14. April 1997 | Süddeutsche Zeitung | Rezension, Videoclip-Kritik | Warum

Kultur: Warum das neue Video von Tic Tac Toe

Die Wahrheit ist so bitter. Sagt Bild. Was für eine Zeile. Aus solchen Sätzen hat man früher Gedichte gebaut. Die Wahrheit ist so bitter. Heute lesen wir das im Vorbeigehen und tragen es einen Tag lang mit uns rum. Dahinter ein Photo von einem Mädchen in Dessous. Was hat sie damit zu tun? Kennt sie die Wahrheit? Und warum schmeckt sie bitter? Hat sie einen Minister verführt? Ist sie die Geliebte von Prinz Charles? Oder von Roland Kaiser? Wer solche Schlagzeilen erfindet, weiß vermutlich gar nicht, daß ein Poet in ihm steckt. Und noch weniger, daß das Wort Wahrheit an dieser Stelle in dieser Zeitung einigermaßen fehl am Platze wirkt. Wie bitter die Wahrheit ist, davon können diese Leute nicht mal träumen. Die schlachten jede Woche, jeden Tag ein neues Opfer: tote Kinder, verrückte Bayern, gefallene Engel. Ob Tic oder Tac oder Toe ist ganz einerlei. Eine muß dran glauben. Und was ist die Wahrheit? Sie war früher im Bordell in Bielefeld. Ausgerechnet Bielefeld. Jetzt ist sie Popstar. Ist doch klasse. Eine Geschichte mit Happyend. Je bitterer die Wahrheit ist, desto süßer schmeckt die Lüge.

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