18. August 1995 | Süddeutsche Zeitung | Film-Tips, Rezension | Film-Tips 18.08.1995

Für Filme gilt, was auch fürs wirkliche Leben gilt: Es geht darum, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein. Im Idealfall kristallisiert sich in ihnen dann ein Lebensgefühl und sie läuten ein Jahrzehnt ein.

Die Achtziger

DIVA von Jean-Jacques Beineix (Freitag bis Sonntag um 22.45 Uhr in der Lupe) traf einst genauso den Nerv wie LIQUID SKY von Slava Tsukerman (Freitag um 18 und 23 Uhr im Türkendolch). Sie brachten Punk und Glamour auf einer Ebene zusammen, die mit beidem nichts zu tun hatte und sich doch davon nährte. Neon kam damals in Mode, als Lebensgefühl sozusagen, als Symbol schmerzhaft klarer, durchwachter Nächte. Dazu kam bei Beineix die hinreißend langsame Kamerafahrt, die Wilhelmina Wiggins-Fernandez begleitet, wenn sie ‚La Wally‘ singt.

Die 68er

BARBARELLA von Roger Vadim (Montag bis Mittwoch um 22.45 in der Lupe; Samstag 18.45 und 23 Uhr im Türkendolch) und PETULIA von Richard Lester (Dienstag um 21 Uhr und Mittwoch um 18 Uhr im Filmmuseum) drehen sich um zwei Frauen, die auf ihre Art den Stilbruch verkörperten. Jane Fonda und Julie Christie waren verträumt und eigensinnig und nicht bereit, den Männern den Vortritt zu lassen. Wobei der Regisseur von PETULIA, Richard Lester, damals ungefähr so hip war wie Tarantino heute, was man schon daran sieht, daß die „Grateful Dead“ mitspielten. Dazu könnte man sich noch den zwei Jahre zuvor entstandenen A Funny Thing Happened on the Way to the Forum ansehen, bei dem ebenfalls Nicolas Roeg hinter der Kamera stand und Buster Keaton in seinem letzten Filmauftritt zu sehen ist.

Die Neunziger

Paul Schrader hat in LIGHT SLEEPER (Dienstag um 18.30 und 22.45 Uhr im Arena) gezeigt, was aus dem TAXI DRIVER und dem AmMERICAN GIGOLO geworden wäre, wenn man ihr Schicksal weiterverfolgt hätte. Willem Dafoe spielt einen Drogenkurier, den das Leben in der Neostadt müde gemacht hat. In dem Film findet sich eine der eigenartigsten und ergreifendsten Liebesgeschichten der letzten Jahre, in der Dana Delaney ein trauriges Ende nimmt.

Leos Carax ist sicher der Mann, der Tarantino Paroli bieten kann, wenn es um einen eigenen Ton dieses Jahrzehnts geht. In dem Double-Feature mit DIE LIEBENDEN VON PONT-NEUF und BOY MEETS GIRL (Montag um 20.30 Uhr im Arena) kann man aber auch feststellen, daß er auch in den Achtzigern seiner Zeit schon ein Stück voraus war.

Dazu sollte man sich den Film TIGER, LÖWE UND PANTHER von Dominik Graf (Dienstag 18.45 und 23 Uhr im Türkendolch) ansehen, der eine Vorstellung davon vermittelt, wie das deutsche Kino der achtziger Jahre hätte aussehen können, wenn es nicht mit dem Neuen Deutschen Film ergreist wäre. Es geht um drei Mädchen, um München, und darum, daß die Liebe nicht immer in die Geschichten mündet, die sie auf den ersten Blick verspricht. Solche Filme werden sonst gewöhnlich nur in Frankreich gemacht.

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