29. November 1999 | Süddeutsche Zeitung | Nachruf | Wim Thoelke

Zum Tode von Wim Thoelke

Haltung, nicht nur Unterhaltung

Sie nannten ihn ‚Big Wim‘. Und Wim Thoelke ließ es sich gefallen. Das war nicht nur eine Sache des Selbstbewußtseins, sondern auch eine Frage der Statur. Big Wim brachte auf den Punkt, was seine Figur verkörperte. Thoelke besaß nicht den Wohlstandsbauch des Wirtschaftswunders, sondern eher das gewichtige Erscheinungsbild späterer Jahre, jenes Gardemaß, das der Wohlstand Leuten von seiner Größe zubilligt. Wenn es stimmt, daß er vertraglich verpflichtet war, seine hundert Kilo zu halten, dann zeigt das auch, daß man damals beim Fernsehen ganz genau wußte, was man seinen Zuschauern schuldig ist. Nicht nur Unterhaltung, sondern vor allem Haltung.

Wenn man wissen will, was Wim Thoelke verkörperte, muß man nur mal seinen Werdegang durchgehen: Bei Kriegsende war er 18, holte das Abitur nach, fing als Kaufmann im Bergbau an, studierte Jura, wurde 1952 von Willi Daume als Hauptgeschäftsführer zum Deutschen Handballbund geholt, machte nebenher Sportreportagen und gründete 1960 eine Charterfluggesellschaft. 1963 ging er zum ZDF, wo er unter anderem heute und DAS AKTUELLE SPORTSTUDIO moderierte; 1970 wurde er Quizmaster bei DREI MAL NEUN, dessen Fortsetzung DER GROSSE PREIS Thoelke dann ab 1974 präsentierte. Dazu kamen Immobilien, Autohäuser und eine Seniorenkollektion bei C&A. Kein Zweifel, der Mann stand für etwas. Für jene Überzeugung vielleicht, daß man sich das, was man ist, auch redlich verdient hat.

1974 war also nicht nur das Jahr, in dem Deutschland zum zweitenmal Fußballweltmeister wurde, sondern auch das Geburtsjahr von DER GROSSE PREIS, dem ‚heiteren Spiel für gescheite Leute‘, das mit seiner Fernsehlotterie im Laufe der Jahre über drei Milliarden Mark zugunsten der Aktion Sorgenkind eingespielt hat. Die Sendung mit ihrer Mischung aus oberlehrerhafter Strenge und wohltätiger Milde dürfte das Gesicht des deutschen Alltags kaum weniger geprägt haben als die historischen Ereignisse. Die Siebziger mochten bewegte Jahre für die Bundesrepublik gewesen sein, aber im GROSSEN PREIS behielt alles seine Ordnung, in der es keine größeren Gefahren gab als ein Aufleuchten auf der großen Rätseltafel: ‚Risiko.‘ Dies war eine Welt, in der es auf jede Frage auch eine Antwort gab. Für Zweifelsfälle gab es den stets freundlich lächelnden, aber immer streng urteilenden Oberschiedsrichter Eberhard Gläser. Von solchen Instanzen konnten die im Schnitt neun Millionen Zuschauer im wirklichen Leben nur träumen.

Wim Thoelke verkörperte ein Bild des Deutschen, in dem sich die meisten ohne größeren Reibungsverlust wiederfinden konnten. Kein Charmeur wie Kulenkampff, kein Springteufel wie Rosenthal, kein Weltmann wie Fuchsberger, sondern einfach nur ein Sohn eines Oberstudiendirektors aus Mülheim an der Ruhr, der auch nie so recht wußte, wohin mit seinen Händen. Er umgab sich mit einem Inventar von Leuten, denen schon damals etwas Museales anhaftete: dem unvermeidlichen Walter Spahrbier, der Postuniformen vorführen mußte, der Chefassistentin Beate, die nach einer Zahnpastareklame gehen mußte, und Loriots Wum und Wendelin, auf deren Witz Thoelke mit verlegenem Händereiben reagierte. Heute, wo jeder Showmaster jeden Blödsinn mitmacht, ist so etwas nicht mehr denkbar. Und geradezu unvorstellbar wären heute Geduldsproben wie das Verlesen der Gewinner samt Adresse, das allenfalls durch ein gelegentliches ‚Glückwunsch nach Bottrop‘ aufgelockert wurde.

‚Bei mir mußte keiner das Gefühl haben, wieder achtzig Minuten seines Lebens sinnlos zu vertun‘, hat Wim Thoelke zu seiner Sendung gesagt. Und am Ende mag er damit auch noch recht gehabt haben. DER GROSSE PREIS war ein JURASSIC PARK und Thoelke ein Dinosaurier. 1991 mußte er dann eine Folge aussetzen, weil er sich einer dreifachen Bypass-Operation unterziehen mußte. Als er zurückkam, war er nicht mehr der alte. So brutal das klingt, aber offenbar wollten die Zuschauer in ihrer heilen Fernsehwelt nicht daran erinnert werden, daß auch ein Mann von seiner Statur sterblich ist. So unmenschlich kann das Fernsehen sein. Als er 1993 gehen mußte, schied er im Unfrieden. Er wollte Jüngeren eine Chance geben, sagte er – und mußte seinen Platz dem sechs Jahre älteren Kulenkampff räumen. Thoelke versuchte sich zu wehren, schrieb seine Autobiographie ‚Stars, Kollegen und Ganoven‘, griff seinen Intendanten Stolte an, deutete Korruption im Sender an, aber machte einen Rückzieher. Als habe er irgendwie gewußt, daß dies nicht mehr seine Welt ist.

Am Sonntag ist Wim Thoelke im Alter von 68 Jahren in Wiesbaden gestorben.

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