TOM CRUISE, DAS LÄCHELN VON „RAIN MAN“
Er hat Qualitäten, denen keiner über 13 traut. Jetzt wird er endlich erwachsen.
Was hat der Mann, was wir nicht haben? Zuerst einmal hat er dieses unverschämte Grinsen, das jedem männlichen Zuschauer nach Verlassen des Kinos wie ein Echo auf den Lippen klebt. Man kann nur jedem raten, sich dieses Grinsen schleunigst aus dem Gesicht zu wischen: Denn erstens kann man sich so ein Grinsen nur leisten, wenn man dafür drei Millionen Dollar kassiert. Und zweitens braucht man dafür mindestens die ganze Breite einer Leinwand.
Irgendwelche Einwände? Gut, dann gehen Sie mal auf die Straße und versuchen, für drei Millionen Dollar zu grinsen. Man wird Ihnen vielleicht sagen, Sie sollten den Zahnarzt wechseln, oder aufhören, so viel Grass zu rauchen. Vergessen Sie’s! Für so ein Grinsen braucht man Jugend und Unschuld – also alles, was Kinobesuchern von vornherein abgeht.
Jeden Morgen, wenn er aufwache, gehe er zum Spiegel und grinse, sagt Tom Cruise. Und abends gehe er noch mal hin, um sicherzugehen, daß sein Grinsen noch da ist. So fangen Märchen an: Es war einmal…
Doch eines Tages stand der Prinz vor dem Spiegel, und das Grinsen war weg. Es wollte auch nicht wiederkommen, nicht am Abend, nicht am nächsten Tag und auch nicht zwei Monde darauf. Der Prinz zerschlug vor Wut den Spiegel und bot demjenigen drei Millionen Taler, der ihm sein Grinsen wiederbrächte, aber auch das half nichts. Das Grinsen blieb verschwunden. Die Staatsgeschäfte begannen, schlecht zu gehen, die Ländereien vertrockneten, die Untertanen wurden unzufrieden, die Vögel hörten auf zu singen, und hinterlistige Emporkömmlinge witterten Morgenluft. Bis der Prinz eines Tages ins Kino ging…
Das ist es, was Tom Cruise so einmalig macht: diese märchenhafte Begabung, deren Zauber nicht ewig währen wird. Dieses Geschenk, das nur den Glücklichen zuteil wird und das nicht verschwendet oder mißbraucht werden darf. Es ist das Lächeln der siegesgewissen Ritter, die von ihrem nächsten Kreuzzug möglicherweise nicht mehr zurückkommen werden. Es war einmal…vielleicht schon zum letzten Mal.
Vor diesem Hintergrund gewinnt sein Lächeln mit jedem Mal – und verliert gleichzeitig ein Stückchen dieser Gnade auf Zeit. Es lebt von seiner Vergänglichkeit. Es zerschmilzt auf der Netzhaut, bevor es richtig angekommen ist. Es läßt sich nicht festhalten. Auf Fotos schaut Tom Cruise ganz gut aus. Mehr nicht. Und Cruise weiß das besser als jeder Zuschauer, Filmkritiker eingeschlossen.
Im Englischen gibt es einen Ausdruck für Cruises Gabe: „Natural“, was soviel wie „naturgegeben“ heißt, aber eigentlich zwischen dem Primitiven und der Kunst, zwischen der Idiotie und dem Gelingen pendelt.
Das Unbeleckte bei Cruise, diese Mischung aus Naivität und Erfolg, aus gelacktem Äußeren und unbekümmertem Auftreten und Wär-doch-gelacht war Filmkritikern naturgemäß zuwider. Filme wie LOCKERE GESCHÄFTE, LEGENDE und TOP GUN gaben ihnen auch irgendwie recht. Daß er allerdings dann auch noch bei wirklich guten Regisseuren wie Martin Scorsese, Barry Levinson und demnächst bei Oliver Stone auftritt, empfinden die Kritiker als besonders dreiste Unverschämtheit.
Diese Ernsthaftigkeit, die ihm zudem auch noch alle Regisseure mit Freuden bescheinigen, macht es zwar leichter, ihn zu ignorieren. Aber Scorsese, Levinson und Stone – das sind mehr gute Regisseure, als andere Schauspieler in ihrer ganzen Karriere vorweisen können. Natürlich spielt er in der FARBE DES GELDES, in COCKTAIL und RAIN MAN ein kleines Arschloch. Aber wie! In dieser Rolle macht ihm zur Zeit keiner was vor.
Wenn es verlangt wird, ist er widerlich. Wenn es sein muß, ist er würstchenhaft. Tom Cruise hat jene gewisse Statur amerikanischer Helden, der man alles auf den Leib schreiben kann – immer nimmt er die richtige Gestalt an.
Selbst wenn er Emotionen mimen muß, trifft er den Punkt: Weil seine Typen in jedem Film so angelegt sind, daß ihnen die große Schnauze leichter fällt als die großen Gefühle. Zum Beispiel Charlie Babbitt, der Schnösel aus RAIN MAN, der sein Geld mit italienischen Luxusschlitten verdient, sich eine Italienerin als Freundin hält und rücksichtslos seinen autistischen Bruder ausnehmen will. Oder Maverick, der Top Gunner, der die traumhafte Kelly McGillis flachlegen will und damit erst einmal völlig schiefliegt – und dem in der F-14 immer wieder das Talent durchgeht, bis sein Freund und Copilot bei einem seiner waghalsigen Manöver draufgeht. Oder Brian Flanagan, der COCKTAIL-Mixer aus Queens, der es in Manhattan mit ein paar Anleitungen zum Erfolg bringen will und dabei erst mal hinterm Tresen landet, wo er das Maul besonders weit aufreißen kann. Oder Vincent Lauria, der Billard-Crack aus der FARBE DES GELDES, der mit seinem Queue wie mit einer Lanze um die Tische wirbelt und einfach nicht begreifen will, daß man beim Abzocken nicht mit der großen Show ans große Geld kommen kann.
Das sind die Rollen für Tom Cruise: Jungs, die ans große Geld wollen und dabei über große Gefühle stolpern. Jungs, deren großes Talent dem großen Erfolg immer im Wege steht. Jungs, die eine unbändige Kraft in sich spüren, aber nicht die Kraft haben, sie zu zügeln. Naturbegabungen, die wissen, daß sie gut sind, aber nie wissen, wie gut sie sind. Ritter ohne Furcht, aber mit Tadel. Kerle zwischen Berechnung und Traumtänzerei. Eins mit sich und der Welt, schlafwandeln sie durchs Glück. Sie träumen für Millionen, auch für ihre Kritiker.
Und plötzlich steht Tom Cruise da, als habe er alles mit Löffeln gefressen, und verrät sein Geheimnis: „What you see is what you get.“ Es gibt keine Botschaft hinter der Fassade. Alles ist greifbar, alles ist machbar.
So vordergründig funktionieren seine Rollen. Und zum Beweis bricht er in sein Grinsen aus, das in den Grübchen anfängt, als könne er selbst nicht glauben, was er tut. Es huscht über sein Gesicht und hat die Zuschauer erreicht, bevor seine Zähne zum Vorschein kommen.
Dafür braucht man schon eine ganze Leinwand, um glauben zu können, was man sieht.
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