Der Stoff, aus dem die Helden sind
Dem Schauspieler, Schriftsteller und Dramatiker Sam Shepard zum sechzigsten Geburtstag
Kurz bevor er starb, so war zu lesen, schenkte Max Frisch seinen Jaguar Volker Schlöndorff, der gerade HOMO FABER verfilmte. Man kann hinter der Geste Großzügigkeit, Dankbarkeit oder Zuneigung vermuten, aber vielleicht ist es gar nicht so abwegig, darin auch ein Stück geschmeichelte Eitelkeit zu sehen. Schließlich war es dem Regisseur gelungen, für die Hauptrolle des Faber Sam Shepard zu gewinnen. Und auch wenn der Roman natürlich nicht autobiographisch ist, kann man sich schon vorstellen, daß es Frisch gefallen hat, seine Erzählstimme in einem amerikanischen Schauspieler gespiegelt zu sehen, den nicht nur Frauen für den bestaussehenden Kinohelden nördlich von Gary Cooper und östlich von Clint Eastwood halten.
Es ist ein Jammer, daß es kaum mehr Western gibt und daß die wenigen, die es gibt, ohne ihn auszukommen glauben. Wahrscheinlich wäre Sam Shepard als Cowboy einfach zu gut, um wahr zu sein. Und so ist er wahrscheinlich viel besser aufgehoben in einer Rolle wie der des Testpiloten Chuck Yeager, für die er in Philip Kaufmans DER STOFF, AUS DEM HELDEN SIND eine Oscar-Nominierung bekam. Die anderen Piloten lassen sich von der Nasa fürs Raumfahrtprogramm gewinnen, doch Yeager will sich nicht zum dressierten Affen machen und bleibt lieber bei seinen Ultraschallflugzeugen, bei Frau und Pferd in der Wüste. Natürlich ist dieser Space Cowboy der wahre Held des Films. Am Ende liegt sein Name den Astronauten auch auf den Lippen, als sie von den Journalisten gefragt werden, wer denn der beste Pilot sei; doch nach einem langen Moment des Zögerns erkennen sie, daß die wahren Helden in diesem Rummel unbesungen bleiben müssen, und ziehen lieber ihre eigene Show ab.
THE RIGHT STUFF das ist die Rolle seines Lebens und obwohl Shepard in den 25 Jahren von DAYS OF HEAVEN bis BLACK HAWK DOWN zunehmend häufiger im Kino auftritt, merkt man seiner Rollenwahl an, daß er unter keinen Umständen zu weit aus sich herausgehen möchte. Im Grunde hält er die Schauspielerei für einen unmännlichen oder zumindest unnatürlichen Beruf. Und sosehr das Kino in seinen Erzählungen immer als Sehnsuchtsbild auftaucht, so tief sind Befremden und Entfremdung, wenn es um seine eigene Rolle darin geht. Jedenfalls gehören MOTEL CHRONICLES, HAWK MOON und zuletzt GREAT DREAM OF HEAVEN zu den schönsten Prosastücken der neueren amerikanischen Literatur, so knapp und genau im Ausdruck, daß die Grenzen zum Gedicht manchmal fließend sind – die meisten von ihnen würden gut zum Songtext taugen.
Eigentlich wollte Shepard ja Musiker werden; statt dessen schrieb er zum Zeitvertreib Stücke, mit denen er zu einem der wichtigsten Dramatiker seines Landes aufstieg. Das erste hieß natürlich „Cowboys“. 1979 gewann er für „Buried Child“ den Pulitzerpreis, und am bekanntesten ist mittlerweile wahrscheinlich „Fool for Love“, das von Robert Altman verfilmt wurde. Seine Anfänge liegen zwar im New Yorker Avantgarde-Theater der sechziger Jahre, aber seine Stücke handeln von Menschen, die in der Weite des Landes gefangen sind – oder, wie es David Thomson ausdrückte: „Die Götter in diesem Ödland sind Autos und Highways, die Wüste und ihre verbitterten, verhärteten Geschöpfe, Sex, Suff, Rock und seine Monster, das Kino und seine Geister.“
Shepard hat auch zweimal selbst Regie geführt, bei SILENT TONGUE mit Richard Harris und River Phoenix und FAR NORTH mit seiner Lebensgefährtin Jessica Lange, zwei bemerkenswert spröde, fast schon abstrakte Geschichten, deren Bilder sich ausgerechnet jener Anschaulichkeit verweigern, die Shepards Schreiben zu eigen ist. Er ist ein Cowboy, der weiß, daß die Zeit der Cowboys vorbei ist. Ein Star, der weiß, daß es kaum eine lächerlichere Existenzform gibt. Ein Autor, der weiß, daß seine einzige Rettung in beiden Fällen im Schreiben liegt.
Am besten kommt diese Mischung aus Distanz und Nähe zum eigenen Land, dieses Wissen um Traum und Täuschung zum Ausdruck in den beiden Drehbüchern, die er für europäische Regisseure geschrieben hat: ZABRISKIE POINT für Michelangelo Antonioni und PARIS, TEXAS für Wim Wenders. Es wurden daraus die unamerikanischsten Filme, die man sich denken kann, und wahrscheinlich ist genau das der Grund, warum sie genauer ins Herz dieses Landes getroffen haben als alle anderen. Und wenn man sich zum Sechzigsten von Sam Shepard etwas wünschen darf, dann, daß er möglichst schnell mit Wenders das Buch zu ihrem nächsten Film DON’T COME KNOCKIN beendet, der nächstes Jahr gedreht werden soll.