30. November 1990 | Die Zeit | Porträt | Fritz Lang

Fritz Lang zum hundertsten Geburtstag

Keine Heimkehr

Ein letzter Besuch auf dem Markt, wo mit Lügen gehandelt wird. Drei Filme für Artur Brauner, jeder eine Anknüpfung an die eigene Vergangenheit: DER TIGER VON ESCHNAPUR, DAS INDISCHE GRABMAL und DIE 1000 AUGEN DES DR. MABUSE. Aber Deutschland war kein Ort für eine Heimkehr. Dazu kam es erst in Godards VERACHTUNG. Da durfte Fritz Lang sich selbst spielen, die Apotheose eines Filmregisseurs. Daß Lang erst nach Frankreich kommen mußte, um Schule zu machen, sagt alles über das deutsche Kino jener Jahre.

DAS KINDISCHE GRABMAL nannte Lang seinen Indien-Film im Scherz. Und alle gaben ihm recht. Dabei sahen sie nichts von der kindlichen Lust des alten Mannes am schieren Funktionieren. Die mangelnde Professionalität der Produktion verstärkt in den Indien Filmen noch das Vergnügen, weil dadurch das Getriebe in der Maschinerie sichtbar wird. Identifikation ist nichts, Bewegung alles. Reinere Abenteuerfilme als DER TIGER VON ESCHNAPUR und DAS INDISCHE GRABMAL sind kaum vorstellbar. Der Geist von Längs frühen Serials lebt darin fort, wo Träume und Alpträume Gestalt annehmen, zu Phantomen gerinnen, die sich wie Angst über die Stadt legen. Auch wenn der Weg durch Wüste und Dschungel führt, wenn Tiger, Elefanten und Krokodile vorkommen, sind die beiden Filme doch ausschließlich urbane Phantasien. Sie handeln von Räumen und ihrer Organisation. So wie DIE 1000 AUGEN, in denen Mabuse über ein Hotel wacht, aus dessen Zimmern ihm versteckte Kameras Bilder auf sein Schaltpult liefern. Das ganze Gebäude ist da auf einen Blick verfügbar, wie auf einem Grundriß.

Bei Lang zählt weniger der architektonische als der topographische Blick, die Aufsichten mehr als die Ansichten, Stadtpläne mehr als Ausstattungen. Seine deutschen Filme erzählen von den Ängsten und Visionen eines Stadtplaners, in denen die metropole Ordnung Metastasen bildet, die sie überlagern oder unterminieren. Darum sind Längs Filme für Brauner die konsequente Fortführung seiner Filme vor dem Exil. Die künstlichen Teiche und Stege, die Höhlen und Tunnel, sie sind der kühne Versuch, die Ordnung und das Chaos unter einem Dach zu vereinen. So bilden die Schichten dieser Architektur die wahre Geschichte der drei letzten Filme.

Man ist fast versucht, all das mit Längs Einäugigkeit zu erklären. Denn seine Bilder lassen sich leicht lesen als Folien, in denen das räumliche Sehen simuliert wird durch Überlagerung. Die auf Umrisse reduzierten graphischen Phantasien schlagen plötzlich aus nach unten und oben. Dazu sollte man an Fritz Lang denken, wie er in „Die Verachtung“ vor Malapartes Haus auf Capri der Dolmetscherin Francesca, die einen gelben Bademantel trägt, begegnet und freundlich bemerkt: „Schöne gelbe Farbe!“ Sonst nichts.

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