22. Januar 1996 | Focus Magazin | Interview | Paul Verhoeven

Finger auf die Nippel

Ein Holländer in Hollywood: Paul Verhoeven über seinen neuen Skandalfilm SHOWGIRLS

FOCUS: Sie haben offenbar ein Talent für Skandale – nicht erst seit SHOWGIRLS und BASIC INSTINCT.
Verhoeven: Das war schon 1980 in Holland so. Bei SPETTERS war das ganze Land in Aufruhr, es gab sogar ein Komitee gegen uns. Wir wurden von allen Seiten attackiert. Danach war es sehr schwierig, weiterhin Filme in Holland zu machen. Ich bekam keine Fördergelder mehr.
FOCUS: Wollten Sie nicht schon immer nach Hollywood?
Verhoeven: Ich habe Holland voller Melancholie verlassen. Ich war nicht wütend, aber traurig, daß ich gehen mußte. Es gab das Angebot aus Amerika, ROBOCOP zu machen, aber ich mochte das Drehbuch nicht besonders. Und wenn mich meine Frau nicht gedrängt und gesagt hätte, „Fuck them all!“, wäre ich wohl nicht gegangen. Hollywood war keineswegs mein Traum. Ich hielt unsere Filme für genauso gut und interessant.
FOCUS: Finden Sie den Skandal um SHOWGIRLS nicht etwas lächerlich – nach all dem, was Sie in Holland bereits gemacht haben?
Verhoeven: Vor zwanzig Jahren sind wir tatsächlich viel weiter gegangen. Selbst SHOWGIRLS zeigt höchstens fünfzig Prozent von dem, was in sexueller Hinsicht in „TÜRKISCHE FRÜCHTE passiert. Aber so ist Amerika. Ich habe die sexuelle Revolution in Amsterdam erlebt, in den Siebzigern, seither bin ich lockerer. Ein Satz wie „Leg deine Finger auf die Nippel“ geht mir flott über die Lippen.
FOCUS: Sie hätten Ihre SHOWGIRLS ja auch in Paris filmen können.
Verhoeven: Ich dachte anfangs sogar ans „Moulin Rouge“ oder die „Folies Bergères“. Aber der Autor Joe Eszterhas schlug vor, nach Las Vegas zu gehen, und dort habe ich festgestellt, daß dies der ideale Ort für unsere Geschichte ist. In Paris gibt es ein Leben außerhalb der Shows. In Las Vegas gibt es das Spiel und die Shows – und sonst gar nichts.
FOCUS: Das klingt, als hätten Sie Amerika inzwischen erforscht.
Verhoeven: Ich habe zehn Jahre gebraucht, bis ich dahinterkam, was ich in diesem Land eigentlich ausdrücken will. Das liegt auch daran, daß ich mich mit Sprachen nicht besonders leicht tue. Darum habe ich in den ersten fünf Jahren Filme gemacht, in denen die Sprache nicht so wichtig ist. Ich hoffe, daß ich auch hier irgendwann das Gefühl fürs Filmemachen kriege, das ich damals in Holland hatte. Ich bedaure es, das mein früherer Drehbuchautor nicht mitgekommen ist – so einen habe ich hier nicht mehr gefunden.
FOCUS: Betrachten Sie sich also als Künstler im Exil?
Verhoeven: Nein, eher als ein Kind im Wunderland des Showgeschäfts. Musicals, Science-fiction und Thriller haben mich schon ganz früh fasziniert, die europäischen Ideen der Nouvelle Vague entdeckte ich erst später. Ich habe mich also zurückentwickelt zu den Genres meiner Kindheit – und mich dahinter auch versteckt, weil ich zu unsicher war, mich selbst auszudrücken. Was meine Sehnsucht nach Fantasy und anderen Welten angeht, bin ich inzwischen allerdings befriedigt. Jetzt würde ich gern mal etwas anderes machen.
FOCUS: So etwas wie Ihr gescheitertes Projekt CRUSADES mit Arnold Schwarzenegger?
Verhoeven: Zum Beispiel. Aber zur Zeit will keiner 140 Millionen Dollar in einen Film investieren, der die Kreuzzüge schlechtmacht. Es war ein einziges Gemetzel, das als großer Sieg ausgegeben wurde. Dabei waren diese Kriege aus moralischer Sicht ein totales Desaster.
FOCUS: Und was ist jetzt Ihr Ziel?
Verhoeven: Ich möchte einen Film wie LAWRENCE VON ARABIEN drehen. Aber Spielberg will das auch und schafft es auch nicht. David Lean ist immer noch mein Idol. Ich wollte, Pasternak hätte noch einen Roman wie DOKTOR SCHIWAGO geschrieben, den ich heute verfilmen könnte. Etwas in der Art habe ich nicht gefunden, und in mir selbst steckt so etwas nicht. Aber schließlich war Lean auch schon über 50, als er seine großen Filme gemacht hat. Da habe ich noch etwas Zeit.

Wenn Kritiker gnädig sind, dann verreißen sie einen Film. Wenn sie jedoch ungnädig sind, dann machen sie sich darüber lustig. SHOWGIRLS wurde in Amerika mit Hohn und Spott überzogen, nachdem er zunächst als heißeste Show des Jahres galt. Vermutlich hat seit Jahren kein Film mehr so schlecht abgeschnitten. Mit Verlaub: zu Unrecht.

Shows und Girls in Las Vegas – eine Newcomerin versucht mit allen Mitteln, die herrschende Diva zu verdrängen. Es geht also um Aufstieg und Fall und darum, ob man bereit ist, für den Erfolg jeden Preis zu zahlen. „Showgirls“ ist ein Musical, in dem es zur Sache geht, und ein Drama, in dem es immer nur um das eine geht.

Die Choreographie ist so dynamisch wie in FLASHDANCE, die Inszenierung so attraktiv wie in BASIC INSTINCT. Der Regisseur Paul Verhoeven war schon immer besser, als die Kritik wahrhaben wollte. Seine Kamera schwelgt im falschen Glitzer der billigen Effekte und im echten Schweiß der noch billigeren Mädchen. Vielleicht nimmt er die Shows dabei ernster, als sie es verdient haben, aber das ist noch lange kein Grund, den Film ernster zu nehmen, als er ist. SHOWGIRLS will seinen Zuschauern etwas vormachen – das nennt man Showbusiness.

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