03. Juni 1994 | Süddeutsche Zeitung | Filmkritiken, Rezension | Alles auf Anfang

Geld oder Leben

Reinhard Münsters dritter Spielfilm ALLES AUF ANFANG

Mit dem Leben ist das so eine Sache. Je verzweifelter man versucht, es in den Griff zu kriegen, desto sicherer steht man mit leeren Händen da. Im Kino ist das nicht anders. Und man kann nicht behaupten, daß das Kino hierzulande besonders erfolgreich wäre, wenn es darum geht, Geschichten zu erzählen, die dem Leben wenigstens ähneln. Reinhard Münster versucht es deshalb gar nicht erst.

Wie das Leben so spielt, denkt sich Münster, kann man am besten im Kino beobachten, in Filmen, die aufs Ganze gehen. Der Stoff, aus dem bei ihm die Träume sind, ist das Geld. Es wird damit gezockt und gedealt, manipuliert und produziert. Das Geld wird bündelweise verfeuert, um die Filme in Gang zu halten. Wenn man gehässig wäre, könnte man sagen, darin liegt das Dilemma des deutschen Films: Alles dreht sich ums Geld.

Aber natürlich ist Münster klug genug, sich seinen eigenen Reim auf die finanzielle Lage zu machen. In zwei köstlichen Szenen zeigt er, daß Geld hier mehr als nur ein Brennstoff ist. Einmal öffnet die Millionärin einen Koffer mit Geld und fordert ihren Chauffeur auf, den Inhalt zu schätzen. Auf seine ‚Zwei Millionen‘ nickt sie anerkennend, nimmt ein Bündel heraus und sagt: ‚Jetzt sind es zwei Millionen. Kaufen Sie sich davon ein Auto.‘

Das andere Mal sitzt dieselbe Frau als Statistin des Films, den sie produziert, im Hintergrund am Kartentisch und beschwert sich: ‚Können wir nicht echtes Geld haben. Sonst bekommt man gar kein Gefühl dafür.‘ Münster selbst entwickelt auf diese Weise in seinem Film ein echtes Gespür fürs Geld und dafür, was es seinen Figuren bedeutet. Und was ihm dabei enorm hilft, ist die grandiose Christiane Hörbiger, die die reiche Produzentengattin mit einer Bissigkeit spielt, die nichts zu wünschen übrig läßt.

Aber Frau Hörbiger darf sich natürlich, wie Katharina Thalbach, Harald Juhnke, Udo Samel, Theresa Hübchen und Florian Martens, auch bei dem Drehbuchautor Münster bedanken, der seinen Schauspielern – unter Mithilfe von Pamela Katz – die besten Dialoge seit Jahren in den Mund gelegt hat. Zum Beispiel jener zwischen der Barbesucherin und dem Ober. ‚Was trinkt der Mann am Klavier‘, fragt sie, und er sagt: ‚Mineralwasser.‘ Gegenfrage: ‚Alkoholiker?‘ Antwort: ‚Alle guten Pianisten haben Probleme.‘

Im folgenden stellt sich dann allerdings heraus, daß die Szene zu dem Film gehört, dessen Dreharbeiten gezeigt werden. Aber genau das macht den Reiz von ALLES AUF ANFANG aus, daß die Figuren und ihre Worte ständig auf der Grenze zwischen der Kunst und dem Leben balancieren. Und Münster hat die sprachlichen Mittel, um diesen Tonfall bis zum nicht so bitteren Ende durchzuhalten. Er erfindet genau jene Sätze, die einem im Leben nie einfallen, aber im Kino in seinen besseren Momenten den Ton angeben.

Film im Film ergibt immer interessante Konstellationen. Wie hier alle Beteiligten um jeden Preis versuchen, sich ihren nächsten Job zu sichern, sorgt für einige so amüsante wie überraschende Wendungen. Alle opfern solange ihr Leben für den Film, bis die Unterschiede zwischen Fiktion und Wirklichkeit verwischt sind. Was in diesem Fall dazu führt, daß das Leben ungeniert das Kino kopieren und sich ein Happy-End erschleichen kann.

1983 war es, als Münster mit seinem Debüt DORADO (ONE WAY) für Aufsehen sorgte. Geholfen hat es ihm nichts, weil er daraufhin sieben Jahre warten mußte, bis er DER ACHTE TAG machen konnte. Nochmal vier Jahre später läuft nun also ALLES AUF ANFANG. Das sagt alles über die Situation des deutschen Kinos und erklärt vielleicht auch, warum die Welt, die Münster in seinem neuen Film schildert, so seltsam gestrig wirkt, so wie sie in den fünfziger Jahren ausgesehen haben mag. Würde Münster von der eigenen Karriere und Situation erzählen, würde ihm das im Film kein Mensch abnehmen.

(In München im Atelier und Marmorhaus.)

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