I did it my way
Frank Sinatra wird 75
Ein alter Mann und sein Sekretär, Charles Vanel und Jean-Paul Belmondo, auf der Flucht vor dem Gesetz. Bevor sie sich von New York aus aufmachen in den Süden, hat Belmondo noch einen Wunsch. Er will ein Haus sehen, in dem einst ein kleiner Amerikaner groß geworden war, ein unscheinbares Backsteingebäude in der Monroe Street in Hoboken, New Jersey. Dieser Sohn armer italienischer Einwanderer, sagt er, sei schon immer sein Vorbild gewesen. Denn „er hatte aus nichts alles gemacht, und das wollte ich auch“.
Der kleine Amerikaner war Frank Sinatra. und die Szene stammt aus DIE MILLION EINES GEHETZTEN, einem Film des Franzosen Jean-Pierre Melville, dessen Helden eigentlich nie Vorbilder haben, weil sie selbst gut genug wissen, was sie tun müssen und was nicht. Wenn diese Männer überhaupt je reden, dann bestimmt kein Wort zuviel. Für jene Hommage ans Reich der schweigsamen Männer hatte Melville also eine Ausnahme von der Regel gemacht. Das will schon etwas heißen.
Während also in jenem Jahr 1962 einer von Melvilles Gangstern dem Geburtshaus einen Besuch abstattete, hatte Sinatra selbst wieder einmal Ärger wegen seiner Kontakte zur Unterwelt. Angeblich aus Sicherheitsgründen hatte John F. Kennedy im März 1962 auf einen Aufenthalt in Sinatras Haus verzichtet und war zu Bing Crosby gezogen. Ursache der Absage war jedoch ein Bericht, den der Justizminister Robert Kennedy seinem Bruder vorgelegt hatte. Darin war die Rede vom auffällig häufigen Kontakt Sinatras mit Figuren der Mafia. Es gab zwar keine konkreten Beweise, aber man fürchtete doch, Sinatras Freundschaft könnte dem Präsidenten im nächsten Wahlkampf unter Umständen in Verlegenheiten bringen. Aus Verdruß über den plötzlichen Gesinnungswandel verließ Sinatra während des Kennedy-Besuchs die Stadt. Das war der Anfang vom Ende seines Engagements für die Demokraten. Ab 1968 kämpfte der Mann, den die Republikaner einst wegen seines Eintretens für Roosevelt den „Schnulzensänger des New Deal“ genannt hatten, auf einmal für Reagan, Agnew und Nixon. Es wirkt fast so, als habe sich der Sänger auf der politischen Bühne immer wieder beweisen wollen, daß seine Stimme auch wirklich etwas zählt in diesem Land.
„The Voice“ haben sie ihn getauft, die Stimme. Was heute darin nach Erfahrung klingt, verhieß damals Sex. Die Backfische gerieten darüber in eine noch nicht dagewesene Ekstase. Der Manager der Paramount, Bob Weitman, erinnerte sich später: „Als er anfing zu singen, standen sie auf und schrien und stöhnten so lange, bis ich dachte, entschuldigen Sie den Ausdruck, er hätte seine Hosen heruntergelassen.“ Das war 1942, und da hatte Sinatra nach langen Jahren als Sänger in Bands den Durchbruch als Solist geschafft. Er hatte erst auf Veranstaltungen des sizilianischen Kulturinstituts in Hoboken gesungen, war dann mit Bands herumgezogen und hatte schließlich bei dem berühmten Bandleader Tommy Dorsey alles über Atemtechnik, Phrasierung und Darbietung gelernt. Aber Sinatra wollte mehr als nur einen gut bezahlten festen Job als Sänger.Und er bekam alles. Während und kurz nach dem Krieg war Sinatra eine Stimme für Millionen und löste als erster Massenphänomene aus wie später nur Popstars.
Aus diesem Anlaß schrieb E.J. Kahn damals im New Yorker: „Wenn Franz Liszt Klavier spielte, kippte immer wieder mal eine Zuhörerin um. Andere Frauen küßten den Saum von Johann Strauß‘ Mantel und weinten vor Freude, wenn sie Pendereckis rotes Haar erblickten. Als der norwegische Geigenspieler Ole Bull, ein Hüne mit langem, goldenem Haar. 1943 zu einigen Konzerten hier herüber kam, spannte sein weibliches Gefolge die Pferde seiner Kutsche aus und zog ihn selbst durch die Stadt. Und dann war da noch Rudolpho Valentinos Begräbnis, aber Sinatra…“
Die Mädchen rissen ihm die Kleider vom Leib und erdrosselten ihn dabei um ein Haar; die Kellner verkauften seine Zigarettenstummel für zehn Dollar das Stück; und manch einer sammelte seine Fußabdrücke im Schnee, um sie dann im Eisfach aufzubewahren. Die Fans waren verrückt nach ihm, und Sinatra sagte nur: „Überall herrschte große Einsamkeit, und ich war das Ebenbild des Jungen aus dem Drugstore an der Ecke, des Jungen, den man in den Krieg geschickt hatte.“ Frankie Boy selbst mußte nicht in den Krieg, es hieß offiziell, er sei „unentbehrlich für Wohl, Sicherheit und die Interessen der Nation“. Die Kritik daran steckte Sinatra locker weg. Aber sein Stern stieg so schnell, daß er verglühte, sobald er ganz oben angelangt war. Seine Streitereien mit der Presse häuften sich. Man beschuldigte ihn erstmals. für die Mafia zu arbeiten, seine Frau Nancy reichte die Scheidung ein, und es kamen andere Musiker: Frankie Laine. Tony Bennett, Perry Como oder Nat King Cole und Johnny Ray. Schon Anfang der Fünfziger lebte Sinatra nur noch von vergangenem Ruhm, neue Verträge schloß man mit ihm kaum mehr.
Er war so weit unten zu jener Zeit, daß er den Columbia-Chef Harry Cohn beknien mußte, damit der ihn für eine Nebenrolle wenigstens testen ließ. Sinatra flog auf eigene Kosten aus Afrika, wo seine zweite Frau Ava Gardner Mogambo drehte, zu den Probeaufnahmen. Er war darin dann auch sehr gut, aber erst als er anbot, für nur tausend Dollar die Woche zu spielen, bekam er auch die Rolle – sein Mitbewerber Eli Wallach hatte mehr als das Doppelte verlangt. Der Film hieß VERDAMMT IN ALLE EWIGKEIT, der Regisseur war Fred Zinnemann, und für die Rolle des Maggio gewann Frank Sinatra einen Oscar.
Sein Auftritt wurde eines der aufsehenerregendsten und bewegendsten Comebacks in der Geschichte des Showgeschäfts. Der Kuß von Burt Lancaster und Deborah Kerr in der Brandung hatte die Leute ins Kino gelockt, der Tod des treuen, kleinen Italieners Angelo Maggio hatte sie mitgerissen. Mit den Tränen, die zu Montgomery Clifts Zapfenstreich nach dem Tod seines Freundes vergossen wurden, tat Hollywood Buße an Sinatra. Plötzlich ging es wieder mit Sinatras Karriere weiter, als wäre nie etwas gewesen.
Die Verlierer lagen Sinatra immer mehr als die Gewinner. Seine Rollen in Minnellis VERDAMMT SIND SIE ALLE, Premingers DER MANN MIT DEM GOLDENEN ARM oder Frankenheimers BOTSCHAFTER DER ANGST standen ihm einfach besser zu Gesicht als all die Verführer und Draufgänger, die er sonst oft spielte. Immer erzählten seine jugendlich strahlenden Augen in dem viel älteren, gezeichneten Gesicht ihre eigene Geschichte: Wie sich einer durch unzählige Niederlagen hindurch den einen Funken Hoffnung bewahrt hat, an dem sich alle Träume jederzeit wieder entzünden können, wenn sich eine Chance bietet. Diesen Funken sah man in seinen blauen Augen, da wirkte er ewig jung.
Er war ein Star des amerikanischen Kinos der Fünfziger, in dem die einstige Größe Hollywoods ein letztes Mal schillernde Blüten trieb. Mit ihm gingen auch seine Stars unter. Einige schafften es immerhin, wie Sinatra von ihrer einstigen Größe ganz gut zu leben. Um dabei auch etwas Spaß zu haben, tat sich Sinatra mit einigen Gleichgesinnten zum Rat Pack zusammen: Shirley MacLainc, Dean Martin, Sammy Davis jr., Peter Lawford, der, als Schwager des Präsidenten, Sinatra mit Kennedy zusammenbrachte. Man hatte zusammen tatsächlich eine Menge Spaß. Nach manchen Nächten, heißt es, hätten Sinatras Augen ausgesehen wie zwei Pißflecke im Schnee.
Den mittlerweile eher abgestandenen, etwas altmodischen Charme der Rattenbande faßte damals Sinatras dritte Ehefrau Mia Farrow ganz gut zusammen: „Alles, was sie können, ist: dreckige Geschichten erzählen, Möbel zertrümmern, die Hintern der Kellnerinnen zwicken und auf Pferde wetten.“
Heute singt Ol’Blue Eyes immer noch, obwohl er sich schon mehrfach zurückgezogen hatte. Er besitzt eben, was sonst keiner hat: The Voice.
Das Schönste, was darübergeschrieben wurde, stand Ende der Vierziger Jahre in der Times: „Hier haben wir einen Künstler, der zwar aus dem wildesten, selbstsichersten Volk stammt, das die Welt überhaupt kennt, der sich aber trotzdem entschlossen hat, jener Schüchternheit Ausdruck zu verleihen, die auch aus der prahlerischsten Seele nie vertrieben werden kann. All jenen, deren Männlichkeitsideal aus Kraft, Stämmigkeit und Selbstsicherheit besteht, wagt er zu bedeuten, daß so ein Mann unter seiner erdrückenden Überheblichkeit noch immer ein furchtsames Kind ist, das im Dunkeln vor Angst weint.