27. Juni 1992 | Süddeutsche Zeitung | Film-Tips, Rezension | Audrey Hepburn

Filmfest München: Ansichtssachen

Funny Face oder Die Magie der Frauen

Das Gesicht der Garbo sei Idee, schrieb Roland Barthes, das der Hepburn sei Ereignis. Man könnte auch sagen, gegen die Unberührbarkeit der einen steht die Schutzbedürftigkeit der anderen. Aber das wäre nur die halbe Wahrheit über Audrey Hepburn. Die Demut ihres Blicks wurde immer eingerahmt vom Hochmut ihrer Züge. Ihre unendliche Milde konnte von gnadenloser Mitleidigkeit sein, und ihre unverwüstliche Mädchenhaftigkeit Ausflucht vor dem Ernst des Lebens.

Im Grunde verkörperte sie im Jahrzehnt von Hollywoods Niedergang die Sehnsucht nach einer verlorenen Noblesse, nach einer klaren Linie. Sie war – und ist noch heute – wie ein Geschöpf von Walt Disney, eine feingliedrige Prinzessin in einem düsteren Märchenwald, ein Gegenentwurf zu den üppigeren Formen von Monroe bis Mansfield. Von Entwurf und Image handelt auch Stanley Donens Funny Face (Sonntag, 20 Uhr, Gasteig), wo Audrey Hepburn eine Buchhändlerin spielt, die von dem Photographen Fred Astaire in Paris zum Model geformt wird.

Donens erster Film On the Town (Samstag, 17.30 Uhr, Filmmuseum) ist die Geschichte von drei Matrosen, die 24 Stunden Landurlaub haben und drei Frauen kennenlernen (Vera-Ellen, Betty Garrett, Ann Miller). Von drei Frauen, die 24 Stunden Hafturlaub haben, erzählt Mehdi Charef in seinem vierten Spielfilm nach Tee im Harem, Miss Mona und Camomille. Claire Nebout, Maria Schneider und Laure Duthilleul spielen eine Kinds-, eine Gattenmörderin und eine Terroristin, die an ihrem einzigen freien Tag durch einen Eisenbahnstreik in der Provinz festgehalten werden und dabei einander kennenlernen.
Der Titel Au pays de Juliets (Sonntag, 15 Uhr, Theatiner) verweist auf Juliet Berto und Giuletta Masina, die wie Jean Seberg und Anna Magnani in kurzen Filmausschnitten zu sehen sind. Sie sind kommentarlos in den Film eingeflochten, als wären es Freundinnen, Vorbilder oder Schwestern im Geiste. Dieser bezaubernde Hinweis, daß wir uns im Land der starken Kinofrauen befinden, wurde in Cannes einfach mißachtet. Dabei ist der Realismus bei Charef eine Sache der inneren Wahrheit, ein Spiel mit den Möglichkeiten der Wahrnehmung. In immer neuen Arrangements und Auflösungen stellen sich die Heldinnen dar und besitzen dadurch eine Bewegungsfreiheit, um die sie Thelma und Louise nur beneiden können. Au pays de Juliets ist eine der zärtlichsten Liebeserklärungen an die Frauen, die sich das Kino in letzter Zeit ausgedacht hat.

Hal Hartley wiederum hat seiner damaligen Freundin Adrienne Shelley mit seinen beiden ersten Spielfilmen ein Denkmal gesetzt. In The Unbelievable Truth (Sonntag, 17.30 Uhr, Filmmuseum) und Trust (Samstag, 15 Uhr, Filmmuseum) ist sie Sweet Little Seventeen und sucht mit großen verwunderten Augen nach Antworten in einer Welt, die sich hinter ihrer Selbstzufriedenheit verschanzt hat. Wie Charef findet Hartley im Wechsel von Stilisierung und Selbstgenügsamkeit Momente von solcher Schönheit, daß man geneigt ist, an die Magie der Frauen zu glauben.

Jene Gudmundsdottir heißt die Rolle von Greta Scacchi in The Player (Sonntag, 22.30 Uhr, Gasteig), Robert Altmans bissigem Kommentar zum Stand der Dinge im heutigen Hollywood. Wenn wir June zum erstenmal sehen, steht Tim Robbins mit seinem Funktelephon vor ihrem Fenster und beobachtet sie heimlich, während sie mit ihm telephoniert . Magie, das ist ein Blick aus dem Dunkel auf ein Geschöpf in einem erleuchteten Fenster. Willkommen im Land der Audreys und Adriennes, Junes und Juliets. Das Filmfest ist eröffnet.

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