27. Dezember 1995 | Süddeutsche Zeitung | Nachruf | Dean Martin

Die Dinosaurier sterben aus

Zum Tod des Sängers, Schauspielers und Entertainers Dean Martin

Irgendwann muß bei ihm der Vorhang runtergegangen sein. Da muß Dean Martin genug gehabt haben von all den Auftritten und Rollen, den Nachtclubs und Casinos, den angerauchten Zigaretten und den präparierten Whiskey-Gläsern, dem ganzen Pomp und Plüsch, mit dem das Show Business die Seinen in Watte bettet. So muß es wohl gewesen sein.
Zum tausendsten Mal mit jenem traumsicheren Gang, den nur der Alkohol verleiht, auf die Bühne gekommen, zum tausendsten Mal den Betrunkenen gespielt und dabei festgestellt, daß man stocknüchtern ist. Da war der Punkt erreicht, wo sich die Routine endlich so schal anfühlte, wie sie es immer schon gewesen ist. Wo er in den Augen der Frauen, die ihn anhimmelten, nur noch den falschen Glanz sah. Wo er das alte Spiel satt hatte. Da hat er seine Karriere aufgegeben – und sich selbst in Sicherheit gebracht. Oder das, was noch von ihm übrig war.

Dean Martin war wohl eine Legende, aber kein Mann für den Olymp. Keiner, dem zum Geburtstag Ständchen von Kollegen gebracht wurden. Irgendwann Ende der Siebziger hat er als steinreicher Mann, dem die Hälfte des Ventura County nördlich von Los Angeles gehörte, seine Karriere zumindest innerlich an den Nagel gehängt. Er hat kein Aufhebens davon gemacht, sondern ist einfach langsam verstummt. Und vermutlich hat er das auch keine Sekunde lang bedauert. Statt dessen Golf gespielt, ferngesehen und am Pool gelegen – auch kein großes Unglück.

Der letzte – vergebliche – Versuch, sich ihm zu nähern, war eine grandiose Biographie von Nick Tosches, die bei aller Akribie nur eines zu Tage förderte: gähnende Leere. Der Untertitel sprach für sich: ‚Living High in the Dirty Business of Dreams‘. Und den Rest brachte eine Überschrift im Esquire aufden Punkt: ‚Dean Martins bester Freund ist Frank Sinatra (Er sieht ihn zweimal im Jahr).‘

Dean Martin hat wohl geahnt, daß er nicht das Talent seines Freundes Sinatra besitzt, der gar nicht so viele Takte verpassen kann, daß ihm sein Publikum nicht verzeihen würde. Als Dean Martin so weit war, daß er aus Langeweile seine Einsätze verpaßte oder seine Pointen vermasselte, hatte er sich längst aufs Fernsehen verlegt, wo er nur noch ablesen mußte, was man ihm vor die Nase hielt, oder wo im Ernstfall nachgedreht werden konnte. Ihm machte das nichts aus. Schließlich bekam er schon 1973 für einen Dreijahres-Vertragvon NBC 35 Millionen Dollar – und das war damals noch sehr viel mehr Geld als heute.

Seine Exfrau Jeanne Martin hat über ihn gesagt, sie habe ihn geheiratet, ohne ihn zu kennen, und als sie 23 Jahre später von ihm geschieden worden sei, habe sie ihn immer noch nicht gekannt. Und dabei klingt sie nicht so, als habe sie noch eine Rechnung offen mit ihm. In einer anderen Geschichte heißt es, sie habe Filmaufnahmen aus seiner Kindheit in Ohio gesehen, wo er abseits an einem Baum lehnt, während im Vordergrund alle anderen spielen. Nach Lage der Dinge war das nicht die Pose eines Teenagers, der zu Höherem berufen ist, sondern der Blick ins Leben eines Mannes, der sich für andere Menschen einfach nie besonders interessiert hat.

Einen Blick in die Leere zu tun, die sich in der Karriere und vielleicht auch dem Leben dieses Mannes aufgetan haben, heißt keineswegs, seine Leistungen zu schmälern. Dean Martin besaß wohl eine der angenehmsten Stimmen dieses Jahrhunderts, und er war einer der wenigen, die Sachen singen konnten wie ‚When the moon hits your eye like a big pizza pie – that’s amore‘, ohne dabei Schaden zu nehmen. Im Gegenteil: Weil sich Dino nie ernster nahm als seine Songs die Gefühle, von denen sie erzählen, konnte er mit ihnen mitten ins Herz treffen. Er selbst sah sein Geheimnis woanders: ‚Ich habe nie für die Frauen gesungen. Denn hinter jeder Frau steht ein Mann, der die Rechnung bezahlt. Und mit denen wollte ich es mir nicht verderben.‘

Das sind die Sätze, die gut klingen, wenn der Abend fortgeschritten ist und der Alkohol die Musik macht. Das war seine Welt, und sie verdankt ihm so viel wie kaum einem anderen. Sinatra hat zu seiner Zeit vielleicht das Trinken hoffähig gemacht, aber Martin die Trunkenheit. Frankie Boy hatte my way, Dino his way, und er ist damit auch ganz gut gefahren. Keiner hat es mit Barhocker, Whiskeyglas und Zigarette so weit gebracht wie er.

Vielleicht ist der Ursprung dieser Haltung in seiner Heimat Steubenville zu suchen, wo die Mafia das Sagen hatte. Wer könnte es dem Sohn eines italienischen Barbiers verdenken, wenn er auf der Suche nach Vorbildern in dieser Stahlarbeiterstadt in Ohio bei diesen Typen hängenblieb. Er hat für sie gearbeitet, als Junge die Ladungen von Schwarzgebranntem begleitet, später als Croupier gelernt, wie man in jeder Situation sein Gesicht wahrt. Der Rest ist Geschichte: Sänger in Nachtclubs, Begegnung mit Jerry Lewis, mit dem er 16 Filme machte und den er verließ, als ‚die Kamera, sobald ich zu singen anfing, auf Jerry und irgendeinen Affen schwenkte‘. Zusammen waren sie Superstars, allein gab ihm keiner eine Chance. Aber stattdessen spielte er mit Marlon Brando und Montgomery Clift in Die jungen Löwen, nahm als unverbesserlicher Spieler ‚Bama in Minnellis Verdammt sind sie alle nie seinen Hut ab und hatte seinen größten Moment in Rio Bravo, wo er als noch unverbesserlicherer Trinker, als es darauf ankommt, mit zitternder Hand seinen Whiskey in die Flasche zurückkippt, ohne einen Tropfen zu verschütten.

Was bleibt: Über 50 Filme, die mancher nie vergessen wird, und über 500 Songs, die manchem das Herz gebrochen haben. Und wenn man dann noch mit all den Drinks und Zigaretten 78 Jahre alt und reich wird, hat man wohl bekommen, was man verdient.
MICHAEL ALTHEN

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