17. September 1998 | Süddeutsche Zeitung | Interview | Doris Dörrie und Bernd Eichinger

Spuren aus dem schwarzen Loch

Die Regisseurin Doris Dörrie und ihr Produzent Bernd Eichinger reden über BIN ICH SCHÖN?

Als 1996 der Kameramann Helge Weindler bei Dreharbeiten in Spanien starb, sah es so aus, als würde der begonnene Film seiner Frau Doris Dörrie nie mehr fertig gestellt werden. Dem Produzenten Bernd Eichinger ist es zu verdanken, daß sie das Projekt dann doch wieder aufgriff, indem sie nochmal ganz von vorne anfing. Die Verbindung war umso überraschender, als die erste Zusammenarbeit der beiden bei ICH UND ER vor zehn Jahren zwar erfolgreich, aber eher gespannt verlaufen war. Ihrem zweiten Projekt BIN ICH SCHÖN? kann man nun Trauer, Verlust und Schmerz ansehen, aber auch, daß es ein Glück jenseits dieser Gefühle gibt.

SZ: Sie beide haben ja schon vor 10 Jahren bei ICH UND ER zusammengearbeitet. Was hat sich seit damals bei ihrem Gegenüber verändert?
Bernd Eichinger: Alles in allem hat sich bei der Doris nichts verändert. Dieses leicht Räuberische, Anarchische, das hast du immer noch.
Doris Dörrie: Dann bin ich ja beruhigt.
SZ: Das sind ja wohl nicht unbedingt Eigenschaften, für die ein Produzent seinen Regisseur liebt.
Dörrie: Das ist ja das Seltsame an Bernd, daß er das goutiert.
Eichinger: Man muß natürlich Talent haben, räuberisch und anarchisch allein genügt nicht. Es ist ja so, daß man nur Kunst machen kann, wenn man auch was zu sagen hat. Und das kann nur passieren, indem man eine gewisse Aufgewühltheit hat. Und das setzt voraus, daß man Erlebnisse hat, die man auch spürt. Leute, an denen alles abtropft, haben weniger das Potential, was Interessantes zu schaffen, was auch andere Leute aufwühlen kann. Dein Grundpotential als Künstlerin ist nicht anders geworden, du gehst höchstens anders damit um.
Dörrie: Das Anarchische ist ein ganz gutes Stichwort. Für mich war ganz entscheidend, daß in einer Phase, wo ich angefangen habe, das Buch umzuschreiben, und geguckt habe, was ich eigentlich noch verkrafte an dem ganzen Projekt, mich der Bernd immer unterstützt hat, das Anarchische auch zu erhalten und nicht zu vorsichtig zu werden. Als ich gar nicht mehr so sicher war, ob das überhaupt funktioniert, weil es so seltsam achterbahnmäßig daherkommt, da warst du das, der gesagt hat, jetzt laß das mal so, mach es nicht noch stringenter, vorsichtiger, einfacher…
Eichinger:…oder gefälliger.
SZ: Bei ICH UND ER hat es hingegen schon auch gekracht.
Dörrie: Damals hatten wir ein Riesenmißverständnis miteinander und nie die Möglichkeit, das auszuräumen. Da hatte ich, glaube ich, wahnsinnig Angst und wußte auch nicht recht wovor, und konnte es aber nicht zugeben. Ich habe versucht, mein Sicherheitsgerüst zu basteln, das auf meiner deutschen Art bestand, die wirklich nichts mit dem Produktionsumfeld in Amerika zu tun hatte. Und Bernd hatte eine ganz andere Erfahrung, eine internationale, die ich nicht hatte. Wir haben mit ganz unterschiedlich gefärbten Brillen auf das Projekt geguckt und haben uns nie auf eine Farbe einigen können.
Eichinger: Es war halt so, daß ich gar nicht begriffen habe, wo dein Problem liegt.
Dörrie: Ich habe es auch selber nicht formulieren können, weil ich damals sehr viel unartikulierter einfach nur um mich geschlagen habe. Wenn mir was nicht gepaßt hat, habe ich zugeschlagen. In dem Punkt bin ich reifer geworden.
Eichinger: Da bist du reifer geworden.
Dörrie: Ja, gell, ich schlag nicht mehr so oft zu – aber du auch nicht.
Eichinger: Ich habe noch nie zugeschlagen. Ich bin nur jemand, der versucht, das Beste aus einer Sache zu machen.
Dörrie: Wir haben beide zugeschlagen. Du so wie ich.
Eichinger lacht
SZ: Gehört das in dieser Branche dazu, daß sich im Laufe der Jahre viele solcher offenen Rechnungen ansammeln?
Eichinger: Nicht aus meiner Sicht. Es passiert öfter, daß man im Vorfeld mit einem Regisseur oder Autor plant und dann feststellt, daß man nicht auf die gleiche Linie kommt und sich trennt. Aber das geschieht sozusagen lange, bevor richtig Blut fließt. Nachträglich sehe ich das ja positiv, daß damals keiner lockergelassen hat und wir das durchgefochten haben. Doris übrigens auch mit sehr viel Charme.
Dörrie: …oder mit Gewalt.
Eichinger: Oder auch mal mit Gewalt. Es wollte eben keiner sagen, o.k., lassen wir’s. Was natürlich schon dazu geführt hat, daß die Konzepte aufeinander gekracht sind und daß wir viele Mißverständnisse und unterschiedliche Auffassungen mit in den Dreh reingenommen haben und uns ein bißchen durchgewurstelt haben. Aber ich muß nochmal sagen: Es war trotzdem einer der erfolgreichsten deutschen Filme mit über dreieinhalb Millionen Besuchern.
Dörrie: Das hat mir dann auch nicht mehr so viel genutzt. Aber ich habe dabei auch gemerkt, daß ich mich nur ganz schlecht konzeptionell an ein Projekt annähern kann – ich kann es immer nur von innen heraus.
Eichinger: Das war auch der Punkt, den ich nicht verstanden habe bei ihr, aber heute sehr wohl verstehe. ICH UND ER war ein Konzeptprodukt: Ein Mann redet mit seinem Schwanz.
Dörrie: Das Konzept war für mich schon ein bißchen schwer zu verstehen.
Eichinger: Das ist aber auch schwer zu verstehen, daß das so eine alltägliche Sache ist. Man spricht eben mit seinem Schwanz Tag und Nacht.
Dörrie: Das mußt du mir aber auch zugute halten, daß ich da einfach einen Platznachteil habe.
Eichinger: Absolut. Dazu kam, daß du damals nicht sagen konntest, o.k., ich bin ein guter Autor, und jetzt stelle ich mal mein Talent in den Dienst dieses Mechanismus und schaue wie weit ich da komme. Ich denke, daß du im wahren Sinne des Wortes ein Autorenfilmer bist und daß du dich auch nur da wohlfühlst, weil du da genau weißt, wovon du sprichst. Und wenn du das nur einen Zentimeter verläßt, wirst du unsicher.
Dörrie: Das stimmt.
SZ: Warum nehmen Sie überhaupt die Mühe auf sich, Ihre Texte in Filme umzuwandeln?

Dörrie: Zuerst einmal ist mir viel wert, daß ich mit vielen Leuten zu tun habe, das Teamwork. So ewig allein am Schreibtisch zu sitzen, das kann einem irgendwann auch zu einsam werden. Diese Abwechslung habe ich immer schon gemocht: Daß ich ein Jahr am Schreibtisch sitze und dann wieder mit hundert Leuten kommunizieren und ganz viel reden muß. Zum anderen fasziniert es mich wirklich, wenn Sätze, die ich geschrieben habe, sich verwandeln und plötzlich so eine feste Form annehmen. Das ist eine komische Mischung, daß ich auf der einen Seite sehr stark beharre auf dem, was ich geschrieben habe, zum anderen aber alles auch nochmal zum Spielfeld erkläre. Das ist das Schwierige, da die Balance zu finden.
SZ: Wer hat denn wen angesprochen, als es um BIN ICH SCHÖN? ging?
Eichinger: Ich habe Doris angesprochen. Aber das Projekt existierte ja, war ja schon im Dreh, und durch den Tod vom Helge, deinem Mann, habe ich mitbekommen, daß das abgebrochen worden war. Ich glaube es war mein Kompagnon Hermann Weigel, der dich auf der Straße angesprochen hat und sagte, komm, jetzt laß uns doch das Buch mal lesen. Dann habe ich das gelesen – und das war eines der besten Bücher, die ich überhaupt jemals gelesen habe in deutscher Sprache. Durch die Beobachtung und die Originalität war es ein Unikat. Und das ist es ja, was man sucht. Da ist so viel an Lebenserfahrung und Witz und Drama und Tragik und saukomischen Elementen drin, das ist so eine wilde Mischung, die mir sehr imponiert und mich auch sehr gerührt hat beim Lesen. Und dann habe ich sie angerufen und gesagt, laß uns darüber reden, ob wir das miteinander machen wollen.
SZ: Ist Ihnen das nicht eigentlich zuwider, wenn es für Sie als Produzent keine Einflußmöglichkeiten mehr gibt?
Eichinger: Im Gegenteil. Für einen Produzenten ist das der Himmel, wenn ich etwas lese und sage, da ist endlich was da, was Substanz hat und funktioniert. Mainstream ist ja für mich das Gefährlichste, was man machen kann. Wer Mainstream machen will, schießt zwangsläufig immer weit daneben. Die Erfolge im kommerziellen Sinn spielen sich ja meistens an der Kante ab, wo du auch abstürzen kannst. Die Doris hat ja einen Kurs an der HFF, und die haben gesagt: Es ist zu lang; ab einem bestimmten Moment sei der Höhepunkt verpaßt, und danach würde der Film nicht mehr in die Gänge kommen. Darüber zu diskutieren, macht viel mehr Spaß, weil es eine positive Auseinandersetzung ist, bei der man vorankommt. Unter strengen Regeln des Drehbuchschreibens mag das so sein, aber jenseits dieser Regeln gibt es eine emotionale Macht, die auch alles wieder über den Haufen schmeißen kann. Und siehe da, der Film wurde überhaupt nicht zu lang. Da warst du selber überrascht.
Dörrie: Das muß ich vielleicht nochmal erklären: Ich habe dieses Department für Dramaturgie und Scriptentwicklung an der Hochschule und habe alle Studenten mit einbezogen, habe ein reading mit den Studenten gemacht, so wie ich es auch mit den Schauspielern mache, weil man einen Ton kriegt von dem Film, wenn man das zusammen liest. Und dann kam Bernd und sollte erklären, warum er den Film produziert, und die Studenten waren fit und hatten das Buch parat und haben gesagt, daß sie nicht glaubten, daß es funktioniert, daß die zweite Hälfte zu lang sei, daß man nicht so viele Brüche verkrafte. Und dann haben sie sich unendlich gewundert, daß ausgerechnet der Produzent all das, was kommerziell schief gehen kann, verteidigt hat. Das war eine interessante Umkehrung, weil die Studenten wahnsinnig erpicht darauf waren, die Regeln zu erfüllen, um dann zu hören, daß das Regelüberschreiten viel wichtiger ist.
SZ: Verunsichert so eine Diskussion nicht, wenn man kurz vor den Dreharbeiten steht?
Eichinger: Kommt darauf an. Wenn ich das Buch dem Helmut Dietl gebe, und es kommen massive Einwände, dann würde ich mir schon nochmal Gedanken machen.
Dörrie: In dem Moment, wo wir uns einig waren, daß wir das so machen, hatte ich auch eine große Sicherheit. Es ist ja so, daß man einerseits sehr klar sein muß, aber in der Mitte immer ein schwarzes Loch, ein Geheimnis bleiben muß – und wehe, man spricht es zu genau an, dann bricht alles zusammen und der Film wird vorhersehbar und langweilig. Das war mein größtes Problem, weil ich nicht wußte, was das schwarze Loch sein könnte. Es wurde dann zwar nicht klarer, aber ich wußte immer genauer, worauf ich da zusteuere, und zwar mit allen Figuren. Ich kann es nicht genau benennen, was es für alle ist – man kann sagen: das schwarze Loch ist die große Liebe oder die Vergänglichkeit, aber all diese Wörter greifen auch wieder nicht richtig. Aber wenn man bei allen Figuren emotional weiß, wohin man tief im Kern hinaus will, dann hat man irgendwann eine Sicherheit. Irgendwo gibt es ganz tief unten drunter eine Spur, und der kann ich folgen. Das hat es dann ziemlich einfach gemacht.
SZ: Mußten Sie denn mit Ihrem neuen Kameramann Theo Bierkens wieder ganz bei Null anfangen?
Dörrie: Na, das war für mich das Problem, daß ich gerne bei Null angefangen hätte, aber nicht konnte. Da gab es Szenen, die ich komplett mit Helge aufgelöst hatte, Einstellungen, die ich immer noch im Kopf hatte und die ich immer wieder zur Seite schieben mußte, um dem Kameramann, aber auch mir wieder Platz zu machen.
SZ: Gab es auch Szenen, wo das nicht gelungen ist?
Dörrie: Doch, das habe ich schon geschafft. Da habe ich auch daran geackert. Nicht nur um für mich die Luft zu schaffen, sondern für andere im Team auch.
SZ: Hat der kleine Videofilm, den Sie davor für die Fernsehreihe DENK ICH AN DEUTSCHLAND (am 11.Oktober um 22.30 Uhr im BR) gemacht haben, dabei geholfen?
Dörrie: Bestimmt, weil ich nach Helges Tod auch gar nicht mehr wußte, ob ich jemals wieder Filme machen will und kann. Und dieser Minifilm zu zweit vermittelte mir schon die Erkenntnis, daß ich mit einer Kamera überhaupt jemals wieder zu tun haben kann.
SZ: War das eine Art Skizzenbuch für den großen Film?
Dörrie: Ja. Weil ich zum einen gemerkt habe, wie schwierig es ist, diese Balance zwischen Schwer und Leicht zu halten, und zum anderen, wie radikal man sein muß, um diese Balance halten zu können. Und wenn man nur eine Sekunde lang zögert und Schiß kriegt, dann geht’s nicht.
SZ: Gibt es denn Momente, wo auch Sie, Herr Eichinger, den schwerfälligen Apparat verfluchen?
Eichinger: Beim einzelnen Film nicht. Ich verfluche manchmal den Gesamtapparat, die Verantwortung über mehrere Filme, den Verleih. Aber ich bin da ansonsten ganz anders gestrickt. Ich liebe das, wenn ich sehe, daß Profis am Werk sind. Wenn du sagst: „Eine Frau geht durch die untergehende Sonne”, dann ist das schnell geschrieben, aber schwer gedreht – da brauchst du einfach den Apparat.
SZ: Was glauben Sie, Frau Dörrie, warum Bernd Eichinger auf einmal selber Filme machen will?
Dörrie: Ich glaube, weil die eigene Radikalisierung immer wieder sein muß, weil einen sonst der Apparat verschluckt und alles Routine wird. Es macht schon immer wieder Spaß, Bungee zu springen. Auch beim Produzieren kriegt man Routine mit den Desastern, Katastrophen und Kicks, die kennt man dann schon irgendwann auswendig. Bei der Regie wird schon nochmal eine andere Angst frei, das hat auch mit Angstüberwindung zu tun. Das kann ich jetzt nicht auf dich anwenden, aber für mich gilt das schon.
Eichinger: Es geht mir ja jetzt nicht darum, zu sagen, ich will nun Regie machen. Sondern ich bin durch Zufall auf einen Stoff gekommen, von dem meine Leute gesagt haben, der ist unverfilmbar. DER GROßE BARGAROZY von Helmut Krausser. Erstens bin ich seit 20 Jahren Callas-Fan, und zweitens sind da so viele Elemente drin, Liebe und Verzweiflung, Hingabe und Erotik, die mich wahnsinnig interessieren. Ich habe mir also zehn Tage Zeit gegeben und mir gesagt, entweder kriege ich das in Griff und dann hat man eventuell einen Film, oder man kriegt es nicht in Griff und dann hätte ich es buchstäblich liegenlassen. Und als ich fertig war, habe ich das Drehbuch rumgeschickt und habe es auch ihr geschickt. Kannst du mal sagen, was du davon gehalten hast?
Dörrie: Ich habe mir ganz ehrlich gedacht: Scheiße, jetzt kann er auch noch schreiben. Jetzt kann man ihm auch da nichts mehr erzählen. Das hat mich wirklich umgehauen. Ich hätte es am liebsten selbst gemacht.
SZ: Warum glauben Sie, ist er diesem Talent nicht schon früher nachgegangen?
Dörrie: Das kann ich nur auf mich bezogen beantworten: Beim Schreiben, da ziehst du dir ganz schön das Hemd aus, da präsentiert man sich ziemlich nackt. Und das braucht eine gewisse Zeit, bis man sich das traut. Das hat bei mir lange gebraucht, bis ich mich mit Texten wirklich rausgetraut habe. Das steht da, und man kann nicht sagen: Oh sorry, das habe ich nicht so gemeint.
Eichinger: So ein Buch kann man dann auch nicht einfach jemand anderem geben, weil es vom Wahnsinn, der in der Sache drin ist, lebt und nicht von der Erzählstruktur. Ich habe also nicht nach einem Projekt gesucht, ich habe es nur gefunden. Ich habe immer viel geschrieben, habe mir nur keinen Credit geben lassen. Das hätte ich als Produzent unwürdig gefunden, denn es gehört zu meiner Arbeit, beim Drehbuch mitzuhelfen. Aber es gibt auch die Befreiung, wenn man auch mal loslegen kann, das Angestaute…
Dörrie: …das Aggressionspotential. Endlich mußt du keinem Autoren erklären, was du meinst. Der kapiert’s ja doch immer nicht.
Eichinger: Das ist der Vorteil, wenn man älter wird, daß man riechen kann, wo’s nicht stimmt. Und das den Leuten erklären zu müssen, das ist manchmal frustrierend. Aber das war bei dem Projekt mit Doris nicht nötig.

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