Irgendwann findet man die richtigen Worte
Ein Gespräch mit Robert Benton, dem Regisseur von BILLY BATHGATE
Viermal war Robert Benton für den Drehbuch-Oscar nominiert: bei BONNIE & CLYDE (1967), DIE KATZE KENNT DEN MÖRDER (1976), KRAMER GEGEN KRAMER (1979) und EIN PLATZ IM HERZEN (1982); in den beiden letzten Fällen hat er ihn auch gewonnen, dazu einen Regie-Oscar für KRAMER GEGEN KRAMER . Dazu hat der 1932 in Texas geborene Benton, der lange Jahre als Art Director für Esquire gearbeitet hat, Regie geführt bei IN SCHLECHTER GESELLSCHAFT (1972), IN DER STILLE DER NACHT (1982) und NADINE(1987). Jetzt hat er mit Dustin Hoffman, Nicole Kidman und Bruce Willis E. L. Doctorows Roman über den Gangster Dutch Schultz nach einem Drehbuch von Tom Stoppard verfilmt: BILLY BATHGATE, der morgen in unsere Kinos kommt. Mit Robert Benton sprach Michael Althen.
Können Sie sich noch vorstellen, für andere Regisseure zu schreiben?
Bei KRAMER GEGEN KRAMER habe ich ursprünglich gesagt, der bessere Regisseur dafür wäre Truffaut, aber ich würde gerne das Drehbuch schreiben. Truffaut war auch interessiert, hatte aber keine Zeit. Ich würde auch heute gerne Drehbücher für andere schreiben, wenn ich das Gefühl habe, sie wären für den Stoff besser geeignet und ich könnte etwas von ihnen lernen. Ich bin zum Beispiel ein großer Bewunderer von Bruce Beresford. Für ihn würde ich gerne etwas schreiben und noch lieber für Chabrol.
Bei BILLY BATHGATE haben Sie zuerst den Roman gelesen.
Ich mußte gerade für ein Drehbuch in der Toskana recherchieren und nahm den Roman von Doctorow mit. Und als meine Frau krank wurde und eine Woche im Bett bleiben mußte, habe ich ihn gelesen. Ich fand ihn wunderbar, aber ich lehnte ein Angebot von Disney ab, weil ich bei der Verfilmung einige Schwierigkeiten sah. Anderthalb Jahre später meldete sich Disney erneut. Ich sagte zwar, ich fände, daß ein Europäer das machen sollte, aus den und den Gründen. Aber da fragten sie mich, ob ich auch Regie führen würde, wenn jemand anderes das Buch geschrieben hätte. Und da nannten sie Tom Stoppard. Ich las es und fand es ausgezeichnet.
Dann schlug meine Produzentin Arlene Donovan Dustin Hoffman vor, mit dem ich schon lange wieder arbeiten wollte, ohne die richtige Rolle für ihn gefunden zu haben. Ich fand das eine aufregende Idee, ihn einen Bösewicht spielen zu lassen.
Vor BILLY BATHGATEhaben Sie anderthalb Jahre an einem Projekt gesessen, aus dem nichts wurde. Für BILLY BATHGATEhaben Sie auch nicht länger gebraucht. Ist das nicht frustrierend?
Ich will ihnen was sagen. Ich habe Filme gemacht – ich möchte nicht sagen welche -, wo ich, wenn ich früher die Bremse gezogen und sie nicht gemacht hätte, statt drei Jahren nur anderthalb verloren hätte. Natürlich ist das nicht angenehm, wenn nichts daraus wird. Aber solche Verluste sind weniger schlimm als Fehler, die man gemacht hat.
In welchen Filmen haben Sie Fehler gemacht. In denen, die Sie inszeniert, oder in denen, die Sie geschrieben haben?
In denen ich Regie geführt habe.
Das waren ja nicht so viele…
Das heißt nicht, daß ich mit allen zufrieden wäre. Es gibt Zeiten, da denke ich, es wäre besser gewesen, die Sachen beiseite zu legen und ein Jahr zu warten. Als ich THE LATE SHOW machte und feststellte, daß es nichts taugt, habe ich es einfach umgeschrieben. Das ging später nicht mehr so einfach. Heute bin ich in der fragwürdigen Position, daß gemacht wird, was ich schreibe – zumindest mit einiger Wahrscheinlichkeit. Aber darum geht es nicht. Es geht mir darum, daß das, was ich mache, wirklich gut ist. Und das Schmerzliche daran ist, daß ich der einzige bin, der mich da nicht belügt.
Das heißt, daß sie von anderen nie die Wahrheit über Ihre Filme hören?
Spielberg hat mir über 1941 erzählt, er habe gewußt, daß irgendetwas nicht stimmt. Aber jeder, den er getroffen habe, hätte gedacht, er wisse schon, was er tut, und habe ihm deshalb erzählt, wie gut er das Projekt fände. Das ist hart, aber die Regel.
Haben Sie Spielberg und Truffaut, der in UNHEIMLICHE BEGEGNUNG mitgespielt hat, einander vorgestellt?
Nein. Aber Spielberg hat mir mal gesagt: ‚Ich bewundere Truffaut. Ich werde einen Film machen über eine Gruppe von Kindern in Tuscon, ein Film wie TASCHENGELD. Es soll genauso werden wie ein Film von Truffaut.‘ Daraus wurde dann E.T.
Wollten Sie auch Filme wie Truffaut machen?
Ja, ich bewundere ihn sehr.
Arbeiten Sie deshalb immer mit Nestor Almendros?
Das erste, was ich von ihm sah, war DER WOLFSJUNGE, im Warner-Theatre in Sacramento. Das war das Größte, was ich je gesehen hatte. Ich rief Truffaut an und fragte, wer dieser Nestor Almendros sei. Und er lachte, weil er wußte, daß ich gerade meinen ersten eigenen Film machen wollte. Ich fragte, ob ich ihn treffen könnte, um ihn als Kameramann zu gewinnen. Wir aßen zu Abend, und er sagte, er würde es machen, aber ich müßte ihn in die Gewerkschaft reinbringen. Ich sprach mit Warner, und sie schafften es nicht. Bei LATE SHOW war es dasselbe. Und schließlich bei KRAMER ist es uns gelungen, und seither habe ich nur mit ihm gearbeitet.
Für jemanden, der Texas mal in Richtung Manhattan verlassen hat, handeln Ihre Filme erstaunlich oft von Texas…
David Mamet hat mal gesagt: ‚Alles, was ich je beschrieben habe, hat innerhalb von sechs Monaten in Chicago stattgefunden.‘ Und das stimmt. Ich glaube, daß man als Künstler in sich einen Konflikt findet, der mit irgendetwas in Raum und Zeit verbunden ist, und den man dann immer wieder auslebt. Es ist mir bewußt, daß ich jedesmal eine ähnliche Geschichte erzähle. Da ist immer jemand, der von Zuhause oder vor jemanden flieht, der verlassen wird, oder der nach einer neuen Familie sucht.
Wo wir gerade darüber reden, habe ich das Gefühl, daß ich das nicht länger tun muß. Irgendwann hat man ein Niveau erreicht, wo man die richtigen Worte dafür findet, wo man den Konflikt ausdrücken kann, und keinen Film mehr darüber machen muß. Es hat mal jemand gesagt, daß man aus zwei Gründen arbeitet. Der eine ist, um zu sehen, was man schon weiß; und der andere, um herauszufinden, was man nicht weiß. Für mich gilt letzteres.
Für einen Regisseur besitzen Sie einen erstaunlich distanzierten Blick auf sich selbst. Kommt das von Ihrer Erfahrung als Zuschauer?
Ich glaube zumindest, daß ich deshalb sehr bewußt arbeite. Als wir BAD COMPANY drehten, habe ich in jeder Mittagspause über die Filme, die ich liebe, doziert, vor allem über amerikanische Western. Wir haben MY DARLING CLEMENTINE von John Ford angesehen, und ich habe über die Kamera und die Einstellungen geredet. Und am Ende des Filmes kam der Regieassistent und fragte: ‚Wie kommt es, daß die letzten drei Regisseure, mit denen ich gearbeitet habe und die lauter Anfänger waren, alle MY DARLING CLEMENTINE gezeigt haben?‘
Ich habe Filme schon immer geliebt. Aber erst die Autoren der Nouvelle Vague haben mir gezeigt, was das amerikanische Kino wirklich wert ist. Sie haben über Hawks geschrieben, und ich habe begriffen, daß man ein großer Künstler und populär zugleich sein kann. Da Wyler, Hawks, Ford oder Hitchcock große Künstler waren. Das erschien mir revolutionär.
Was hat eigentlich Truffaut zu BONNIE & CLYDE gesagt?
Er war sehr freundlich. Truffaut war immer ein sehr großzügiger Mann und guter Freund. Godard, den Truffaut empfohlen hatte, war da anders. Er hatte im November ein Treffen mit zwei Produzenten, die drei Jahre lang die Rechte an BONNIE & CLYDE, aber keine Erfahrung besaßen. Godard kam rein und sagte: ‚Ich mache diesen Winter einen Film namens ALPHAVILLE. Eigentlich will ich ihn nicht machen. Ich versuche, mich freizukaufen, und in drei Wochen komme ich wieder. ‚
Die Produzenten dachten aber, mit einem Drehbuch und einem Regisseur wie ihm suchen sie erst mal einen Star, und mit dem Star finden sie dann ein Studio und auch Geld. Und dann war da plötzlich dieser Verrückte, der schon im Dezember anfangen wollte. Weil sie nicht zugeben wollten, daß sie kein Geld haben, sagten sie, daß Drehbuch sei für den Sommer geschrieben. Da stand Godard auf und sagte: ‚Ich spreche von Kino, und sie reden von Meteorologie.‘
Jahre später kam dann Godard in Paris zu uns und sagte: ‚O.k., laßt uns nun BONNIE & CLYDE machen.‘ Ich war überrascht, denn ich hatte immer gedacht, PIERROT LE FOU sei seine Version des Stoffes. Ich habe den Film geliebt, und er gab mir eine ungefähre Vorstellung davon, wie seine Version von BONNIE & CLYDE hätte aussehen können.