07. Dezember 1990 | Süddeutsche Zeitung | Porträt | John Fante

John Fante, Autor des amerikanischen Traums, Lieblingsschriftsteller von Charles Bukowski, wird posthum fürs Kino entdeckt.

Hitler ist an allem schuld. 1939 brach der Krieg aus zwischen Adolf Hitler und dem amerikanischen Verlag Stackpole, in dem gerade John Fantes zweiter Roman erschienen war. Die Deutschen verklagten den Verlag, weil er eine unautorisierte Ausgabe von „Mein Kampf“ auf den amerikanischen Markt gebracht hatte.

Hitler gewann vor Gericht, der Verlag mußte zahlen und ging kurz darauf pleite. Deshalb war auf einmal kein Geld mehr da, um Fantes Buch die Aufmerksamkeit zu verschaffen, die es verdient gehabt hätte.

Der Roman „Ask the Dust“ (deutsch: „Ich – Arturo Bandini“) verkaufte nur 750 Exemplare und geriet dann wieder in Vergessenheit. John Fante war damals dreißig Jahre alt, hatte gerade eine Frau geheiratet, die „wundervolle Poesie schreibt und auch in der Küchenschürze eine bemerkenswerte Figur abgibt“. Er lebte in Los Angeles, im Stadtviertel Bunker Hill, wie sein Romanheld Arturo Bandini: „Staub und alte Häuser und alte Leute, die am Fenster sitzen…sie haben ihr Zuhause und ihre Läden verkauft und sind mit dem Zug und dem Auto ins Land des Sonnenscheins gekommen, um in der Sonne zu sterben…ein paar Dollar auf der Bank, genug, um die „Los Angeles Times“ zu abonnieren, genug, um die Illusion am Leben zu halten, daß hier das Paradies ist, daß ihre kleinen Papphäuser Schlösser sind. Die Entwurzelten, die leeren, traurigen Menschen, die Alten und die Jungen, die Leute von daheim. Das waren meine Landsleute, das waren die neuen Kalifornier.

Das sind die Helden von John Fantes Büchern, von den acht Romanen und 28 Kurzgeschichten. Eine Welt der Tagträumer und Nachtschwärmer, der Unverzagten und Verzweifelten, der Dämmerung und des Morgengrauens. Sie ziehen aus, ihr Glück zu versuchen, aber erst wenn sie ganz unten sind, tritt es überraschend auf sie zu, begleitet sie ein Stück weit, um sie dann wieder zu verlassen. Da stehen sie dann, die jugendlichen Ausreißer und angehenden Schriftsteller, stehen in irgendeinem verschneiten Kaff in Colorado, wo einst ihre italienischen Eltern gestrandet sind, oder in einem leeren Zimmer in Bunker Hill, mit nichts als zwei Orangen unterm Bett und einer viel zu seiten benutzten Schreibmaschine auf dem Tisch. Es ist immer wieder dieselbe Geschichte, und ihr Tonfall wechselt mit den Launen und Stimmungen ihrer Helden. Aber die meiste Zeit hadern sie mit ihrem ungnädigen Schicksal, wie Arturo Bandini, der nachts mit zehn Dollar von seiner Mutter durch Bunker Hill streift: „Zehn Dollar, damit könnt‘ ich die Miete für zweieinhalb Wochen zahlen, drei Paar Schuhe kaufen, zwei Paar Hosen oder tausend Briefmarken, um Manuskripte an Verieger zu schicken; genauso ist es! Aber du hast überhaupt keine Manuskripte, dein Talent ist zweifelhaft, dein Talent ist jämmerlich, du besitzt gar kein Talent, und hör endlich auf, dich Tag for Tag zu belügen.“

Von den zehn Dollar w;rd er acht einer Nutte geben, mit der er dann noch nicht einmal schläft, weil er lieber den großen Mann mimt, für den Geld keine Rolle spieit. Am nächsten Tag gibt es dann wieder nur Orangen, morgens, mittags, abends.

Daß John Fante ein wirklich großer Schriftsteuer war, hätte die Welt beinahe übersehen, wenn nicnt kurz nach dem Erscheinen von „Ask the Dust“ em anderer Mann durch die Downtown von Los Angeles gestreift wäre, der ebenfalls Schriftsteller werden wollte. Immer wenn dieser Mann nichts zu essen oder zu trinken hatte, oder wenn seine Hausbesitzerin wegen der ausstehenden Miete hinter ihm her war, ging er jn die Bücherei – also ziemlich häufig. Dort las er, was ihm zwischen die Finger kam ohne allerdings Literatur zu finden, die mit ihm oder den Straßen oder den Leuten um ihn her um erwas zu tun gehabt hätte. Der Mann hieß Charles Bukowski. Wie er plötzlich auf John Fante stieß, daran erinnert er sich in seinem Roman „Fast eine Jugend“: „Eines Tages holte ich ein Buch heraus, öffnete es, und da war es. Einen Moment lang stand ich lesend da. Dann trug ich wie ein Mann, der Gold auf einer Müllkippe gefunden hatte, das Buch zu einem Tisch. Mit leichter Hand waren die Zeilen über die Seite geworfen, da war ein richtiges Fließen…

Hier endlich war ein Mann, der keine Angst vor Emotionen hatte. Mit überwältigender Schlichtheit vermischten sich Humor und Schmerz. Für mich stellte der Anfang dieses Buches ein wildes, großartiges Wunder dar…

Das Buch hieß „Ask the Dust“ und der Autor John Fante Er sollte einen lebenslangen Einfluß auf mein Schreiben haben…Fante war mein Gott.“

Charles Bukowski konnte nicht ahnen, daß er mit dieser Romanszene seinem Vorbild zu einer späteren Wiederentdeckung verhelfen würde. Daß Bukowski überhaupt einen Lieblingsautor besaß, überraschte seinen Verleger John Martin und noch mehr, daß er von diesem Mann noch nie etwas gehört hatte. Er mußte erst einmal fragen, ob John Fante echt oder erfunden sei. Um zu beweisen, wie echt dieser Fante war, schickte Bukowski seinem Verleger den Roman. Und als Martin ihn las, traute er seinen Augen kaum. Er hatte einen amerikanischen Klassiker vor sich, den niemand kannte, so dachte er jedenfalls.

Aber das Buch war mittlerweile auch anderen aufgefallen. Einer der ersten war der Drehbuchautor Robert Towne, der 1973 bei seinen Recherchen zu CHINATOWN auf „Ask the Dust“ gestoßen war und darin genauere und anschaulichere Schilderungen aus dem Los Angeles der dreißiger Jahre gefunden hatte als irgendwo sonst. Er erwarb eine Option auf das Buch, konnte aber keinen Produzenten dafür gewinnen. Fante selbst war weder von dem jungen Verehrer noch von dessen Projekt beeindruckt – und Towne war damals immerhin der berühmteste und gefragteste Drehbuchautor Hollywoods.

Aber Bukowskis Verleger Martin blieb hartnäckig. Er machte sich auf die Suche nach Fante und fand den 71jährigen in einem Anwesen ein paar Meilen nördlich von Los Angeles, auf Point Dume, einer Landzunge, die nach Fantes Beschreibung ins Meer ragt wie eine Titte in einen Pornofilm. Die „Rancho Fante“ hatte sich das vergessene Genie einst von seinen Verdiensten in der verhaßten Filmindustrie gekauft. Jetzt lebte er dort mit seiner Frau Joyce und konnte das Haus nicht mehr verlassen. Als Folge einer Diabetes war John Fante 1978 erblindet und harte im weiteren Verlauf der Krankheit durch Amputation Teile seiner beiden Beine verloren. Martin brachte „Ask the Dust“ 1980 mit einem Vorwort von Bukowski neu heraus. Der Erfolg in den USA war zwar mäßig, aber zusammen mit den Neuauflagen, die diese Wiederentdeckung in Europa nach sich zog, genügte er, um John Fantes Schaffenskraft noch einmal zu beflügeln. Er begann, seiner Frau einen neuen Roman zu diktieren. Die ersten Versuche gingen noch hoffnungslos daneben, aber nach und nach gelang es Fante, sein Denken auf diese Arbeitsmethode einzustellen. „Als er Dreams front Bunker Hill“ (deutsch: „Warten auf Wunder“) schrieb, war er so glücklich, wie man nur sein kann“, erinnert sich Joyce Fante, „und das, obwohl er blind und zweifach amputiert war. Er war glücklich, weil er tun konnte, was er am liebsten tat – schreiben.“

Der Roman erschien 1982, und John Fante bekam noch weitere Neuauflagen seiner Bücher mit, ehe er am 8. Mai 1983 im „Motion Picture and Television“-Hospital in Woodland Hills starb. Was er nicht mehr erleben konnte, ist seine Neuentdeckung in Hollywood. Nachdem in den Fünfzigern Richard Quine seinen Roman „Full of Life“ sogar mit einigem Erfolg verfilmt hatte, war Fante in Vergessenheit geraten. Jetzt kommt WARTE BIS ZUM FRÜHLING, BANDINI mit Joe Mantegna und Ornella Muti in die Kinos, inszeniert von dem Belgier Dominique Deruddere, dessen Erstling CRAZY LOVEnach drei Geschichten von Charles Bukowski entstanden war. Und fünf weitere Verfilmungen sind in Planung oder Produktion. Unter anderem will Claude Berri (Jean de Florette) gleich zwei Stoffe verfilmen: „Dreams from Bunker Hill“ und „West of Rome“; Daniel Vigne (DIE RÜCKKEHR DES MARTIN GUERRE) hat sich „Ask the Dust“ vorgenommen, und Curtis Hanson (TODFREUNDEe) steckt in den Vorbereitungen zu „The Brotherhood of Grape“.

Vielleicht tragen diese Projekte dazu bei, daß John Fante ein Platz unter den Großen der Literatur zugewiesen wird, so wie es sich sein Held Bandini erträumt hat: „Die Bücherei mit all den großen Jungs in den Regalen, der alte Dreiser, der alte Mencken, all die Jungs da unten, und ich ging sie besuchen, hallo Dreiser, hallo Mencken, hallo, hallo: Auch für mich gibt’s einen Platz, fängt mit B an, im B-Regal, Arturo Bandini, macht Platz für Arturo Bandini, die Lücke für sein Buch…

Ich würde dem B ein bißchen Auftrieb geben, der alte Arturo Bandini, einer von den Jungs, bis dann ein Mädchen vorbeikäme, etwas Parfümduft in der Romanabteilung und das Klicken hoher Absätze, um die Monotonie meines Ruhms aufzulockern.“

„Allmächtiger Gott, tut mir leid, daß ich jetzt Atheist bin, aber hast du Nietzsche gelesen? Ah, welch ein Buch! Allmächtiger Gott, ich will fair sein. Ich will dir einen Vorschlag machen. Mach einen großen Schriftsteller aus mir, und ich werd‘ zur Kirche zurückkehren.“

Von Anfang an ging es bei Fante nur um den Erfolg. Der erste, der ihn ermutigte und förderte, war H.L. Mencken, der Herausgeber der einflußreichen literarischen Zeitschrift „The American Mercury“. Dem Fünfzigjährigen hatte der junge Fante seine ersten Geschichten geschickt und sich dabei immer um zwei Jahre jünger gemacht, als er wirklich war, um die Frühreife seines Talents zu unterstreichen. In seinen Briefen verfolgte er Mencken mit einer geradezu grenzenlosen Verehrung, ersuchte um Ratschläge, genierte sich aber auch nicht, einen anderen Ton anzuschlagen, wenn der Meister mit einer Antwort auf sich warten ließ: „Unnützerweise muß der Mensch einen Gott haben. Sie sind immer noch meiner. Vielleicht liegt es an dem Masochismus, den ich von den Katholiken habe, daß ich Sie verehre, selbst nach allem, was sich davon verflüchtigt hat.“

Fante kopierte sein Vorbild, wo es nur ging: rauchte Zigarren, trug hohe Schuhe, scheitelte sein Haar in der Mitte, übte denselben Stil und hielt sich sogar eine Schildkröte im Garten, die ihn allerdings ziemlich bald wieder langweilte – alles genau wie Mencken. Als Fante dies Mencken in einem Brief gestand, fügte er hinzu, daß es ihn außerdem entsetzlich gequält habe, nicht zu wissen, welche Zahnpasta sein Idol verwende. Und darüber hinaus ließ Fante seinen Förderer gleich wissen, daß er plane, Herausgeber des „American Mercury“ zu werden. Mencken nahm die Ankündigung gelassen hin und druckte im August 1932 Fantes erste Geschichte: Altar Boy. Fante versprach seinem Idol immer wieder, ihm seinen ersten Roman zu widmen. Er bekam 450 Dollar Vorschuß und sieben Monate Zeit. Als beides aufgebraucht war, hatte Fante immer noch kein brauchbares Manuskript. Aber der Verleger besaß einen Packen Briefe, in denen Fante einen wirklich großen Wurf ankündigte. Erst 1952 kam Mencken zu seiner Widmung, in dem einzigen, halbwegs erfolgreichen Roman Fantes „Full of Life“. Da war Mencken nach einem Hirnschlag ans Bett gefesselt und konnte nicht mehr lesen. Aber seine Haushälterin schrieb an Fante, ihr habe das Buch sehr gefallen. Vier Jahre später starb Mencken in Baltimore, ohne John Fante je getroffen zu haben.

Zu jener Zeit hatte Fante seine Illusionen über den Beruf des Schriftstellers längst verloren. Er hatte in Hollywood die Erfahrungen gemacht, die fast alle großen Dichter dort machen mußten. Für die meisten Studios hatte er irgendwann mal gearbeitet. In „Dreams from Bunker Hill“ hat er das beschrieben: „Mit der Zeit fühlte ich mich wie ein Waise, ein Ausgestoßener, Unproduktiver und Verbannter. Das Geld hielt mich dort, die Abwesenheit von Armut und die Angst vor ihrer Rückkehr. Ich nahm mein kleines Sparbuch heraus und betrachtete die Zahlen…

Ich hatte keinen Grund zur Klage.“ Das hielt ihn dort gefangen, dabei blieb es. Bis Robert Towne und später John Martin auftauchten.

John Fante war ein Amerikaner durch und durch. Sein Schreiben war amerikanisch, sein Denken war amerikanisch. Es gibt nicht viele schönere Bücher über dieses Land und über seine Träume. Und keinen Autor, der besser zeigen konnte, wie schwierig es ist, genau darüber zu schreiben. Er meint sich selbst, wenn er Arturo Bandini beobachtet: „Zwei Tage hintereinander vor seiner Schreibmaschine, zum Erfolg entschlossen; aber es funktionierte nicht, die längste Belagerung seines Lebens, voller harter und schneller Entschlossenheit, und nicht eine einzige Zeile kam dabei heraus, nur ein Wort wieder und wieder über die Seite geschrieben, rauf und runter, das gleiche Wort: Palmbaum, Palmbaum, Palmbaum, eine tödliche Schlacht zwischen dem Palmbaum und mir, und der Palmbaum siegte: Da draußen schwankte er in der blauen Luft, ächzte süß in der blauen Luft. Der Palmbaum siegte nach zwei Tagen harten Kampfes, und ich kroch aus dem Fenster und setzte mich an den Fuß des Baumes. Zeit verging, ein Augenblick oder zwei und ich schlief; kleine braune Ameisen taten sich in den Haaren meiner Beine gütlich.“

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