13. März 1992 | Süddeutsche Zeitung | Interview | James Toback

Ein einmaliger Glücksfall

Bugsy, Beatty, Bening und Barry: Gespräch mit dem Drehbuchautor James Toback

BUGSY ist das Projekt dreier Männer: Warren Beatty, Barry Levinson und James Toback. So unzugänglich und undurchdringlich die ersten beiden sind, so beredt ist der dritte im Bunde. Die New Yorker Spielernatur James Toback, früher als Journalist und Literaturprofessor tätig, fing an mit einem Drehbuch über einen Literaturprofessor, der dem Glücksspiel verfallen ist. Es wurde 1973 unter dem Titel DER SPIELER VON KAREL REISZ mit James Caan verfilmt. Dann führte Toback selbst Regie: 1977 bei FINGERS (FINGER – ZÄRTLICH UND BRUTAL) mit Harvey Keitel, 1980 bei LOVE AND MONEY (GELD UND LIEBE) mit Ray Sharkey, 1983 bei EXPOSED mit Nastassja Kinski, Rudolfo Nurejev und Keitel, 1987 bei THE PICK-UP ARTIST (JACK, DER AUFREIßER) mit Robert Downey jr. und Molly Ringwald und 1989 bei THE BIG BANG, in dem er selbst über Gott und die Welt philosophiert. Jetzt wurde James Toback mit seinem großartigen Drehbuch zu BUGSY, der Geschichte des Gangsters Benjamin ‚Bugsy‘ Siegel, der Las Vegas erfand, für den Oscar nominiert. Das Gespräch beginnt damit, daß der Ober vier Flaschen Bitter Lemon auf den Tisch stellt. Mit James Toback sprach Michael Althen.

Sind die alle für Sie?
Natürlich. Früher bin ich mit großen Champagnerflaschen auf der Straße herumgelaufen, das war zwischen 1975 und ’84, bevor ich erfuhr, daß meine Leber ernste Probleme hat. Der Arzt frage damals, ob ich mich auf ein oder zwei Glas am Tag beschränken könne, und ich antwortete, ich könnte nicht einmal mit ein oder zwei Flaschen am Morgen auskommen. Dann müssen Sie ganz aufhören, sagte er, sonst sind Sie in einem Jahr tot. Also hörte ich auf. Statt zehn Flaschen Champagner am Tag trank ich dreißig Cola light. Dann mußte ich auch mit dem Koffein aufhören und trinke jetzt dreißig bis vierzig Bitter Lemon oder Tonic am Tag.
Kein Wunder, daß Ihre Helden immer etwas Manisches haben. Auch Bugsy Siegel, der immer den Spruch ‚Twenty dwarfs took turns doing handstands on the carpet‘ vor sich hersagt. Woher kam die Idee?
Ich wollte etwas finden, was zeigt, daß Bugsy über seine Aussprache eine andere Herkunft vortäuschen wollte. Und ich fand den Satz in einem Spracherziehungsbuch jener Zeit. Der Satz ist kein Zungenbrecher, sondern zwingt einem zu klarer Aussprache: ‚Twenty dwarfs took turns doing handstands on the carpet.‘ Als ich anfing zu schreiben, sollte Bugsy nur Worte an seinen Spiegel heften – was er auch in Wirklichkeit getan hat. Jeden Tag nahm er fünf neue Wörter aus einem Synonymwörterbuch, das er mit sich herumtrug. Ursprünglich hatte ich geplant, daß er die neu gelernten Wörter dann immer auch ins Gespräch einfließen lassen sollte. Aber als der Stoff komprimiert wurde, mußten wir wählen zwischen der Obsession mit neuen Wörtern und der mit der Aussprache. Und nachdem letzteres ein Interesse an der Sprache impliziert, nahmen wir das.
Dabei würden die meisten Leute hinter Ticks dieser Art gerade Barry Levinson vermuten.
Als Regisseur und Autor weiß ich natürlich, daß man Regisseure immer für die thematische Harmonie in ihrem Werk verantwortlich macht. Das ist aber manchmal eher Zufall. In diesem Fall war es so, daß ich mit Barry Levinsons Vision fast zur Gänze übereinstimmte. Und die wenigen Male, wo das nicht der Fall war, waren schnell Lösungen gefunden. Ich glaube nicht, daß das mit irgend jemandem je wieder passieren könnte. Es war wie beim Spielen, als ich 1981 eine unglaubliche Glückssträhne hatte. Und so kam mir auch diese Zusammenarbeit auf geistiger Ebene vor – ein einmaliger Glücksfall. Dabei würde ich Warren Beatty mit einschließen, denn er war Mittel und Zweck jeder unserer Ideen.
Dennoch haben Sie in der amerikanischen Zeitschrift Première geschrieben, daß Sie Levinson umbringen wollten, weil Sie eigentlich selbst vorhatten, Regie zu führen. Wie ernst war das?
Sehr ernst. Ob ich Barry allerdings wirklich umgebracht hätte, weiß ich nicht. Wenn ich jedoch festgestellt hätte, daß Barry ein widerlicher, hassenswerter Mensch ist, der den Film ruiniert, dann hätte ich es wahrscheinlich getan. Ich hätte genügend Neugier und Interesse am Tod, um das vor mir gegebenenfalls zu rechtfertigen. Ich habe diese Seite in mir oft genug in Aktion erlebt.
Haben Sie Beatty denn jemanden vorgeschlagen, nachdem klar war, daß nicht Sie Regie führen würden?
Ich habe Orson Welles vorgeschlagen, und der ist tot. Das ging ein paar Wochen so. Nachdem Beatty aber so überhaupt nicht lachte, merkte ich schnell, daß er wirklich jemanden sucht. Ich glaube, er wußte schon sehr bald, daß es Barry machen würde.

Ein smarter Bursche

Dabei ist Levinson für eine Gangster- Geschichte nicht gerade eine naheliegende Wahl.
Nein, aber Warren ist ein sehr gerissener und scharfsinniger Junge, und die Tatsache, daß die Zusammenarbeit so gut funktionierte, beweist ja, daß er da Verbindungen zwischen uns gesehen hatte, die außer ihm keiner erkannte. Er sieht solche Sachen. Ich halte ihn für den mit Abstand smartesten Burschen, den ich im Filmgeschäft je getroffen habe. Mit Abstand, es gibt nicht einmal einen Verfolger. Und dazu ist es einer der loyalsten und verläßlichsten Menschen, die ich kenne.
Er ist offenbar auch klug genug, ein bewußtes Spiel mit seinem Image zu betreiben, es zu unterwandern und zu hinterfragen.
Das ist Teil seiner Gerissenheit. Daß er nicht hergeht und einen Heiligen spielt, der die Menschheit retten will, sondern sein Image ernst nimmt und es, was die Gewalt angeht, eher noch negativer wirken läßt. Diese Bereitschaft von seiner Seite, Dinge zu tun, die er – klug wie er ist – bisher bewußt vermieden hat, macht den Film auch für ihn und uns so einzigartig. Diese Figur zu spielen, ist ja durchaus ein Risiko, wenn man vom Publikum geliebt werden will. In BONNIE & CLYDE gab es immer einen Grund für sein wildes, anormales Verhalten: die bösen Banken oder die bösen Gegner. Clyde Barrow war nie unmoralisch. Bugsy Siegel ist hingegen eine Figur, die dauernd Dinge tut, die allein ihrer psychopathischen Natur entspringen. Und dennoch, hat Beatty es mit dieser Figur geschafft, sein Image und seine Reputation zu verbessern.
Meinen Sie damit die Tatsache, daß ihn erstaunlich viele Leute nicht leiden können?
Ja, es gibt immer noch Leute, die ihm jedes erdenkliche Mißgeschick wünschen. So gut aussehen, so erfolgreich sein und so viele Frauen gehabt zu haben über so lange Zeit, da ist es einfach klar, daß es haufenweise Männer gibt, die neidisch sind. Und Frauen, die ihn gerne kastriert sehen würden.
Diese unnahbare und berechnende Kälte strahlt ja auch seine Frau Annette Bening im Film aus. Sind die beiden sich ähnlich?
Annette ist ein sehr gescheites, aufrichtiges, verständnisvolles Wesen. Aber ihr Auftreten ist so poliert, so wohlgeformt, daß man kaum glauben kann, daß das nicht Fassade ist. Man wartet immer darauf, daß sich das Gegenteil herausstellt, daß ihr wahres Wesen zum Vorschein kommt. Aber es passiert nicht. Sie ist so. Und die Tatsache, daß Beatty mit ihr eine Familie gründet nach all der Zeit und all den Gelegenheiten, belegt das um so mehr. Weil er von jeher desinteressiert war an dummen, selbstsüchtigen oder verdorbenen Frauen. Im Grunde hat er immer jemanden gewollt mit dem zutiefst moralischen Charakter seiner Mutter.
Hätten Sie denn auch Warren Beatty gewählt, wenn Sie hätten entscheiden können?
Unbedingt. Er war schon mein Lieblingsschauspieler in der Highschool. Ich mochte ihn in LILITH, MICKEY ONE, SPLENDOR IN THE GRASS und ALL FALL DOWN, auf die er nicht einmal stolz ist. Ich zog ihn sogar noch Paul Newman und Marlon Brando vor. Als ich in Harvard war, dachten die Leute, ich sage das aus Provokation. Das war 1965, und man beschimpfte mich als Arschloch.
Sehen Sie also Parallelen zwischen ihm und Ihren früheren Helden?
Ja, es sind alles isolierte Helden, die sich von der Welt losgelöst haben und ein dauerndes Gefühl der Entfremdung verspüren. Leute, die fast ausschließlich auf ihrer eigenen Frequenz existieren. Und weil sie vernarrt sind in den Tod, fordern sie ihn dauernd heraus. Ihr Verhalten ist nicht einmal von innen heraus zu verstehen, weil sie sich dauernd selbst überraschen. Sie haben die Kontrolle verloren, ihre Welt ist aus den Fugen geraten.
Abgesehen von Ihrem Kummer darüber, diesmal nicht selbst Regie geführt zu haben: Beneiden Sie Levinson um bestimmte Fähigkeiten als Regisseur?
Ich würde es nicht Neid nennen. Aber Fähigkeiten ist das richtige Wort. BUGSY ist eine wirklich elegante und gekonnte Regiearbeit, die seine Fähigkeiten als Regisseur unter Beweis stellt. Und weil ich dabei war, weiß ich, wie groß seine Kontrolle über den Film war. Es gibt einen Haufen Regisseure, auch solche von internationalem Rang, die im Grunde den Kameramann alles machen lassen. Die keine Vorstellung haben, wie man eine Szene gestaltet. Allen Daviau hat zwar ein sehr schönes Licht gemacht, aber Barry hat die Einstellungen bestimmt. Und anders als Scorsese, dem zur Zeit auffallendsten und erfinderischsten Regisseur, legt Levinson keinen Wert darauf, die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Und dabei ist er nie langweilig oder vorhersehbar. Wirklich beneidenswert ist allerdings sein Instinkt bei der Besetzung. Ich hätte schon x-mal gesagt, den nehmen wir, aber Barry zögerte immer noch. Ich sagte, worauf warten wir? Und er sagte, auf den Richtigen. Und tatsächlich behielt er immer recht.
Haben Sie mit jemanden auf den Oscar gewettet?
Nein, gegen BUGSY könnte ich sowieso nicht wetten, und dafür zu wetten, lohnt sich auch nicht, weil mein Interesse auch so schon groß genug ist. Wenn ich allerdings wirklich pervers wäre, würde ich viel Geld auf alle anderen Kandidaten setzen. Dann wäre ich in jedem Fall zufrieden.

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