01. Mai 1989 | Tempo | Porträt | Geena Davis

DIE LIPPE

Was bei Bette Davis die Augen sind, ist bei Geena Davis der Mund. Die frischgebackene „Oscar“-Preisträgerin gibt in ihrem neuen Film, DIE REISEN DES MR. LEARY eine glänzende Vorstellung. Noch faszinierender sind nur ihre Lippen.

Ihre Lippen wurden fürs Küssen erfunden. Ihr Mund stammt aus dem Musterkoffer eines Kosmetikvertreters. Er blüht so rund und prall in ihrem Gesicht, als hätten die Designer an nichts anderes gedacht. Er prahlt mit seinen Formen, wie das bei anderen Frauen sonst nur die Brüste tun. Kurz: Der Mund von Geena Davis ist ein Ereignis, das jeden Rahmen sprengt. Ein Fall für Dichter und Kuriositätensammler.

Der Mund ist natürlich viel zu groß, ebenso die Zähne. Man hat in diesem Gesicht extra Platz für ihn schaffen müssen. Die Backenknochen sind deshalb weit nach außen gewichen, bis jenseits der Ohren. Das ist viel für so ein Gesicht, für die meisten Gesichter wäre es zuviel.

Aber Geena Davis kann sich diese Freizügigkeit locker erlauben, denn sie ist im ganzen ziemlich großzügig angelegt. 1,83 Meter groß und ein ungefähr genausogroßes Lachen. Damit ging sie auf die Schauspielschule und dann als Fotomodell nach New York. Bis sie 1982 ein Telegramm bekam: „Wollen Sie eine Rolle in TOOTSIE spielen?“ Geena Davis sagte zu, auch wenn sich ihr Auftritt darauf beschränkte, in Büstenhalter und Höschen vor einem Schminkspiegel zu sitzen, während Dustin Hoffman nervös durch die Garderobe stakste. Das war sehr niedlich, aber es reichte noch nicht für eine Filmkarriere.

Folgerichtig spielte Geena Davis fortan die zweite Geige in Horrorkomödien und Science-Fiction-Filmen. In TRANSSYLVANIA 6-5000 und BEETLEJUICE, in EARTH GIRLS ARE EASY und der FLIEGE. Für Leute, die so etwas mögen, war sie ein kleiner Star, aber davon kann man nicht ewig zehren. Schließlich engagierte Lawrence Kasdan sie für das 21-Millionen-Dollar-Projekt DIE REISEN DES MR. LEARY neben William Hurt und Kathleen Turner. Der Film wurde für vier „Oscars“ nominiert, aber nur Geena Davis gewann eine Trophäe für die beste weibliche Nebenrolle. Das heißt: Das Beste von ihr haben wir noch gar nicht gesehen. DIE REISEN DES MR. LEARY startet am 25. Mai.

Sie selbst gehört natürlich zu den Personen, die so plötzlichen Ruhm problemlos wegstecken. Nicht aus Selbstsicherheit, sondern aus Verwirrtheit. Wegen all der anderen Dinge, mit denen sie zu tun hat und mit denen sie ihr Leben vollstopft. Nippes und Krimskrams sind ihre Leidenschaft, der sie in ihrem spanischen Haus in den Hügeln Hollywoods frönt. Dort lebt sie mit dem Schauspieler Jeff Goldblum, ihrem nicht minder neurotischen Ko-Star aus der FLIEGE. Kennengelernt haben sie sich bei den Dreharbeiten für TRANSSYLVANIA 6-5000. 1987 haben sie geheiratet. Wenn sich die beiden nicht gefunden hätten, man hätte diese Paar erfinden müssen. Mit seiner unkonzentrierten Beharrlichkeit und beharrlichen Unkonzentriertheit.

Geena Davis fährt einen Mazda 626, den sie mit Jalousien, einem Ventilator und an Saugnäpfen befestigten Vorhängen ausgekleidet hat. Daran braucht man keine Sekunde zu zweifeln. Sie ist so eine. Wie die Hundetrainerin Muriel Pritchett, ihre Rolle in den REISEN DES MR. LEARY. Die trägt immer bunte Socken, führt ihren Haushalt als geregeltes Chaos, liest anfallartig komplizierte Bücher und hat notorisch die falschen Männer an der Hand, weil die richtigen Kerle für Frauen wie sie einfach noch nicht erfunden worden sind.

Geena Davis wirkt wie ein Blumenkind, inklusive aller Naivität und Süße, die man damit verbindet. Das ist eben die romantische Seite, die sie hegt und pflegt, damit sie von ihrer realistischen Ader nicht dominiert wird. Geena, sagt ihre Agentin, gibt nie vor, etwas zu sein, was sie nicht ist. Jetzt ist sie ein Star. Jetzt kann sie so verrückt sein, wie sie will. Das kann ja noch heiter werden.

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