27. Januar 1995 | Süddeutsche Zeitung | Porträt | Juliette Gréco

Juliette Gréco in Germering

Bonjour Tristesse

Damit keine Mißverständnisse aufkommen: Germering ist nicht die deutsche Übersetzung von Saint Germain, auch wenn es im weitesten Sinne an der Rive gauche der Isar liegt. Stadthalle Germering also, das ist ein paar Lichtjahre vom Kellerlokal Le Tabou entfernt, wo Juliette Grécos Karriere einst begann. Aber sie selbst ist dem Geist und den Gesten jener Zeit treu geblieben. Immer noch ist sie das Geschöpf, das sich freiwillig ins Reich der Schatten begeben hat. Immer noch das Gesicht aus weißem Marmor, auf dem der rote Mund wie eine Rose liegt. Immer noch die schwarzen Augen, die mit dramatischer Geste von tausend durchwachten Nächten künden. Immer noch die existentialistische Pose, mit der sie sich seit Jahrzehnten aufs Rendezvous mit dem Tod vorbereitet, um ihm dann ins Gesicht zu lachen. Alles andere wäre ja auch eine Enttäuschung.

Es ist ja schon erstaunlich genug, daß sie es geschafft hat, hinter ihrer Maske aus Kohle und Kreide nicht zu erstarren und sich eine Lebendigkeit zu bewahren, die sich auch durch Posen und Gesten hindurch auf der Bühne mitteilt. Das fängt an mit „Non, Monsieur“, steigert sich langsam zu „Les années d’autrefois“, ehe sie ihre Hände flattern läßt wie Turteltäubchen „…sous le ciel de Paris“. Der Leib ist hingegossen wie eine Jugendstilfigur, und die Hände erledigen die Arbeit in bewährter Manier, vor allem natürlich bei so naheliegenden Angelegenheiten wie „Accordéon“ oder „Les femmes sont belles“. So erzählt das Spiel der Finger Geschichten von Trennungen und Begegnungen, von Liebe und Verlust. Das gestische Vokabular ist zwar bekannt, funktioniert aber immer noch ganz gut, wenn es in den Chansons ernst wird. In Carriéres UN JOUR D’ÉTÉ etwa oder in Brels J’ARRIVE, wo man erleben kann, wie sie mit Passion wettmacht, was ihrer Stimme womöglich fehlt. Daraufhin wird sie erst einmal mit Blumen überhäuft, was sie mit „Les Feuilles mortes“ kontert.

Die Ansagen gurrt und schnurrt sie, mal Kätzchen, mal Kokotte – wenn man das mit 67 Jahren so würdevoll hinkriegt, muß man schon mit dem Herzen dabei sein. Parlez-moi d’amour: So ist das mit der Liebe in Frankreich: Sie macht alle Frauen schön und alle Männer schwach, aber geschenkt kriegt man dabei nichts. Es folgen Höhenflüge wie „Paris canaille“, und dann setzen wir zur Landung an mit „L’Embellie“ und „Ne me quitte pas“ – und sind wieder in Germering. Bonjour Tristesse.

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