20. November 2003 | Frankfurter Allgemeine Zeitung | Porträt | Marie Trintignant

Abschiedsbrief einer Mutter

Die Mörder sind unter uns

Im Juli wurde die Schauspielerin Marie Trintignant, die sich zu Dreharbeiten in Vilnius aufhielt, von ihrem Freund, dem Rocksänger Bernard Cantat, im Hotelzimmer so heftig geschlagen, daß sie wenige Tage später nach ihrer Verlegung in ein Pariser Krankenhaus starb. Cantat wartet seither in einem litauischen Gefängnis auf seinen Prozeß – Maries Mutter Nadine Trintignant hat das Urteil indes schon gesprochen. In ihrem Buch „Ma fille, Marie“ bezeichnet sie ihn auf 167 Seiten fünfundachtzigmal als meurtrier und zweimal als assassin. Im einen Fall bezeichnet das die Absicht des Tötens, im anderen einen Plan, am Ende läuft es aufs selbe hinaus. Sie bezeichnet den Mann als Mörder und macht ihm in ihrem Buch einen kurzen Prozeß. Cantats Anwalt hat versucht, den Verkauf des Buchs zu unterbinden, weil die Vorverurteilung ein Vergehen darstelle, wurde aber vom Gericht abgeschmettert, weil das Buch „Ausdruck eines immensen Schmerzes“ sei. Und Nadine Trintignants Verteidiger setzte vor Gericht noch eins drauf, indem er seinem Gegenspieler zurief: „Die Frau ist keine Juristin. Für sie ist ein Mann, der ihre Tochter umgebracht hat, ein Mörder. Wenn Sie kein Wort mit juristischer Konnotation wollen, dann nennen Sie ein anderes! Totmacher? Totschläger, Massakrierer? Ihr Wort soll das unsere sein.“

140000 Exemplare wurden gedruckt, und es darf also weiter verkauft werden. Wenn man der Mutter folgt, dann ist die Beweislage eindeutig. Sie glaubt zu wissen, daß Cantat auch früher schon Frauen geschlagen hat und auch ihre Tochter nicht zum ersten Mal mißhandelt hat. Das Erschütternde an ihrem rhapsodischen Abschiedsbrief in Buchform ist jedoch der Hader der Mutter mit dem Umstand, daß sie die Zeichen nicht deutete, weil sie vor der Wahrheit die Augen verschlossen hatte. Schon der zweite Satz des Buches lautet: „Ich habe nicht gesehen.“ Die tragische Spannung des Buchs entsteht aus der Tatsache, daß die Mutter als Regisseurin dort in Vilnius tagtäglich die Tochter in der Rolle der Schriftstellerin Colette inszenierte und nicht begriff, daß Marie auch abseits der Kamera eine Rolle spielen mußte, um die wahre Natur ihrer Beziehung zu Cantat zu verbergen. In diesem Geflecht aus Blindheit und Sehen ist die Trauer der Mutter gefangen. Und auch wenn es für sie beim Schreiben nichts zu gewinnen gibt als die Beschwörung der Erinnerungen, findet sie den einzigen Trost, falls man davon sprechen kann, im Plädoyer für geschlagene Frauen, im Engagement gegen ihre brutalen Männer: „Sie sind zahlreich. Sie leben nicht nur in den Trabantenstädten. Unter ihnen sind, ob uns das gefällt oder nicht, Männer, die Zugang zur Kultur haben, also zur Reflexion. Darunter sind Männer, die rechts stehen, und, auch wenn uns das verstört, die sogenannten Linken.“ Damit greift sie noch mal den Schock des französischen Kulturbetriebs auf, daß sich ausgerechnet der Weltverbesserer Cantat von der Gruppe Noir Désir als Schläger entpuppt hat und damit einige romantische Illusionen vom leidenschaftlichen Poeten zerstört hat.

Die Mutter hat das Buch mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln geschrieben, Wut, Verzweiflung, Pathos, Schmerz, Ohnmacht, Rührung. Aber am wirkungsvollsten ist etwas ganz anderes. Nicht die Tatsache, daß Nadine Trintignant ihn als Mörder bezeichnet, wird Bernard Cantat treffen, sondern der Umstand, daß sie auf 167 Seiten nicht ein einziges Mal seinen Namen nennt. Die Vorverurteilung ist das eine, aber diese Anonymisierung ist eine wahrhaft vernichtende Geste. Sie nimmt ihm den Namen, sie löscht ihn aus. Das ist die Rache der Mutter, der man die Tochter genommen hat.

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