08. Oktober 1995 | Focus Magazin | Porträt | Leonardo DiCaprio

Ewige Pubertät

Leonardo DiCaprio könnte der nächste James Dean sein – aber er will nicht

Er ist 20, und das ist nicht unbedingt das Alter, in dem man Freude daran hat, Rede und Antwort zu stehen. Nicht etwa, daß er gelangweilt wirken würde, aber eine gewisse Verwunderung ist schon spürbar, so als würde er sich fragen, was die ganze Aufregung um ihn soll. Er ist 20, war für den Oscar nominiert und gilt als der nächste James Dean. Na und?

Leonardo DiCaprio macht nicht den Eindruck, als ob er es eilig hätte mit dem Erwachsenwerden. Vermutlich, weil er ohnehin immer schon etwas erwachsener wirkt als andere. So als wisse er von Dingen, die ihm von alters wegen eigentlich noch gar nicht zustehen. Von Schmerzen, Trauer, Einsamkeit. Von Dingen, die er jedenfalls brauchte, um in seinem neuen Film den Abstieg des jungen New Yorkers Jim Carroll in die Drogenhölle so überzeugend nachzustellen.

„Ich kann mir eben Sachen, die ich gesehen oder gehört habe, leicht aneignen“, sagt er beim Gespräch in München: „Im Unterschied zu anderen, die alles erst erfühlen müssen.“ Das ist es wohl, was man Naturtalent nennt. DiCaprio hat keine Schauspielschule besucht und hat es auch nicht vor. „Ich muß keine Drogen nehmen oder auf der Straße leben, um zu zeigen, wie man sich dabei fühlt. Meine Methode ist, daß ich keine Methode habe.“

Ohne Koketterie sagt er das, wie jemand, der sich bemüht, seine Sache ordentlich zu machen, und der noch nicht weiß, wie weit ihn das führen wird. Und dabei lümmelt er mit angezogenen Beinen auf dem Hotelsessel und gähnt und streckt sich, wenn ihm danach ist. Weil er keine Lust hat, sich zu verstellen. Beim Interview mit einer amerikanischen Journalistin ist er einmal aufgestanden, ins Bad zum Pinkeln gegangen und hat bei offener Türe weitergeredet.

Leonardo heißt mit zweitem Namen Wolfgang. Seine Mutter ist Deutsche, sein Vater Italiener, aber der ist schon vor seiner Geburt verschwunden. Seine Großmutter lebt in Erkenschwick, wo er sie schon oft besucht hat. Er selbst ist in Hollywood geboren und aufgewachsen, was jedoch nicht bedeutet, daß er sich für Film besonders interessiert hätte. Trotzdem trat er mit 14 Jahren in Werbespots auf. Dann kam eine Fernsehserie, zwei kleinere Filme und die Rolle als Robert De Niros Sohn in „This Boy´s Life“. Danach entschied er sich für den Part des geistig Behinderten in „Gilbert Grape“- und wurde prompt für den Oscar als bester Nebendarsteller nominiert.

Den Oscar wollte er jedoch unter gar keinen Umständen gewinnen. „Mir wäre sicher etwas Peinliches passiert. Ich wäre gestolpert oder in Tränen ausgebrochen. Und als Tommy Lee Jones gewonnen hat, war ich der glücklichste Mensch der Welt. Ich schwöre es.“

Auch ohne Oscar war DiCaprio fortan Hollywoods erste Wahl für jede interessante Rolle in seinem Alter. Er entschied sich für „Jim Carroll – In den Straßen von New York“, weil die Drogengeschichte natürlich eine Herausforderung war, und für den Western „Schneller als der Tod“, weil Sharon Stone auf seiner Mitwirkung bestand. „Sharon ist so intelligent. Sie erinnert mich an meine Großmutter. Sie sagt, was sie denkt, und sie kann zuhören.“ Als nächstes wird er den französischen Dichter Arthur Rimbaud in Agnieszka Hollands „Total Eclipse“ spielen. Über die Rolle des James Dean muß er noch nachdenken: „Ich muß er sein, aber dabei ich selbst bleiben. Wie ich das machen soll, weiß ich noch nicht.“

Leonardo DiCaprio ist 20. Er könnte der nächste James Dean sein, aber er ist lieber er selbst. Das ist in seinem Gewerbe eine ganze Menge: „Ich glaube nicht, daß ich ein guter Schauspieler bin“, sagt er, „aber ich bin auch kein schlechter Schauspieler.“ Und gähnt und streckt sich wieder, als sei er allein auf der Welt.

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