als wechselnden Monolog, der aus dem Reich der Toten zu kommen scheint. Das schafft von vornherein jene Distanz, die Scorseses Filme sonst so unnahbar macht. Die Herzenskälte ist auf diese Weise leichter zu ertragen, weil die Ungerührtheit der Helden Stilprinzip geworden ist. Der schrille Glanz der Siebziger Jahre tut ein übriges, diese Welt in ein Terrarium zu verwandeln.
Sharon Stones Rolle ist nicht halb so groß wie es ihre Oscar-Nominierung und ihr Golden Globe vermuten lassen, und doch ist sie so etwas wie das heimliche Zentrum des Films, der blinde Fleck in der Welt dieser Männer. Sie besitzt als einzige genug Selbstbewußtsein, um zu wissen, daß sie sich selbst nicht trauen kann. Ständig steht sie auf der Kippe, zwischen dem alten Feuer und dem neuen Komfort. Erst fängt sie an zu trinken, dann kommt noch Koks dazu, und die meiste Zeit steht sie so weit neben sich, daß man sich wundert, daß sie überhaupt noch zu menschlichen Regungen fähig ist. Sie hat den Blick der Frau, die zu hoch gepokert hat und jetzt mit einem Leben in Watte und Äther dafür büßen muß. Die Musik, die Scorsese ihr zuordnet, sagt alles um ihr wahres Verhältnis zu diesem Dasein: Es sind die hinreißend traurigen Klänge von Georges Delerue zu Godards Verachtung.
Immer wenn der Film sich aus den Augen zu verlieren droht, genügt ein Blick in Sharon Stones Gesicht, um wieder zurückzufinden. Ihr verzweifelter Kampf um Präsenz neben diesen Giganten der Schauspielkunst ist manchmal das einzige, was diesem Film aus der Welt der Kaltblüter Wärme verleiht. Sie setzt dabei ihren ganzen Körper ein, und die Art, wie dieser Luxus ignoriert wird, sagt alles über die Verschwendungssucht dieser Männer, die den Reichtum erst fühlen, wenn er ihnen zwischen den Fingern zerrinnt.
Scorsese arbeitet grandios mit beinahe unmerklichen Überblendungen, in denen die Zeit durch einen knappen Schnitt zu hüpfen scheint und die wie nichts anderes illustrieren, daß diesen Menschen jedes Gefühl für Zeit abhanden gekommen ist. 18 Stunden arbeitet De Niro am Tag, und tatsächlich spielt Zeit keine Rolle. Die Tage, Wochen, Monate scheinen in einer Sanduhr ohne Boden zu verschwinden. Es gibt kein Verharren oder Festhalten, nur den steten Fluß des Geldes, der ständig am Laufen gehalten werden muß.
Robert Richardson, der schon für Oliver Stone phantastische Arbeit geleistet hat, setzt häufig auf Überbelichtungen. Die Menschen werden von einem Licht bestrahlt, das so kalt wie Schnee auf sie fällt. Sie leben unter einem eisigen Mond, der jene im Rampenlicht in flüssiges Edelmetall zu verwandeln scheint. Manchmal strahlt ihr Fleisch im kalten Licht so weiß, daß sie wie Gespenster wirken, die alles berühren, aber nichts fassen können. Phantome aus Neonlicht, die nur noch in der Gewalt das Leben erfahren. Nur wenn das Blut spritzt, der Kopf im Schraubstock steckt oder die Baseball-Schläger niedersausen, scheint der Beweis möglich, daß diese Menschen real sind. Das ist schon ein verdammt hoher Preis für das, was diese Leute Leben nennen.
CASINO, USA 1995 – Regie: Martin Scorsese. Buch: Nicholas Pileggi und Scorsese nach Pileggis Roman. Kamera: Robert Richardson. Produktionsdesign: Dante Ferretti. Schnitt: Thelma Schoonmaker. Kostüme: Rita Ryack und John Dunn. Mit Robert De Niro, Joe Pesci, Sharon Stone, James Woods, Don Rickles, Alan King, Kevin Pollak, L. Q. Jones, Frankie Avalon, Steve Allen, Jayne Meadows, Jerry Vale. Verleih: UIP. 178 Minuten.