Bernd Eichingers Regie-Debüt: Ausflug ins Land der Träume
Auf einem schmalen Strich
Warum der deutsche Erfolgsproduzent für das Mädchen Rosemarie seinen Ruf riskierte
München, im Dezember – Eine Geschichte aus dem Land der Träume: Ein aufstrebender deutscher Produzent braucht auf der Stelle zehn Millionen Dollar für einen Film, sonst kann er nicht weiterdrehen. Bei den großen amerikanischen Studios ist er schon mehrmals vorstellig geworden – ohne Erfolg. Nach Ansicht erster Muster, mit denen er nach Hollywood geflogen ist, bietet ihm ein Studio-Boß doch noch acht Millionen Dollar. Ich brauche aber zehn, sagt der Produzent, sonst bin ich pleite. Acht, erwidert sein Gegenüber, das ist mein letztes Wort. Gut, sagt der Produzent, dann habe ich drei Möglichkeiten. Entweder nehme ich die acht Millionen und bin pleite. Oder ich nehme sie nicht und bin auch pleite. Und was ist die dritte Möglichkeit, will der Amerikaner wissen. Da geht der Produzent auf die Knie und fleht ihn an.
So hat Bernd Eichinger die zehn Millionen bekommen, die er brauchte, um „Die unendliche Geschichte” fertigzustellen. So erzählt er das zumindest. Die Branche liebt schließlich solche Geschichten. Sie braucht sie auch, denn ohne den Glauben an Wunder könnte sie nicht existieren. Und ohne große Gesten schon gar nicht.
Eichinger ist zweifellos ein Mann der großen Gesten. Er hat schon groß gedacht, als sich das hierzulande sonst noch niemand träumen ließ. Er hat auf Stoffe und Stars gesetzt, auf Bestseller und Markennamen, als im deutschen Film sonst fast nichts mehr ging. Aber seinen Erfolg, denkt man, wenn man ihm gegenübersitzt, hat das nichts ausgemacht. Mit großen Gesten und Geschick allein gewinnt man nichts in dieser Branche, wo jeder das große Wort führt.
Auch der Blick auf seinen Werdegang erklärt nicht viel, außer daß er sehr früh und sehr schnell wurde, was er ist: 1949 als Sohn eines Arztes in Neuburg an der Donau geboren, Internat in Deggendorf, Abitur in München, Studium an der Filmhochschule, Produktionsleiter bei der Bavaria, erste eigene Produktionsfirma. 1978 erwirbt er ein Viertel der maroden Constantin und wird vom Likörfabrikanten Eckes dort zum Geschäftsführer ernannt – da ist er 29. Der Rest ist fast schon Filmgeschichte.
Nervös bei der Premiere
Es ist nicht nur dieser Erfolg, der ihn so erfolgreich macht. Er wirkt echt. Scheint sich nicht klüger zu geben, als er ist. Und auch nicht härter. Er raucht viel und wirkt von der Premiere seines Regiedebüts „Das Mädchen Rosemarie” etwas mitgenommen. Aber eigentlich wirkt er immer so. Ob er nervös war? Nein, jetzt nicht mehr, aber bei der Vorführung in Hof, einen Monat vorher, da schon.
Für einen Mann seiner Position gebärdet er sich wenig machtbewußt. Nicht daß er seine Macht herunterspielen würde – gar nicht. Wenn er von einer Firma redet, die pleite gemacht hat, dann sagt er schon, sie hätten „tierisch viel Geld verbrannt”. Aber er spricht ohne Selbstgefälligkeit, selbst wenn er von seinem Kniefall erzählt. Stolz ist dabei, aber keine Geltungssucht. Er geht mit diesen Geschichten nicht hausieren, sondern schildert sie mit der Unschuld von einem, der auszog, das Fürchten zu lernen. Vielleicht muß man sein Regie-Debüt auch unter diesem Blickwinkel betrachten.
Bernd Eichinger sitzt in seinem Büro in der Kaiserstraße nicht hinter seinem Schreibtisch, über dem James Dean, Marilyn Monroe und Humphrey Bogart an der Wand hängen, sondern am Besprechungstisch. Seine Trophäensammlung ist auch hier präsent genug; ein ganzes Regal mit Filmpreisen und Goldenen Leinwänden zeigt unübersehbar, mit wem man es zu tun hat. Mit einem der erfolgreichsten Produzenten des deutschen Kinos, mit einer beispiellosen Erfolgsgeschichte: „Christiane F. ”, „Die unendliche Geschichte”, „Der Name der Rose”, „Werner – Beinhart”, „Das Geisterhaus”, „Der bewegte Mann” und nun die „German Classics”. Aber weil der Erfolg nicht nur Freunde mit sich bringt, fragt man sich doch, was einen erfolgreichen Produzenten seines Schlages dazu bringt, seinen Ruf zu riskieren, indem er selbst Regie führt. Schließlich gibt es genug Leute, die nur darauf warten, daß er sich ein Blöße gibt – und „Das Mädchen Rosemarie” ist vielleicht in den Fünfzigern ein Erfolg gewesen, aber der Stoff der Prostituierten Nitribitt, die hoch hinaus wollte und tief fiel, bietet heute reichlich Gelegenheiten zum Absturz. Die Branche allerdings konnte sich in diversen Vorabvorführungen davon überzeugen, daß Eichinger auch als Regisseur sein Metier beherrscht, und so wie SAT 1 seit Wochen die Werbetrommel rührt, ist kaum zu befürchten, daß die Einschaltquoten am Freitag abend hinter den Erwartungen zurückbleiben. Warum hat er riskiert, sich lächerlich zu machen? Die Frage, sagt sein langjähriger Kompagnon Hermann Weigel, Gesellschafter bei der Neuen Constantin, sei eine Verkennung dieses Mannes, der nicht in solchen Kriterien denke: „Wenn der Bernd es nur darauf anlegen würde, Tycoon zu sein, wäre er viel weiter. Statt dessen macht er nur, was ihm Spaß macht – und dazu gehört eben, erfolgreicher Produzent zu sein. ”
Erfolgreich sind seine Filme zweifellos, aber wenn man so will, dann sieht man ihnen den Willen zum Erfolg auch an. Sie sind sauber gemacht, näher am Publikum als andere deutsche Filme, aber mehr auch nicht. Sie wollen professioneller, teurer oder auch besser, aber nicht anders sein – doch das ist es, was große Filme ausmacht. Und was immer man über „Das Mädchen Rosemarie” sagen mag, so sieht man ihm indes an, daß ein Mann hinter der Kamera stand, der manchmal von ganz anderen Filmen träumt. Wenn sich die Kamera am Anfang von einer einsamen Frau im Schnee in die Lüfte hebt, oder wenn sie am Ende mit der Hauptdarstellerin Nina Hoss tanzt, bis die Welt zu einem Lichterreigen verschwimmt.
Hat er die Sache also selbst in die Hand genommen, weil er einen Traum verwirklichen wollte, an dem seine Regisseure bislang gescheitert sind? Eichinger läßt sich auf die Frage gar nicht ein. Wer weiß, wie schwer es ist, zehn, 20 oder 50 Millionen aufzutreiben, der kann ihm kaum verdenken, daß er jeden Film, der zustande kommt, für einen persönlichen Erfolg hält. In TransAtlantik hat er einst einen Text geschrieben, in dem er bemerkenswert uneitel den Vertragspoker in Hollywood schildert, bei dem er einen Tag vor Drehbeginn von „Der Name der Rose” mit Anwälten dringend benötigtes Geld erstreitet. Danach mag man gerne glauben, daß er den Film unbedingt für gelungen hält. Aber das allein ist es nicht: Eichinger steht zu seinen Filmen und zu seinen Leuten. Dominik Graf, der bei „Drei gegen drei” mit der damals populären Band Trio Regie führte, erzählt, daß Eichinger auch dann, als der Film an der Kasse durchgefallen war, gesagt habe, daß sich alle gemeinsam an die Nase fassen müßten. Und das ist in dieser Branche beileibe keine Selbstverständlichkeit.
Eichinger ist kein schlechtes Wort über seine Projekte zu entlocken. Dennoch muß es ein Projekt geben, das ihm näher ist als alle anderen. Ja, sagt er, das sei „Last Exit Brooklyn”, den er, das sagt wiederum Weigel, sehr „hands on” gemacht hat. Obwohl der Regisseur Uli Edel hieß, kann man also davon ausgehen, daß der Film so aussieht, wie der Produzent sich das vorgestellt hatte. Die Vorliebe für diese Verfilmung eines Buchs von Hubert Selby gewinnt eine ganz andere Bedeutung, wenn man Eichingers Antwort auf die Frage nach der größten Enttäuschung seiner Karriere kennt. Er zögert keine Sekunde: „Als ich die Abendzeitung aufgeschlagen habe und die Kritik von Ponkie zu ,Last Exit‘ gelesen habe. Wenn die eine Spinnerin gewesen wäre, wäre es mir Wurscht gewesen. Aber so wußte ich, das hat einen Grund, das ist die Richtung, in die der Film gehen wird. So wurde er dann auch aufgenommen. ” Das war in seinem Stammlokal Romagna Antica, und er sei erst einmal zu seinem Freund Helmut Dietl gegangen und habe ihn gefragt, was davon zu halten ist.
Dietl konnte ihm natürlich auch nicht helfen, aber er weiß noch: „Das war eine sehr große Enttäuschung, das hat ihn ins Herz getroffen. ” Und Weigel sagt: „Das hat er sehr persönlich genommen. Gegen den Film darf man auch heute noch nichts sagen. Am liebsten würde er Ponkie den Film heute noch mal vorführen. Der Umstand, daß sie so darüber geschrieben hat, ist ein größerer Schlag für ihn, als daß der Film nicht funktioniert hat. ”
Was immer man von dem Film halten mag, so zeigt doch die tiefe Enttäuschung, daß es auch für Eichinger solche und solche Projekte gibt und daß er womöglich ahnt, daß es für jemanden seines Schlages mehr gibt als nur erfolgreiche Filme. Um so mehr, als lange Jahre Viscontis „Leopard” sein Lieblingsfilm gewesen ist. Weigel sagt: „Da ist alles drin. Schon, daß der Film so heißt und daß alle den Kerl Leopard nennen. ” Vielleicht ist das ein Anhaltspunkt: Die Geschichte eines Adeligen, der begreift, daß sich die Dinge ändern müssen, um die gleichen zu bleiben. Vielleicht sähe er sich selbst gerne so. Weigel vermutet es: „Ich glaube, wenn er 90 ist und zurückblickt, dann wäre ihm die Anerkennung seiner Position im deutschen Film wichtiger als die Einschätzung einzelner Filme. ”
Lichtjahre entfernt
Wenn man Eichinger fragt, wer die beeindruckendste Figur ist, der er in seiner Karriere begegnet ist, muß er nicht lange nachdenken: „Leo Kirch. Unerschrocken ist durchaus eine Vokabel, die ich für mich in Anspruch nehmen würde, aber bei ihm kann man erfahren, was das wirklich heißt. ” Um so besser, daß Kirch sein Partner ist, der Mann im Hintergrund der Constantin. Eichinger bestreitet, daß er daraus ein Geheimnis gemacht hat; er habe es nur nicht an die große Glocke gehängt. Low profile nennt er das – ein Ausdruck, den auch Kirch schätzt.
Eichinger hat natürlich ehrgeizige Vorstellungen, die den Rahmen des deutschen Films sprengen. Er hat deshalb in Los Angeles ein Büro aufgemacht und verbringt viel Zeit dort. Was ihn aber nicht daran hindert zu erkennen, daß es dort ist „wie in einem Gulli. Man sieht noch fasziniert zu und merkt gar nicht, daß man selber schon im Strudel steckt. Man wird dort so angezündet, daß man sich ganz nutzlos vorkommt, wenn man nichts macht. Und plötzlich fragt man sich: Bin ich nur noch was wert, wenn ich Filme mache und einen bestimmten Platz im Restaurant kriege?”
Zurück beim deutschen Film könnte man sagen, der Berg sei zum Propheten gekommen. Was einst nur Eichinger gepredigt hat, ist heute allgemein anerkannt: Filme müssen fürs Publikum gemacht werden. Wo er einst als Einzelkämpfer und Ausnahmeerscheinung galt, da sieht er sich heute von der Entwicklung eingeholt. Erfolge finden auch ohne ihn statt, aber nach seinen Rezepten, wobei er selbst immer noch mehr Drehbuchautoren verschleißt als jeder andere. Das ändert nichts daran, daß er für seine Regisseure nach wie vor eine Sonderstellung einnimmt. Nico Hofmann, der für die German Classics „Es geschah am hellichten Tag” inszeniert hat und früher Filme gemacht hat, die von Eichingers Vorstellungen Lichtjahre entfernt waren, sagt: „Er war ein Übervater, in jeder Hinsicht. ” Auch wenn Hofmann den Ausdruck Übervater selbst ein wenig merkwürdig findet, zeigt das doch, in welch Höhen Eichinger über dem deutschen Kinoalltag schwebte. Da überraschte es Hofmann, daß Eichinger beim ersten Treffen genauso unsicher und bei der ersten Vorführung seines Films genauso nervös war wie er selbst. Diese Feinnervigkeit, sagt Hofmann, habe ihn überrascht.
Diesen Zwiespalt gab es schon immer, sagt Dietl: „Da ist einerseits der hochsensible, empfindsame Mensch; und andererseits diese Durchsetzungskraft, die automatisch Verhaltensweisen produziert – bei ihm und bei den anderen. ” Aber das Image des Kraftmeiers und Bestsellerverfilmers habe noch nie gestimmt.
Vielleicht erklärt das, warum er für sein Regiedebüt ein Frauenschicksal gewählt hat. „Ich bin kein Männertyp”, sagt Eichinger, „von Ausnahmen abgesehen, halte ich Tage in Männergesellschaft für verlorene Tage. Für mich ist das wichtig, mit Frauen zusammen zu sein. Männer haben immer einen großen Drang, sich selbst darzustellen. Frauen sind viel komplexer, nicht nur weil sie Kinder kriegen können. ” – „Das ändert aber nichts daran”, sagt Weigel und lacht, „daß er die ganzen Männerrituale mit einer Virtuosität vorführt wie kein zweiter. ”
Übrigens stand auch bei „Last Exit” eine Frau im Mittelpunkt – auch sie eine Prostituierte. In beiden Filmen geht es gewissermaßen darum, wie jemand, der sich verkauft, seine Identität zu wahren versucht. Wenn das keine gute Beschreibung für einen Produzenten ist, der Träumen hinterherhängt. Eichingers Partner Weigel sagt: „Wenn der Bernd früher, vor zehn, 15 Jahren jemanden einen Künstler nannte, war das wie ein Schimpfwort. Wenn er es heute sagt, ist es das höchste Lob, das er aussprechen kann. ”
MICHAEL ALTHEN