27. November 2005 | Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung | Filmkritiken, Rezension | Ben Hur

Die größte Show der Filmgeschichte

Der Hollywoodklassiker BEN HUR kommt wieder ins Kino - und wird auf DVD veröffentlicht

„Ich weiß, daß Sie die große Show wollen“, schrieb der eine Produzent dem anderen: „Und hier haben Sie die besten Voraussetzungen dafür – Sex und Religion. Es gibt väterliche, mütterliche, brüderliche Liebe, Lust und Gefühl, treue Ehemänner und untreue Frauen. Hier gibt es Vorlagen für alle erdenklichen Schauwerte, Spektakel, Außenaufnahmen von großer Schönheit, Inneneinrichtungen voller Pracht und Pomp, großartige Kostüme, Szenen im Boudoir, Königtum und Rüstungen, Familienleben – den ganzen Katalog des Massen-Appeals. Bringen Sie all das auf Schnulzenart zusammen, eine saubere Produktion mit halbwegs guten Schauspielern und einem ordentlichen Regisseur, Technicolor oder was Ähnlichem und einer guten Verleihpolitik, und Sie haben einen erfolgreichen, sehr erfolgreichen Film. Aber wenn Sie zudem noch Qualität und Integrität hinzufügen, einen Idealismus, der eines Thomas Mann würdig wäre, dann werden Sie einen Film haben, an den sich Generationen erinnern werden.“

Das Memo hat David O. Selznick an Louis B. Mayer geschrieben, ein Mogul dem anderen, und die Rede war nicht etwa von BEN HUR, sondern von einer geplanten Verfilmung von Thomas Manns „Joseph und seine Brüder“, aus der dann doch nichts wurde. Aber so haben Produzenten damals gedacht, und schätzungsweise denken sie auch heute noch so. Schauwerte plus Kultur, und fertig ist der Klassiker. Zahllose Literaturverfilmungen sind so entstanden und sind mit dieser Mischung aus großen Ausgaben und guten Absichten baden gegangen. Auch BEN HUR ist diesem Geist entsprungen, hatte aber keinen Thomas Mann zur Vorlage, sondern den immens erfolgreichen gleichnamigen Roman, den ein Mann namens Lew Wallace 1880 veröffentlicht hatte, der auch auf dem Titel als General tituliert wurde, als verleihe das dieser „Geschichte Christi“ größeren Nachdruck. Man kann nicht wirklich behaupten, daß es dabei um Sex und Religion gegangen wäre – aber bei „Joseph und seine Brüder“ eigentlich auch nicht. Was in einem Roman steht, ist ja auch keine Frage, die sich Produzenten stellen, sondern was in ihm steckt, welche Schauwerte sich ihm also abringen lassen.

Und in BEN HUR steckte alles – schon in einer Bühnenaufführung zur Jahrhundertwende wurden lebendige Pferde auf ein Laufband gestellt, um das Wagenrennen in Szene zu setzen. Man hatte schon 1907 einen Kurzfilm und 1925 einen Stummfilm daraus gemacht, und weil in Hollywood gute Ideen schon immer rar waren, hat man sich in den Fünfzigern, als es mit den Studios langsam dahinging, an die Formel erinnert, die auch heute noch gilt: Was einmal erfolgreich war, wird wieder erfolgreich sein. Und das war auch nötig, weil es dem Studio MGM damals nicht besonders gut ging. So ließ man also William Wyler ein Remake drehen, aber eines, bei dem weder Kosten noch Mühen gescheut wurden.

BEN HUR kam 1959 in die Kinos, und es lohnt sich immer, daran zu erinnern, daß es damals anderswo auf der Welt eine Generation gab, die von der Studiokünstlichkeit so die Schnauze voll hatte, daß sie mit den Kameras auf die Straße ging, um dort das Leben einzufangen. So entstand Jean-Luc Godards AUSSER ATEM, der im selben Jahr Premiere hatte. Wenn man also den Triumphzug der siegreichen Heimkehrer im Alten Rom sieht, sollte man sich den unstatthaften Vergleich erlauben und daran denken, daß zur selben Zeit Jean-Paul Belmondo und Jean Seberg die Champs-Elysées hinabliefen. Immerhin erkennt man dann, daß die ganze Schwülstigkeit, mit der einen BEN HUR einseift, nichts mit der historischen Distanz zu tun hat, sondern mit einem Konzept vom Kino, in dem der Regisseur nichts und der Produzent Gott ist. Und natürlich war es derselbe Godard, der kurz darauf in der VERACHTUNG Jack Palance als amerikanischen Produzenten besetzte, der durch Cinecittà wandelte, wo er die ODYSEE verfilmen ließ, und verzückt rief: „Gods! I like Gods!“

Aus dieser Geisteshaltung sind BEN HUR und die anderen Antikenschinken entstanden: QUO VADIS? (1951), DAS GEWAND (1953), LAND DER PHARAONEN (1955), DIE ZEHN GEBOTE (1956), SPARTACUS (1960), KÖNIG DER KÖNIGE (1961). Weil allmächtige Produzenten sich in ihren Filmen nicht nur Zeiten annähern wollten, in denen die Götter näher waren, sondern am besten gleich den Göttern selbst. Daß diese Produktionen ein Schweinegeld kosteten – im Falle von BEN HUR die damals titanische Summe von 16 Millionen Dollar – war kein Hinderungsgrund – im Gegenteil. Je gewaltiger die Liste der Produktionsausgaben war, desto besser. Eine Million Requisiten, 50 000 Komparsen, 40 000 Tonnen Mittelmeersand, 300 Dekorationen, 50 Galeeren, 36 Pferde und so viele Sprechrollen, wie das Jahr Tage hat – wer könnte sich Gott in seinem Schöpfungsakt näher fühlen als der Produzent, der all dies auf die Beine gestellt hat? Wobei es womöglich mehr als nur bittere Ironie ist, daß diese übermenschliche Anstrengung bei BEN HUR dem Produzenten Sam Zimbalist dann doch zu viel war und er während der Dreharbeiten in Rom einem Herzinfarkt erlag. Kein Wunder: Ganze Städte mußten dafür gebaut werden, und die meisten Produzenten haben sich das Vergnügen nicht nehmen lassen, sie auch gleich wieder vor der Kamera zu zerstören. Das ganze Geld ausgeben, ist eine Sache, aber es vor den Augen aller zu verbrennen, eine völlig andere. Diese Filme lebten geradezu von ihrer Verschwendungssucht, vom zur Schau getragenen Exzeß. Oder wie es der Engländer Michael Wood schon 1975 in „America in the Movies“ geschrieben hat: „Der Held von ZEHN GEBOTE ist nicht Moses, sondern der Filmemacher De Mille selbst, der das Ganze bewerkstelligt hat, die Stimme Gottes, den brennenden Busch und die Teilung des Roten Meeres inklusive.“

Und so ist der Held von BEN HUR nicht Charlton Heston, obwohl er eine verdammt gute Figur macht, sondern natürlich MGM, das um so mehr Geld raushauen mußte, je weniger es eigentlich hatte.

Hollywood in den Fünfzigern spiegelte sich also mit Vorliebe im Untergang antiker Reiche, in deren Dekadenz und Prunksucht. Wer will, mag sich seinen eigenen Reim darauf machen, daß es in letzter Zeit auf GLADIATOR erst TROJA, dann ALEXANDER und zuletzt KÖNIGREICH DER HIMMEL folgen ließ. Damals jedenfalls dauerte es nach dem gigantischen Erfolg von BEN HUR und seinen elf Oscars nur noch ein gutes Jahrzehnt, bis sich Hollywood mit CLEOPATRA und dem UNTERGANG DES RÖMISCHEN REICHS so heruntergewirtschaftet hatte, daß eine neue Generation aus den Ruinen ihr eigenes Reich erbaute: Jenes New Hollywood, dessen Protagonisten Spielberg, Lucas und Coppola nichts Eiligeres zu tun hatten, als es den Vorgängern möglichst schnell nachzumachen und Studios zu errichten, in denen die Megalomanie bald wichtiger war als die Filme.

BEN HUR ist Höhe- und Endpunkt dieses Genres. Vielleicht lag das an der Regie von William Wyler, die das ist, was man damals geschmackvoll nannte, weil er so hübsch ums Bildnisverbot heruminszenierte und Jesus immer nur von hinten oder oben zeigt; vielleicht auch an Charlton Heston, der damals tatsächlich ein Bild von einem Mann war, auch wenn davon später nur die Karikatur übrigblieb. Womöglich hat aber auch Gore Vidal recht, der steif und fest behauptet, er habe als Drehbuchautor dem Film einen schwulen Subtext verpaßt, der der Geschichte überhaupt erst Hand und Fuß verliehen hätte. Tatsächlich sind die homosexuellen Bezüge im ganzen Film so frappierend, daß man sich wundert, daß die prüden Fünfziger damit klarkamen. Vidal fand, daß die Geschichte nur funktioniert, wenn Ben Hur und sein Widersacher in ihrer Jugend Liebhaber gewesen sind. Der Produzent habe darauf erwidert: „Gore, bist du verrückt, dies ist die Geschichte Christi.“ Aber Wyler habe gesagt: „Na ja, was die Motivation angeht, ist alles besser als das, was wir bis jetzt haben. Aber sag‘ Chuck (Charlton Heston) nichts davon.“ Und so kam auch in BEN HUR zur Religion der Sex.

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