22. Oktober 2003 | Frankfurter Allgemeine Zeitung | Porträt | Catherine Deneuve

Die Frau aus Marmor

Catherine Deneuve wird sechzig

François Truffaut hat 1969 geschrieben: „Schön ist Catherine Deneuve in einem Maße, daß jeder Film, dessen Heldin sie ist, im Grunde auf eine Story verzichten kann. Ich bin überzeugt, daß der Zuschauer schon glücklich wäre, sie einfach nur betrachten zu können, und daß allein diese Betrachtung ihr Geld wert ist.“ All die Erwägungen, ihre Schönheit betreffend, sind ihr natürlich bewußt. Tausendmal besungen, nie auch nur ans Herz gerührt. Im Grunde ist diese Schönheit nur als Fluch denkbar. Dauernd unterwegs als Botschafterin einer Sache, für die sie selbst am wenigsten kann. Dabei staunt man beim Wiedersehen der Filme jedesmal, um wieviel lebendiger sie ist als die marmorne Erscheinung, die sich der Erinnerung eingemeißelt hat.

Ihr Ebenmaß fordert den Exzeß geradezu heraus. So jemand kostet von allen Lastern einmal und wendet sich dann gelangweilt ab. Vor ihrem Leben versagt jede Vorstellungskraft. Was mag sie in den Salons machen, durch die sie wandelt? Träumt sie von geometrischer Perfektion oder fleischlichen Vergehen? Eine große Trägheit ist um sie, als wäre das Wasser des reißenden Erzählstroms dort, wo sie ist, ruhiger, weniger bewegt. Vielleicht kam das einem Surrealisten wie Buñuel entgegen, der in BELLE DE JOUR (unser Bild) der Begierde nachgab, sie mit Schlamm zu bewerfen: Ihr Gleichmut ist eine Provokation. Ihre Neugier ist nur getarntes Desinteresse. Oder umgekehrt. Noch mal Truffaut, der versuchte, hinter das GEHEIMNIS DER FALSCHEN BRAUT zu kommen: „Catherine ist wie Greta Garbo eine Zeitlupen-Schauspielerin. Manche Schauspielerinnen bewegen sich zuviel und bringen den Rhythmus eines Films durcheinander. Catherine ist hingegen langsam; manchmal habe ich sie gebeten, etwas lebendiger zu sein, aber in der Regel habe ich ihre Ruhe, die jeder Szene eigene Dichte verleiht, geschätzt.“ Bei all der Unnahbarkeit und natürlichen Noblesse: In der Art, wie sie auf ihre Façon achtet, liegt auch eine Spur von Gewöhnlichkeit, die unter ihrem Adel durchscheint. Vielleicht ist es das, was Truffaut meint mit dem „Naturell der Nachkriegsmädchen, die durch nichts zu beeindrucken sind und eine gewisse Scham besitzen, sich völlig hinzugeben“. Da hat sie dann jedenfalls etwas von der gewollten Aufgeräumtheit der Ladenmädchen, die sich nicht in die Karten blicken lassen wollen. Die sich verpuppen, in der Hoffnung, daß jemand einen Schmetterling erkennt, wo nur ein kaltes Herz wohnt. Unter der marmornen Ruhe, dem abschätzigen Blick, dem hochmütigen Lächeln liegt doch immer eine spürbare Nervosität, jene unerklärliche Unzufriedenheit schöner Frauen, die jederzeit umschlagen kann in Gefühlsausbrüche, die nur dazu da sind, Ursachen zu verschleiern. Man hat deshalb eigentlich nie den Eindruck, es handle sich bei ihr um eine glückliche Frau, sondern um jemanden, der auf der Suche ist, ohne zu wissen, wonach. Sicher ist nur, daß Männer ihr nicht geben können, was ihr fehlt.

Wo sie früher dem Betrachter oft die kalte Schulter gezeigt hat, da gewinnt sie in letzter Zeit eine körperliche Präsenz, die über erotische Posen weit hinausgeht. Sie wurde fast nahbar, suchte jedenfalls die Nähe zu Regisseuren wie Oliveira, Ruiz, Carax, Ozon, Trier oder Téchiné. Catherine Deneuve hat sich nicht verschanzt hinter den Bildern der Erinnerung, sondern fordert ihr Publikum unermüdlich heraus – etwas Schöneres kann man sich von einer Schauspielerin zum Sechzigsten eigentlich gar nicht wünschen.

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