18. November 1996 | Spiegel | Porträt | Corinna Harfouch

Nebel der Melancholie

Die Schauspielerin Corinna Harfouch ist zwar keine Entdeckung mehr - aber im deutschen Kino gilt sie als Frau der Stunde.

In Hollywood hat man früher eine Kunst daraus gemacht, unbekannten Gesichtern Namen zu verpassen, die auf der Zunge zergingen und sich ihren Trägern anschmiegten wie Modellkleider. Da hießen die Frauen dann Dolores Del Rio oder Dorothy Lamour und spielten auch die entsprechenden Rollen.

Heute ist das zwar anders, aber Schall und Rauch sind die Namen dennoch nicht. Auf einmal werden Gesichter aus ihnen, und plötzlich verbindet sich mit ihrem Klang ein Ausdruck, ein Lächeln, ein Blick. Von solcher Alchimie nährt sich das Kino.

Corinna Harfouch also: Ein Name, der wie eine kühle Brise über die Lippen kommt, der sich flüstern läßt und doch eine gewisse Kantigkeit besitzt, was man exotisch nennen würde, wenn ihre Erscheinung das nicht verbieten würde. Tatsächlich ist der Nachname ein Überbleibsel ihrer Ehe mit dem Syrer Nabil Harfouch, den sie mit 21 geheiratet hatte. Er paßt ihr trotzdem wie angegossen. So ist das Kino – oder das Leben.

Wer den Namen Corinna Harfouch hört, dem steht spätestens seit dieser Kinosaison ihr Gesicht vor Augen: die ziemlich kräftige Nase im breitwangigen, fast scharfkantigen Gesicht; der blaßblaue Blick, dem nichts zu entgehen scheint und der von Erstaunen bis Verachtung so ziemlich alles widerspiegeln kann; das leise Lächeln, das ihre Mundwinkel mal mild, mal spöttisch und immer wieder herausfordernd umspielt.

Mit mir, verkündet ihr Ausdruck, ist nicht zu spaßen. Um so überraschender ist es, wieviel Spaß sie in ihren Filmen hat. Da muß man nur mal zusehen, wie sie in Hermine Huntgeburths TV-Spiel GEFÄHRLICHE FREUNDIN – am Mittwoch, 20.15 Uhr in der ARD – die Männer vernascht oder wie sie in Sherry Hormanns Kinofilm IRREN IST MÄNNLICH im feinen Restaurant unüberhörbar laut einen unanständigen Witz erzählt.

All ihre Sinnlichkeit scheint sich auf diese Partie zwischen Nase und Kinn zu konzentrieren, das tiefgeschnittene Grübchen über der Oberlippe und die volle runde Unterlippe. Dazwischen liegt jene Seite von ihr, von der sie als Mädchen wahrscheinlich bestenfalls träumen konnte – damals, als die Lehrerstochter aus Suhl, Jahrgang 1954, auf dem Rummelplatz herumstand und darauf wartete, von den Jungs zum Mitfahren eingeladen zu werden. Und wenn es einen Trost gibt in solchen Situationen, dann den, daß nichts so schnell verblaßt wie die hübschen Gesichter der Rummelplatzschönheiten – und daß aus den traurigen Mädchen am Rande am Ende die schöneren Frauen werden.

Natürlich ist diese Frau ein Eisberg, der bestenfalls ein Zehntel von dem preisgibt, was unter der Oberfläche liegt. Um sie ist ein Geheimnis, und ihre letzten drei Regisseure haben ihr möglichstes getan, um daraus für ihre Geschichten Nutzen zu ziehen. Am geschicktesten der Kinoregisseur Matthias Glasner in seiner schwarzweißen Mörder-Etüde um Sex, Blut und Tränen SEXY SADIE. Dort nimmt der todkranke Killer Jürgen Vogel die Gefängnisärztin Harfouch als Geisel, um in Freiheit noch ein paar alte Rechnungen zu begleichen.

Die Art, wie sich die Ärztin in ihre Situation fügt, verleiht der Situation gleich einen anderen Tonfall. Eine Freiheit wird zwischen den beiden spürbar, wie sie sonst nur in beginnenden Liebesgeschichten existiert. Wie sie mit ihrem aufmerksamen und doch irgendwie traumverlorenen Blick neben ihrem Entführer im Auto sitzt, traut man Corinna Harfouch plötzlich alles zu.

Und wenn sie am Ende mit der Waffe in der Hand neben der Leiche steht, weiß man auch, warum. Sie hatte alles geplant, Befund und Entführung, um der Schattenseite ihres Wesens, ihrem Alter ego Sexy Sadie, zum Ausbruch zu verhelfen. So tödlich kann diese Frau sein.

Immer wieder ist es ihre Ungerührtheit, mit der sie die Erwartungen unterläuft, jener nur leicht verhangene Blick, der noch in größter Bedrängnis mit einer leisen Trauer reagiert, einer Melancholie, die wie Nebel vor allen Illusionen liegt.

Der Gleichmut beispielsweise, mit dem sie in IRREN IST MÄNNLICH auf ihren Mann reagiert, der herausgefunden hat, daß ihre beiden Kinder nicht von ihm sein können, erscheint für eine Komödie reichlich ungewohnt: Die Situation ist ausweglos, und doch scheint sie etwas zu wissen, was Männern nicht zugänglich ist.

Eine unerschütterliche weibliche Kraft strahlt Corinna Harfouch da aus, die sich von den Wechselfällen der Liebe nicht beirren läßt. Sie weiß, was sie will, und hat auch Wege gefunden, es zu kriegen. Auf männliche Eitelkeiten kann sie da keine Rücksicht nehmen.

Als Schlampe in GEFÄHRLICHE FREUNDIN nimmt sie sich sowieso, was sie vom Leben braucht. Als sie jedoch eines Nachts mit einem gewaltigen Kater und ohne jede Erinnerung im Blut ihres toten letzten Liebhabers erwacht, wirkt sie mindestens so überrascht wie die Zuschauer.

Zuvor konnte man zwar sehen, wie sie ihrem geldgierigen Ex-Mann auf offener Straße einen schmerzhaften Kopfstoß versetzte, doch scheint ihr so eine Unbeherrschtheit wesensfremd zu sein – und tatsächlich bestätigt sich, daß ihr der Mord nur in die Schuhe geschoben wurde. Aber einen Moment lang war es wieder da, das tödliche Geheimnis, das diese Sphinx hinter ihrem Katzengesicht verbirgt.

Corinna Harfouch ist also die Frau der Stunde im deutschen Kino: Wenn sie kalt ist, dann kann sie so kalt sein, daß einem angst und bange wird. Und wenn sie sanft ist, dann empfindet man das fast als Gnade. Sie ist niemand, mit dem man es sich gerne verscherzen möchte. So weit reicht ihre Präsenz über die Leinwand hinaus – selbst in Filmen, die die Dinge auf die leichte Schulter nehmen.

Nach Lage der Dinge träumt sie selbst eher von Ibsen und Tschechow, spielt lieber den Teufelsgeneral Harras an Castorfs Berliner Volksbühne oder demnächst die Eva Braun am Berliner Ensemble und fühlt sich in ihren Filmrollen hoffnungslos unterfordert. Doch das ist das Schöne am Kino: daß Trivialität die Sterne noch nie daran gehindert hat, noch heller zu strahlen.

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