Schwarzer Engel
Zum Tode des Schauspielers Pierre Clementi
Er war eine Nachtgestalt, zu Hause in jenem Zwischenreich, wo die Liebe zur Qual und die Schönheit zur Perversion wird. Pierre Clementi – die Mutter Korsin, der Vater unbekannt – hatte eines jener Gesichter, die im selben Maße Abscheu wie Bewunderung provozieren und sich unauslöschlich einprägen. Auf diesem schmalen Grat zwischen Hässlichkeit und Sinnlichkeit wandelte sonst nur noch Klaus Kinski. Wobei Clementi mit seinen dunklen Augen und vollen Lippen zu Beginn seiner Karriere in den Sechzigern durchaus noch durchgehen konnte als präraffaelitischer Jüngling, der in schlechte Gesellschaft geraten war – eine Figur wie von Genet. Einer der vier Kurzfilme, die Clementi um 1970 herum nebenher drehte, hatte denn auch den für seine Karriere bezeichnenden Titel EIN ENGEL UND EIN DÄMON.
Auch wenn er in Michel Devilles BENJAMIN – AUS DEM TAGEBUCH EINER MÄNNLICHEN JUNGFRAU zeigte, dass er durchaus den Unschuldsengel spielen konnte, so war es doch sein Auftritt in Buñuels BELLE DE JOUR, der sich in die Erinnerung einbrannte. Da kommt er im langen schwarzen Ledermantel und mit einem unglaublich affektierten Gehstock ins Bordell, legt sich mit einem anderen Kunden an und schnappt sich Catherine Deneuve, die Bürgersgattin auf Abwegen, die in ihm findet, was sie in der Prostitution offenbar gesucht hat. Die physische Irritation, die Clementi selbst in diesem Ambiente darstellt, wird noch dadurch gesteigert, dass er silberne Kronen auf den Schneidezähnen und eine lange Narbe auf der Schulter hat. Clementi ist grob, herrisch, gewalttätig, aber in gewisser Weise genau das, was die ewig ebenmäßige, gleichmütige Schönheit der Deneuve herauszufordern scheint. Wenn sie sich Belle de jour nennt, dann ist er ihre Bête de nuit: die Schöne des Tages und das Biest der Nacht. Clementi verkörpert für jeden Kinogeher in dieser Rolle das, was Kinder meinen, wenn sie rufen: Wer hat Angst vorm schwarzen Mann?
Das war seine Zeit, die Zeitenwende von 1967 bis 72, da war er in der Filmgeschichte der Mann für gewisse Stunden: bei Buñuel in DIE MILCHSTRASSE, bei Pasolini in DER SCHWEINESTALL, bei Bertolucci in PARTNER und IL CONFORMISTA, und dazu bei Philippe Garrel, Glauber Rocha, Liliana Cavani, Miklos Jancsó. 1972 wurde Clementi in Rom wegen Drogenbesitzes verhaftet und saß 17 Monate hinter Gittern, ehe er aus Mangel an Beweisen freigesprochen wurde. Hinterher erklärte er, in Wahrheit habe man ihn wegen seiner Verbindungen zur Ultralinken aus dem Verkehr gezogen.
Wahr ist jedenfalls, dass er danach nie wieder zur alten Form auflief: Die Rollen wurden immer obskurer und peripherer, hier in Dusan Makavejevs SWEET MOVIE, da in Rivettes PONT DU NORD, dort in James Ivorys QUARTETT. Er hat sich dem Theater zugewandt und eigenen filmischen Experimenten. So blieb er, was er war: eine Figur des Untergrunds, die für einen Moment in einer Blütezeit des europäischen Kinos ans Licht gekommen war und dort schillerte wie kaum eine andere. Gestern ist Pierre Clementi im Alter von 57 Jahren in Paris gestorben.