08. Oktober 1998 | Süddeutsche Zeitung | Filmkritiken, Rezension | Apostel

Weißer Mann, schwarzes Herz

Robert Duvall predigt die Kunst der Performance: APOSTEL!

Alles in Amerika ist eine Sache des Auftritts, alles entscheidet die performance. Das hat das Land geprägt und regelt den Erfolg im privaten wie im öffentlichen Bereich. Das gilt auch und gerade für Clinton, der sich im Fall Levinsky ganz auf seine performance verließ und trotzdem eine schlechte Figur machte.

Wie tief die Bedeutung des Auftritts in der amerikanischen Gesellschaft verankert ist, sieht man vielleicht am deutlichsten im Gerichtsfilm, wo die performance allein schon deshalb so viel zählt, weil es darum geht, die Geschworenen zu überzeugen. Die Wahrheit ist ein Gut, das erst an den Mann gebracht werden muß. Reine Glaubenssache also.

Auch der Prediger hat eine Wahrheit, die er unter die Leute bringen will, und es liegt nahe, daß es dabei in Amerika auf die Art seines Auftretens ankommt. Was man dazu aus dem amerikanischen Fernsehen kennt, erinnert eher an Kaffeefahrten als an Gottesdienste, und tatsächlich haben die TV-Evangelisten ja auch etwas zu verkaufen. Ein klarer Deal: Gottes Seelenheil gegen seelenlose Dollars. Sie sind Händler im Namen des Herrn.

Den falschen Zauber der Seelenfänger hat das amerikanische Kino schon mehrfach entlarvt – Robert Duvall geht es jedoch um die ganz reale Magie ihrer Auftritte. Schließlich hat er das Projekt dreizehn Jahre lang im Herzen getragen, ehe er die Geschichte nun selbst finanziert und inszeniert, geschrieben und gespielt hat. Begonnen hatte es mit dem Besuch einer kleinen Kirche in Arkansas und der Erinnerung an Ned Beattys Darstellung eines Straßenpredigers in John Hustons WEISHEIT DES BLUTES: „Das war das einzige Mal, das ich so etwas gut gesehen habe. Üblicherweise schaut Hollywood auf die Prediger herab und karikiert sie nur.”

Duvall ist also klug genug, dem Stoff erstmal den Teufel auszutreiben und sich der Figur möglichst unvoreingenommen zu nähern. Im Grunde ist sein Film eine Dokumentation darüber, wie ein Schauspieler in seine Rolle schlüpft. Wo seine Kollegen, wenn sie sich als Regisseure versuchen, in der Regel bemüht sind, allen Vorwürfen der Selbstinszenierung zuvorzukommen, indem sie ihre Figuren zurückhaltend inszenieren, da zeigt sich Duvall als Mann in seinem Element. Seine Performance lebt davon, daß er sich vor der Gemeinde aufspielt, und als Regisseur unterläuft er diesen Exhibitionismus nur dadurch, daß er seine Auftritte nicht noch zusätzlich akzentuiert, sondern dem Auge viel Raum und vor allem Zeit gibt, dieser Anverwandlung zu folgen.

Dieses Auge für Abläufe hat Duvall bereits in seinen ersten beiden Regiearbeiten geschult: 1977 hat er WE’RE NOT THE JET SET gedreht, in dem es um eine Familie in der Welt des Rodeo ging, und 1983 folgte „ANGELO, MY LOVE“, der von New Yorker Zigeunern erzählte. In APOSTEL! nun ist die fiktive Geschichte nur ein Aufhänger für einen möglichst genauen Blick auf die Welt der Erweckungsprediger, der nicht zufällig großenteils mit Laien gedreht wurde.

Der Prediger Sonny Dewey wird von seiner Frau (Farrah Fawcett) verlassen, erschlägt seinen Nebenbuhler und flüchtet in ein Kaff, wo er eine marode Kirchengemeinde zu neuem Leben erweckt. Der Rest ist Reden. Wobei die Spannung dadurch entsteht, daß sich Duvall als Sonny nie in die Karten blicken läßt und es ganz und gar dem Zuschauer überläßt, über diese Figur zu richten. Ist es Selbstgerechtigkeit oder Selbstlosigkeit, Eitelkeit oder Eigensinn?

Das Interesse an dem Film ist also vor allem ethnographischer Natur: Wie sich im amerikanischen Süden Gottesfurcht und Rebellentum vermischen, und wie die Sprache der Schwarzen und ihr Rhythmus Eingang finden in die Performance der weißen Prediger. Das ist das wahre Abenteuer: Wie Körper und Rede zusammengehen bei diesem besten Schauspieler seiner Generation, der für diese tour de force für den Oscar nominiert war.

Der Film ersetzt also ungefähr fünf volle Gottesdienste. Wer danach nicht in den Himmel kommt, dem ist wirklich nicht zu helfen.

THE APOSTLE, USA 1997 – Regie, Buch und Produktion: Robert Duvall. Kamera: Barry Markowitz. Schnitt: Steve Mack. Songs: June Carter Cash, Steve Riley, Patty Loveless, Lyle Lovett, Dolly Parton. Darsteller: Duvall, Farrah Fawcett, Miranda Richardson, Billy Bob Thornton. Arthaus. 134 Minuten.

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