05. Juni 1992 | Süddeutsche Zeitung | Nachruf | Robert Morley

Kindskopf und Gentleman Robert Morley gestorben

Manche Leute kommen gleich mit einem Gin Tonic in der Hand zur Welt, rauchen Zigarre und führen amüsante Unterhaltungen. Und das ist auch gut so, denn als Kinder hätten sie vermutlich alt ausgesehen. So wie Robert Morley, dessen Erscheinung jeden Gedanken an ein Leben vor dem Alter verbietet. Was keineswegs heißt, daß er in seinen Rollen eine besonders erwachsene Figur abgegeben hätte, im Gegenteil: Morley war ein großer Kindskopf, der Durchtriebenheit wie Arglosigkeit mit demselben infantilen Vergnügen verkörperte.

Mit seiner Leibesfülle schuf er sich sein eigenes Denkmal, mit seinem Charakterkopf verlieh er noch den unscheinbarsten Filmen ein Gesicht. Wobei sein Doppelkinn beileibe keine Äußerlichkeit war, sondern durchaus ein Charakterzug. Aber seine Gemütlichkeit konnte täuschen. Denn dieser durch und durch kulinarische Typ kannte keine Skrupel, wenn es um den eigenen Vorteil ging. In TOPKAPI oder SCHACH DEM TEUFEL spielte er solche levantinischen Rollen, aber noch lieber war er uns als aufgeblasener Gentleman, wenn er unter den buschigen Brauen seine Augen zu maßlosem Staunen aufreißen konnte: als Pendelburg oder Maximillian Vandervere, in DIE MORDE DES HERRN ABC oder IN 80 TAGEN UM DIE WELT.

Robert Morley hielt dem Empire den Spiegel vor: In seiner mit Hingabe blasierten und aufs Angenehmste pompösen Art war der 1908 in der Grafschaft Wiltshire geborene Gourmet der englischste aller englischen Schauspieler. Kein Wunder, daß Morley das satirische Magazin Punch, zu dessen ältesten Mitarbeitern er zählte, nur um kurze Zeit überlebte. Robert Morley wollte nie einen Trauergottesdienst, weil er befürchtete, daß keiner erscheinen werde. Diese Sorge war umsonst.

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