26. November 1997 | Süddeutsche Zeitung | Filmkritiken, Rezension | Alien – Die Wiedergeburt

Im Feind des Körpers

Der vierte ALIEN-Film zeigt Sigourney Weavers Wiedergeburt

Der Schlaf der Vernunft gebiert stets neue Ungeheuer. Und jedesmal gibt es ein noch böseres Erwachen. Nachdem die von einem Alien geschwängerte Ripley (Sigourney Weaver) im letzten Teil den Opfertod gesucht hat, wird sie nun aus ihrer DNS geklont. Mitleid ist dabei nicht im Spiel; der Klon wird lediglich als Brutkasten gebraucht, um an das Alien zu kommen. In ALIEN RESURRECTION geht es also gleich ums Ganze: Dabei ist die Auferstehung nicht gerade eine vorweihnachtliche Sache, sondern eher ein österliches Spektakel.

18 Jahre sind seit dem ersten Teil dieser Saga vergangen, die sich schon deswegen von anderen unterscheidet, weil sie als einzige eine Frau zur Heldin hat. Die Gewalt bekam dadurch nicht unbedingt ein anderes Gesicht, aber kreiste doch um andere Fragen. Das Zentrum verlagerte sich immer mehr, und der Umgang mit den außerirdischen Eindringlingen wurde zunehmend eine Sache der richtigen Empfängnisverhütung. Wahrscheinlich ging die Action in dieser Reihe schon deshalb mehr unter die Haut.

Es war aber kein Geschlechterkampf, der da im All tobte, sondern eher ein Kampf um geschlechtliche Identität. Die Frau, die im ersten Teil vor allem ihren Mann stehen wollte, mußte im zweiten Teil auf einmal in die Mutterrolle schlüpfen. Nur so konnte sie sich mit einem Gegner messen, der sich als eierlegende Königin entpuppte. Im dritten Teil war sie dann tatsächlich schwanger, weil sie im Schlaf vom Alien vergewaltigt worden war. Das gipfelte in der Szene, in der sich das Alien schon bedrohlich Ripley nähert, um dann von ihr abzulassen, weil es sie als eine der ihren erkennt. Trotzdem entschied sie sich für einen Schwangerschaftsabbruch – indem sie selbst ins Feuer ging.

Diese Geschichten bedienten im gleichen Maße weibliche wie männliche Ängste, zehrten von den Schrecken der Schwangerschaft und Geburt wie vom Horror alles verschlingender Gebärmütter. So verbanden sich die maskulinen Phantasien der Drehbuchautoren mit der femininen Perspektive des Stars Sigourney Weaver zu einer Art pränataler Paranoia.

Bei einer so lange währenden Serie kann es nicht ausbleiben, daß sich auch die wechselnden gesellschaftlichen Zustände widerspiegeln. ALIEN (Ridley Scott, 1979) war noch ganz im Geiste der paranoiden Siebziger entstanden: Der Feind ist unter uns. ALIENS (James Cameron, 1986) war dann schon eher ein Kriegsfilm im Geiste Reagans: Der Feind kommt von außen und will nur eins – sich in unserer Mitte vermehren. In ALIEN 3 (David Fincher, 1992) bildete sich in der infizierten Ripley die Angst vor Aids ab, und die asketische Sträflingskolonie war dann schon die düstere Utopie einer neuer Enthaltsamkeit.

Neben den Auseinandersetzungen mit geschlechtlicher Identität und gesellschaftlicher Paranoia gibt es noch eine dritte Bewegungslinie, der die Saga folgt: die filmischen Gesetze des seriellen Erzählens. Wie in allen Filmen, die ihre sequels nach sich ziehen, folgt auf die Konstituierung im ersten Teil die Eskalation im zweiten – statt eines Aliens eine ganze Brut. Nach dieser rein physischen Inflation kommt dann im dritten Teil die Metaphysik – die Serie wird esoterisch, ein Spaß für Eingeweihte. Das kann nur mit dem Tod enden.

Welchen Regeln folgt also der vierte Teil, der nach dem Gesetz der Serie der reinste Luxus ist, also eigentlich überflüssig? Die Antwort ist ganz einfach: Sein Rezpt ist – passend zum Thema der Wiederauferstehung – das Recycling. Themen und Motive der ersten drei Teile werden wieder aufgegriffen und in neue Zusammenhänge gebracht. Dabei ist dem Franzosen Jean-Pierre Jeunet (Delicatessen) ein brilliantes Spektakel gelungen, in dem das Innerste nach Außen gekehrt wird.

Es geht diesmal um Genmanipulation; die geklonte Ripley ist eine Art Zwitterwesen und muß erst einmal ihre Identität finden. Das ist schon ein ziemlich genialer Schachzug des Autors Joss Whedon: Aus dem vierten Teil einen teuflischen Kreis zu schließen, der die Heldin entwicklungsgeschichtlich vor den ersten Teil zurückwirft, in eine sozusagen vor-geschichtliche, eine mythische Zeit. Ihre Erinnerungen sind ausgelöscht, und es geht nicht darum, wo der Feind steht, sondern um die uralte Frage: Wer bin ich? Ripley ist sich selbst entfremdet – in einer Serie namens Alien eine ziemlich logische Konsequenz.

Es gibt eine Szene in ALIEN – DIE WIEDERGEBURT, in der die atemlose Action innehält und zu einem Moment findet, der einem den Atem stocken läßt. Wenn Ripley von den Toten auferstanden ist, findet sie auf ihrem Arm eine eintätowierte Acht. Auf ihrem Weg durch das Raumschiff kommt sie an einer Türe mit der Aufschrift 1-7 vorbei, zu der ihr der Zutritt streng verwehrt ist. Als sie sich doch Einlaß verschafft hat, erkennt sie den Grund: In großen Reagenzgläsern finden sich die ersten sieben Klone jener Reihe, deren achter Versuch sie ist.

Eigenartig bewegt und entsetzt, wandert sie durch dieses Schreckenskabinett von Mißgeburten, die im Grunde ihre Geschwister, wenn nicht gar ihre Doppelgänger sind. Das siebte Experiment, das ihr schon ziemlich ähnelt, muß sie sogar noch eigenhändig aus seiner Qual befreien. Dieses Museum einer grauenvollen künstlichen Evolution, dieses Spiegelkabinett ihrer zerstörten Identität ist wirklich ein würdiger Höhepunkt einer faszinierenden Serie.
Am Ende rückt zum ersten Mal die Erde ins Blickfeld dieser Serie. Und Ripley sagt angesichts dieses Planten den ergreifenden Satz: „I’m a stranger here myself. ”

Man möchte das als Versprechen begreifen. Fortsetzung folgt: ALIEN 5: COMING TO AMERICA.

ALIEN RESURRECTION, USA 1997 – Regie: Jean-Pierre Jeunet. Buch: Joss Whedon. Kamera: Darius Khondji. Schnitt: Hervé Schneid. Produktionsdesign: Nigel Phelps. Effekte: Alec Gillis / Tom Woodruff. Musik: John Frizell. Darsteller: Sigourney Weaver, Winona Ryder, Dominique Pinon, Ron Perlman, Michael Wincott, Dan Hedaya, Brad Dourif, J.E. Freeman. Verleih: Twentieth Century-Fox. 115 Minuten.

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