09. Februar 2000 | Süddeutsche Zeitung | Berlinale, Kommentar | Berlinale 2000 (1)

Berlinale

Matt glänzt der Goldene Bär

Alles klingt nach Zukunft: Zum ersten Mal wird ein Staatsoberhaupt – Johannes Rau – die Berliner Filmfestspiele eröffnen, die die ersten im neuen Millennium sind. Und pünktlich zum 50-jährigen Bestehen ist die Berlinale auch noch vom alten Zoo-Palast ins neue Gelände am Potsdamer Platz umgezogen, wo nach und nach alle Programmreihen eine Heimat finden sollen. So viel Zukunft war nie, und trotzdem lässt sich kaum leugnen, dass große Festivals wie die Berlinale zunehmend antiquiert wirken.

Womöglich rührt der Eindruck ja auch daher, dass in die Vorbereitungen zum Jubiläumsfestival die Nachricht platzte, der Medienkonzern Time-Warner werde vom Internetriesen AOL geschluckt. Zwar ist das Aufgehen alter Filmstudios wie Warner Bros. in größeren Medienkonzernen eine Entwicklung, die schon seit längerem im Gange ist, aber die Tatsache, dass hier ein Stück Filmgeschichte von einem neuen Medium geschluckt wird, hat noch einmal die Akzente verschoben. Natürlich wird Warner weiter Filme machen, die ins Kino kommen und auf Festivals laufen – doch wenn selbst ein so weltumspannendes System wie Hollywood nur noch Teil eines viel größeren Systems ist, dann sind auch die Filme irgendwann nur noch Futter für ein immer gefräßigeres Netzwerk.

Worin genau die Auswirkungen des Internets aufs Kino bestehen werden, lässt sich noch nicht sagen. Immerhin war nicht nur in Hollywood das große Thema des letzten Jahres der Billigfilm „Blair Witch Project”, dessen phänomenaler Erfolg weithin der geschickten Lancierung im Internet zugeschrieben wurde. Das zeigt, dass der heimische Computer als Informationsmedium eine nicht mehr wegzudiskutierende Bedeutung erlangt hat, und es belegt, dass die Wege zwischen Film und Zuschauer viel kürzer geworden und nicht mehr unbedingt auf die Vermittlung durch die herkömmlichen Medien angewiesen sind.

Genau darin bestand aber einst der Sinn von Festivals wie der Berlinale. Die Branche fand sich dort zu einer Leistungsschau des Weltkinos zusammen, von dessen Errungenschaften dann die Kunde in die Welt hinaus ging. Festivals waren Veranstaltungen, die sich den Globalisierungstendenzen entgegenstemmten, indem sie selbst im prestigeträchtigen Wettbewerb den kleineren, unbekannteren Filmnationen ein Forum boten. Tatsächlich laufen dort auch Filme aus der Türkei, Jugoslawien oder China, aber in Wahrheit ist das kaum mehr als ein Alibi. Woran Festivals heutzutage tatsächlich gemessen werden, ist die Anzahl der Stars, die sie aufbieten können. Stars kommen aber nur, wenn sich die Studios von ihrem Auftritt auch etwas versprechen. Und weil sich mittlerweile herumgesprochen hat, dass selbst eine Auszeichnung wie der Goldene Bär hinterher nicht unbedingt mehr Zuschauer ins Kino lockt, ist man dazu übergegangen, den Festivalauftritt möglichst mit dem Kinostart zu koppeln. Das führt dann dazu, dass Filme wie „The Beach” mit Leonardo DiCaprio, „Der talentierte Mr. Ripley” mit Matt Damon und Gwyneth Paltrow oder „Three Kings” mit George Clooney in derselben Woche, da sie auf der Berlinale gezeigt werden, auch bei uns in die Kinos kommen.

Der globale Markt hat dazu geführt, dass diese Termine zur Deckung gekommen sind. Wo Festivals einst noch Raum für Entdeckungen waren, ist heute mehr denn je alle Aufmerksamkeit an die Großproduktionen gebunden. Die Großfestivals sind zu Abschussrampen für ihre Starprojekte verkommen – und da gibt es auch keinen Weg zurück. Ein Festival, das nicht mindestens ein halbes Dutzend Superstars durch die Stadt schleust, gilt gemeinhin als misslungen – da können noch so aufregende Kleinproduktionen auf sich aufmerksam machen.

Wobei diese Sehnsucht, sich im Glanze der Stars zu sonnen, im Grunde auch schon wieder rührend altmodisch wirkt. Wie viele Berliner werden einen von ihnen wohl leibhaftig zu Gesicht bekommen? Ein paar Dutzend, einige hundert? Es hilft alles nichts: Stars bedeuten Medienrummel – und darum geht es. Denn nur die stete Versicherung, dass die Stars tatsächlich aus Fleisch und Blut sind, gibt den Menschen den Trost, dass ihre Sehnsüchte auch einen realen Bezug haben. Also kann man – so widersinnig das ist – mit Festivaldirektor Moritz de Hadeln nur bangen, dass Leo, Mel, Tom oder George auch wirklich kommen.
Man kann nicht einmal mehr sagen, dass Hollywood an allem schuld ist. Wie die Fusionen der letzten Jahre zeigen, ist Hollywood selbst nur noch ein immer kleinerer Wirtschaftszweig einer immer größeren Branche. Längst ist das Filmgeschäft zu einer die ganze Welt umfassenden Kulturindustrie zusammengewachsen, in der die Gelder keineswegs nur aus Amerika kommen. Schon immer bestand Hollywoods Haupttugend darin, weltweit Talente einzubinden für Stoffe, die auch weltweit verstanden werden. Dieses System hat sich durchgesetzt und wird es auch weiter tun. Daneben bleibt immer weniger Platz für andere Entwürfe, andere Sprachen, andere Filme. Widerstand ist trotzdem nicht zwecklos. Die wahre Geschichte des Kinos wird nicht an der Kasse geschrieben. Und womöglich wird auf der Berlinale doch ein unbekannter Meister entdeckt, der die Leute auch ohne Geld und Stars und Tamtam verzaubert. Wunder sind immer möglich – im Kino mehr als anderswo.

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