01. März 1993 | Süddeutsche Zeitung | Nachruf | Eddie Constantine

Aus dem Leben der Panzerechsen

Zum Tod von Eddie Constantine

Los Angeles – Paris – Wiesbaden: Was im Reich des Films wie ein Abstieg klingt, war in Wirklichkeit ein Aufstieg in den Olymp des Kinos. Und unter all den Göttern dort ist Eddie Constantine sicher der mit den wenigsten großen Filmen. Das schmälert seinen Ruhm nicht, sondern unterstreicht ihn. Daß er zur Legende wurde, war keine Folge legendärer Filme, sondern Charaktersache.

Obwohl er 1917 in Los Angeles zur Welt kam, machte der Sohn eines Russen und einer Polin Lichtjahre entfernt von Hollywood Karriere. Als der Sänger Anfang der Fünfziger in Frankreich seine ersten Rollen bekam, wurde er bereits als Star besetzt und nicht wie ein Debütant behandelt. Der Amerikaner in Paris trat in Parodien von Rollen auf, die er in Wirklichkeit nie gespielt hatte. Damals war Eddie erst 35, aber sah schon aus, als hätte er mehr als ein ganzes Leben hinter sich – von Jugend keine Spur. Das Leben, so schien er zu sagen, war dazu da, von Erwachsenen gelebt zu werden. Dennoch wurde ihm alles zum Kinderspiel.

Lemmy Caution und Nick Carter, das war Machismo mit einem Augenzwinkern, Coolness mit einem Schmunzeln. Die deutschen Titel sagen alles: ROTE LIPPEN – BLAUE BOHNEN, KÜSSE, KUGELN UND KANAILLEN oder MORPHIUM, MORD UND KESSE MOTTEN. Als Anfang der Siebziger diese Filme in den Late Shows ihr Revival feierten, wurde die Kopie der Stereotypen vollends zur Parodie, aber Eddie blieb ein Original. Und als Schlachtruf hallte durch die Kinos: ‚Bleib sauber, Eddie!‘

Eddie: Der Name stand für etwas, was sich der Parodie entzog, für eine Treue zu sich selbst, die den Anfechtungen von Miezen und Moneten widerstand. Wo selbst bei Chaplin aus dem Charles ein Charlie wurde, da blieb Eddie auch im Film Eddie. Der Schauspieler Constantine wurde zu seiner eigenen Figur, seine Identität zur Rolle. Vielleicht lag das daran, daß sein Gesicht von jeher wie eine Maske aussah, der die Spuren der Vergangenheit eingezeichnet waren wie im Comic. Eddie setzte auf Charakter statt Mimik, auf Eindruck statt Ausdruck.

Es war Godard, der 1964 mit der Parodie ernst machte und in ALPHAVILLE die Poesie der Figur freilegte und im Mythos den Menschen entdeckte. Aber schon drei Jahre vorher hatte er Eddie Constantine in seinem Beitrag zum Episodenfilm DIE SIEBEN TODSÜNDEN besetzt und sein Image auf den Punkt gebracht. In DIE FAULHEIT spielt Eddie sich selbst, einen Filmstar, dem jede Anstrengung zuviel ist. Selbst zum Bücken ist er zu faul und verspricht dem ein großzügiges Trinkgeld, der ihm seinen aufgegangenen Schnürsenkel zubindet. Und als er mit einer jungen Frau mitgeht, sieht er sogar von der Liebe ab, weil ihm die Aussicht, sich hinterher wieder anziehen zu müssen, jede Lust nimmt. Dieser kurze Auftritt sagte alles über diese Panzerechse von einem Menschen, der zum Leben ein gelegentlicher Lidschlag genügt.

Star- und Kurzauftritte untermauerten Constantines Sonderstatus im Kino, und ausgerechnet der Autorenfilm nahm die Legende ernst: Fassbinder und Ottinger, Lilienthal und Praunheim, Berto und Bral. Und es war wieder Godard, der Eddie Constantine einen wunderbaren Abschied ermöglichte. In ALLEMAGNE NEUF ZÉRO spielt er ein letztes Mal Lemmy Caution, einen Wanderer zwischen den Welten, zwischen Ost und West, Gestern und Morgen, eine Figur von Kafka und Goethe zugleich. Mit Hut, Schal und Mantel sitzt er in dieser Geschichte der Einsamkeit am Ende auf seinem Hotelbett und sagt: „Sie brauchen das Zimmer nicht zu machen.“ Und dann nimmt er die Bibel vom Nachttisch zur Hand und sagt nach einer kurzen Pause, wie es seine Art war: Oh, les salauds…

Wie erst jetzt bekanntwurde, ist Eddie Constantine am vergangenen Donnerstag in Wiesbaden gestorben.

Schreibe einen Kommentar

Ihre E-Mailadresse wird nicht öffentlich angezeigt. Pflichtfelder sind mit * markiert. Mit Absenden Ihres Kommentars werden Ihre Einträge in unserer Datenbank gespeichert. Weitere Informationen finden Sie in unserer » Datenschutzerklärung


eins × 4 =