14. November 1998 | Süddeutsche Zeitung | Interview | Don DeLillo

Ein Blick ins Herz der Unschuld

„Die Art und Weise, wie mein Gehirn funktioniert, schulde ich dem Kino, dem Jazz und der abstrakten Malerei. ” Don DeLillo spricht über seinen großen Roman „Unterwelt” und all die Dinge, die er berührt

Er spricht wie du, mit amerikanischer Stimme, und in seinen Augen liegt ein halbwegs hoffnungsfroher Schimmer. ” Der erste Satz ist ein Versprechen, ein Versprechen allerdings, das immer auch vom dunklen Grund des Todes handelt, wie Don DeLillo auf den nächsten 968 Seiten seines Romans „Unterwelt” zeigt. DeLillo, der nächste Woche 62 wird, ist mit „Unterwelt” gelungen, was Joyce zu Beginn des Jahrhunderts schaffte: Er findet den Ton, die Sprache, die Musik einer ganzen Epoche, der Welt im Schatten der Bombe. „Unterwelt” ist ein betäubender Chorgesang zwischen Fakten und Fiktionen, Historie und Hysterie, Paranoia und Paradies. DeLillo, der sich lange sehr rar gemacht hatte, hat sich für dieses Buch weiter in die Öffentlichkeit gewagt als je zuvor. Er ist ein Mann voll freundlicher Zurückhaltung, der stets zwischen Scheu und Neugier zu schwanken scheint. Das Gespräch führten Michael Althen, Georg Diez und Dominik Wichmann.

SZ: Eigentlich müßten Sie recht zufrieden sein: Nach dem Gewinn der World Series heißt es, die New York Yankees, Ihr Team aus der Bronx, seien die beste Baseball-Mannschaft aller Zeiten. Aber Legenden haben heute eine kurze Halbwertszeit. Werden die Leute sich denn später einmal an dieses Team erinnern?
Don DeLillo: Ich glaube nicht, daß sich das Yankees-Team von 1998 den Leuten besonders einprägen wird – anders als vor 30 oder 40 Jahren verbrauchen sich heute solche Ereignisse einfach zu schnell, indem sie wieder und wieder im Fernsehen wiederholt werden. Ein ganz unbedeutender Moment in einem Baseball-Spiel wird dann aus allen möglichen Blickwinkeln gezeigt und analysiert – und erlangt dadurch eine Bedeutung, die ihm nicht zukommt.
Funktioniert aber nicht gerade Sport, besonders in Amerika, als ein Vehikel, die kollektive Erinnerung zu formen?
Das ist natürlich immer die Hoffnung – und zugleich das Wunderbare am Baseball: Es gehört zu den wenigen Dingen im amerikanischen Leben, die ein Gedächtnis besitzen. In dieser Hinsicht unterscheidet sich Baseball auch von jeder anderen Sportart: Weder Basketball noch Football tragen diese tiefe Geschichte in sich. Sehen Sie sich doch nur einen Baseball an: Wenn Sie den anfassen, spüren Sie die ganze Vergangenheit dieser Sportart. Die Naht, die Größe, die Art, wie er in der Hand liegt. Deshalb prügeln sich die Zuschauer um jeden Ball, der auf der Tribüne landet. Ein Football oder ein Basketball hingegen sind an sich völlig bedeutungslos.
Baseball ist wieder Amerikas Sport Nummer eins. Steckt dahinter eine Sehnsucht nach unschuldigeren Zeiten?
In gewisser Weise ist es ja ein anachronistisches Spiel: Baseball widersetzt sich den Mechanismen des Marktes – und auch des Fernsehens. Es ist ein offenes Spiel, ohne festgelegtes Ende, ohne Zeitmlimit, ohne Uhr – ein Spiel kann auch sieben Stunden dauern. Und Baseball entzieht sich der Standardisierung: Kein Spielfeld ist genau wie das andere. Vielleicht hat die Magie des Spiels auch damit zu tun, daß man es schon in den Zeiten des Bürgerkriegs spielte, daß es immer noch die naive Erinnerung an Jungs auf einer Kuhwiese in sich trägt. Ich würde gerne glauben, daß dahinter eine tiefere Sehnsucht steckt. Aber natürlich ist das wie alles andere vor allem eine Sache der Werbung. Trotzdem: In seinem Herzen trägt Baseball die Unschuld.
Ihre Liebe zu diesem Spiel erklärt wohl auch, warum der Prolog von „Unterwelt”, diese virtuose Montage von Baseballfinale und Weltgeschichte, einen derart starken Sog entwickelt.
Absolut. Es war ein unerwartetes Vergnügen, diesen Teil zu schreiben – und bestimmte zugleich die Atmosphäre für das gesamte Buch. Ich konnte plötzlich offenere, längere Sätze schreiben, die Erzählperspektive fast beliebig wechseln: Mal Kommentator, mal Kind, mal Spieler – so etwas ist mir bislang noch nicht gelungen. Ich konnte ungehindert durch das Stadion fegen. Das war ein Riesenspaß! Zum ersten Mal seit Jahren erinnerte ich mich an etwas, das ich total vergessen hatte: Schreiben kann auch Spaß bereiten.
Sie schreiben auch zum ersten Mal in einem Roman über Ihre Kindheit in der Bronx. Wie wichtig sind diese Wurzeln?
Als ich vor 17 Jahren zu schreiben anfing, handelten meine – übrigens nicht besonders guten – Kurzgeschichten von meiner unmittelbaren Umgebung. Aber ich habe all die Jahre gebraucht, bis ich dieses enge Straßenknäuel in der Bronx mit anderen Augen sehen konnte. Als ich schließlich darüber schrieb, war das plötzlich ein großes Vergnügen, wie der Teil über Baseball. Vielleicht sogar noch besser, weil es persönlicher ist. Ich schreibe in diesen Passagen auch anders als im Rest des Romans: einfacher und direkter, weniger literarisch. Man kann sagen, daß ich diese Passage dem großen Thema des Buches, der übermächtigen Technologie des Krieges, gegenüberstelle. Es geht in dem Buch um Konflikte auf allen möglichen Ebenen – und erst mit der Zeit merkte ich, daß es auch einen unterschwelligen Konflikt in meinem Denken gab, nämlich den zwischen der Sprache und dem Thema des Buches.
Ist hier das biographische Element wichtiger als in früheren Werken?
Das ist überhaupt nur in diesem Buch ein Thema. Aber ich würde es nicht unbedingt biographisch nennen: Es gibt in „Unterwelt” keine direkt autobiographischen Figur. Aber es stimmt: Ich kenne die Menschen, die damals in der Bronx gelebt haben, sehr gut.
Hat das auch etwas damit zu tun, daß Sie den Status des unsichtbaren Autors aufgegeben haben und nun in der Öffentlichkeit auftreten?
Ich bin nur kooperationsbereiter als früher.
Ist das so schwer?
Es ist gar nicht schlecht, ab und zu seine Leser zu treffen.
Trotzdem zählte man Sie zusammen mit Thomas Pynchon und J. D. Salinger zu den großen Eremiten der Literatur. Vor ein paar Jahren noch verteilten Sie Visitenkarten mit der Aufschrift: „Darüber will ich nicht sprechen. ”
Das war doch ein Witz! Aber in der Tat, ich habe solche Karten, und wenn Sie wollen, können Sie gerne eine bekommen. In Wirklichkeit ließ ich diese Karten drucken, als meine Frau und ich eine viel zu teure Wohnung in Manhattan bezogen hatten und uns jeder nach der Miete fragte.
So entstehen urbane Legenden.
Sogar nachdem ich mich öffentlich zu äußern begonnen hatte, galt ich noch immer als zurückgezogener Kauz. Aber so funktioniert das eben, so wird einem eine Identität verpaßt.
Müssen Sie sich überhaupt so sehr aus der Öffentlichkeit zurückziehen?
Das ist sicher die beste Art, um als Künstler zu leben. Aber es kann die Dinge auch komplizierter machen: Wer sich vollkommen zurückzieht, der wird zur Zielscheibe – den jagen sie, bis sie ihn haben, dessen Briefkasten durchwühlen sie und in dessen Müll stöbern sie. Denken Sie an Salinger, denken Sie an Pynchon.
Und in Ihrem Müll? Was würde man darin finden?
Nichts Überraschendes jedenfalls. Was das betrifft, bin ich auch nicht anders als J. Edgar Hoover.
Der FBI-Chef Hoover kommt auch in „Unterwelt” vor: eine Symbolfigur des Kalten Krieges – einer Epoche, deren düstere Bilanz Sie in dem Roman ziehen. Haben Sie eine Vorstellung davon, in welche Richtung sich die Welt bewegen wird in Zukunft?
Wir leben in einer Zwischenzeit: Hinter uns liegt der Kalte Krieg und vor uns, was immer als nächstes kommt – wobei ich nicht weiß, was das sein wird. Es ist wie in dem Roman von Hermann Broch, „Der Tod des Vergil”, wo es es um das Zeitalter der frühen Christenheit geht; dort heißt es: „Nicht mehr und noch nicht”. So fühlt sich auch die Gegenwart für mich an.
In Ihrem Theaterstück „Valparaiso”, das im Januar Premiere hat, scheinen Sie aber so etwas zu unternehmen wie eine Skizze der kommenden Welt.
Ich habe vor sieben oder acht Jahren mit diesem Stück begonnen. Für mich war es vor allem ein Sprachexperiment: der Versuch, Dialoge für das Theater zu schreiben – und nicht Geschichte oder Politik hat mich dazu angeregt, sondern ein vages Bild, eine Vision. Richtig ist: Wenn ich arbeite, dann merke ich manchmal, daß es da eine Verbindung gibt zu der Welt, die um mich herum existiert, Strömungen, elektrische Felder – und vielleicht geht auch „Valparaiso” in diese Richtung.
Die elektrischen Felder der Gegenwart zu erforschen – welche Rolle spielt das Kino dabei?
Die visuellen Elemente, die ich in meinen Büchern verwende, sind doch ein entscheidender Teil unserer Zeit. Kino, Fernsehen und Photos verwischen zu einer Art Lebensfluß. Außerdem haben die europäischen Filme der späten fünfziger und frühen sechziger Jahre stark meine Sichtweise bestimmt; die Art und Weise, wie mein Gehirn funktioniert, schulde ich dem Kino – zusammen mit dem Jazz jener Tage und der abstrakten Malerei.
Ihr Roman liest sich auch enorm lyrisch, fast musikalisch.
Das ist nicht etwas, was ich bewußt versuche. Ich höre einen Rhythmus, wenn ich schreibe, das schon. Aber ich arbeite nicht so, daß ich die richtige Anzahl von Silben in einem Wort haben muß, damit es die Balance zu einem anderen Wort hält. Es passiert einfach so. Ich benutze eine Schreibmaschine, eine mit extrem großen Buchstaben: Damit ich die Form der Buchstaben sehen kann, damit ich genau beobachten kann, wie die Type auf das Papier trifft. Fast wie ein Bildhauer. Mir verschafft das große Genugtuung. Wenn ich zum Beispiel die Phrase schreibe „raw scrawl”, wo das Wort „raw” in „scrawl” enthalten ist – dann macht mich so etwas glücklich.
Verändern Sie noch viel, wenn Sie den Roman einmal fertig haben?
Nicht besonders viel. In „Unterwelt” habe ich die einzelnen Passagen aber doch recht heftig hin und her geschoben, habe an verschiedenen Fassungen des Romans gebastelt. Ich verwende dabei kleine Kartons, etwa 300 Seiten passen da rein, und davon habe ich 17 Stück. Das sind eine Menge Worte.
Dieses Ordnungsprinzip erinnert ein wenig an Bill Gray, den zurückgezogen lebenden Schriftsteller in „Mao II”. Mußten Sie viel erfinden, um über Bill Gray zu schreiben?
Er ist eine Romanfigur wie alle anderen – nur schwieriger. Die junge Frau in dem Roman, Karen, war ungefähr so schwierig wie ein Schluck Wasser – ich kannte sie von Anfang an. Ihn nicht. Er gab nicht so leicht nach. Aber daß wir beide Schriftsteller sind, hatte damit nichts zu tun. Ich sehe mich nicht in Bill Gray. Wir schauen nicht gleich aus, wir schreiben nicht gleich, wir haben nicht die gleiche Geschichte.
Welche Freiheiten und Möglichkeiten gibt Ihnen die Romanform?
Der Roman ist wundervoll und großzügig, kennt praktisch keine Grenzen. Man kann Essays einbauen, Theaterdialoge, man kann von historischen Kräften durch das Leben einzelner Personen erzählen – was auch der Grund ist, warum zumindest in Amerika die besten jungen Schriftsteller immer noch Romane schreiben und nicht für das Theater oder den Film. Bei „Sieben Sekunden” habe ich die Möglichkeiten des Romans besonders genossen, und auch bei „Unterwelt” wieder: Wie wirkt der Kalte Krieg auf den einzelnen, wie beeinflußt er das Bewußtsein? Der Kalte Krieg in Amerika wurde ja Teil der Popkultur, wie alles in Amerika. Es ging nicht nur um die Angst vor einem Atomkrieg, es ging um Möbeldesign, um Autodesign, um „Dr. Strangelove” und Lenny Bruce, den schwärzesten Humoristen jener Zeit. Theater kann das nicht erzählen, und auch der Film nicht.
Wann hatten Sie denn im Kino das letzte Mal das Gefühl: Das ist etwas, das wird ein Roman nie schaffen?
Da blitzt etwa ein kurzer Moment auf aus dem Film DIE ROTE TAPFERKEITSMEDAILLE, John Hustons Verfilmung von Stephen Cranes Roman: der Mantel eines Soldaten, der kurz über die Leinwand wischt. Großartig, wunderschön, ein bewegender Moment – und nur ein Sekundenbruchteil lang. Oder in dem französischen Film DEr EISKALTE ENGEL: diese grünliche Oberfläche einer Wand in einem sehr dunklen Zimmer – das ist etwas, was man mit Worten wohl nicht beschreiben kann. Und es gibt Gesichter: Liv Ullman am Ende von PERSONA etwa, das ist atemberaubend.
Warum haben Sie sich aber etwa bei „Valparaiso” dafür entschieden, aus dem Stoff ein Theaterstück zu machen und keinen Roman?
Ich hatte ein ganz bestimmtes Bild vor Augen: Ein Mann auf einer Bühne – es mußte einfach auf der Bühne und live sein. Ich habe auch sofort gehört, daß es hier vor allem Dialoge geben muß, viele Dialoge und keine Erzählung. Eine bestimmte Kargheit. Und dem bin ich gefolgt: meiner Intuition und diesem Bild.
Ganz ähnlich haben Sie den Impuls zu Ihrem ersten Roman „Americana” beschrieben: „Ich schaute die Straße runter mit all den schweren Bäumen und alten Häusern. In diesem Moment lag ein Geheimnis, und ich hatte das Gefühl, darüber schreiben zu müssen. ” Sind Sie diesem Geheimnis inzwischen näher gekommen?
Nein, aber ich bin jetzt eher bereit, es als Geheimnis zu akzeptieren. In „Unterwelt” habe ich mich mehr als in jedem anderen meiner Bücher auf Eingebungen verlassen. Es gibt in diesem Roman Dinge, die sind so offenkundig, daß der Leser sicher annimmt: DeLillo wußte, was er tut. Aber DeLillo wußte auch nicht immer genau Bescheid. Er mußte warten, bis die Inspiration kommt. Zum Beispiel erfahren wir im ersten Teil, daß Nick Shay den Baseball besitzt – und das macht auch Sinn. Nur wußte ich davon anfangs nichts. Ich mußte ihm erst den Baseball in die Hand legen, bevor mir klar wurde, daß ihm der Ball wirklich gehört. Und diese Erkenntnis hat meinen Körper durchfahren wie ein Stromstoß: wie ein Geschenk der Gnade, das man dankbar annimmt.
Gnade auf der einen Seite, Paranoia auf der anderen.
War diese Paranoia, von der Sie so oft berichten, ein Nebeneffekt des Kalten Krieges oder ist sie ein steter Begleiter des modernen Menschen?
Es scheint so, als sei Paranoia ein fester Bestandteil der modernen Welt – und heute scheint dieses Gefühl sein spirituelles Zuhause im Internet zu finden. Ich selbst kenne dieses Gefühl einer diffusen Bedrohung nicht; ich reagiere nur auf die kulturellen Strömungen um mich herum. Aber natürlich mußte ich etwa bei „Sieben Sekunden” auf diese Art und Weise denken, denn es gab damals ein besonders großes Mißtrauen gegenüber der Regierung. Aber mir scheint, daß diese Paranoia eigentlich weniger wurde und erst jetzt wieder zunimmt.
Sie haben einmal gesagt: „Vielleicht haben wir uns Verschwörungstheorien erfunden, um uns psychisch besser fühlen, um uns zu heilen. ” So steht es jedenfalls im Internet.
Na, dann muß es wahr sein. Wir sind ja nicht paranoid! Trotzdem weiß ich nicht, was ich damit gemeint haben könnte. Ist dieser ganze Stapel da Material über mich aus dem Internet? Das kann einem doch Angst machen.
Haben Sie denn einen düsteren Blick darauf, wie sich die Dinge entwickeln?
Ich glaube nicht, daß die Zukunft unbedingt düster sein wird – eigentlich fehlt mir dafür jedes Gespür. Ich weiß es einfach nicht. Und auch die Gegenwart ist nicht besonders finster, wie ich finde. Nur ziemlich unentschieden. Für mich waren die dunkelsten Jahre die Zeit von Vietnam und der beiden Kennedy-Morde. In der Kultur ist damals Aufregendes passiert – gleichzeitig gab es viel Deprimierendes. Seitdem war es gar nicht so übel. Natürlich gibt es in der amerikanischen Kultur heute einen endlosen Kreislauf von gierigem Verbrauch und der Produktion von Müll. Ganze Leben werden so verschwendet, ganze Persönlichkeiten. Aber es gibt schlimmere Dinge für eine Kultur.
Glauben Sie denn, daß es etwas wie Fortschritt gibt?
Ja, natürlich. Aber ich habe nicht das Gefühl, daß ich besonders kompetent über so etwas reden kann. Ich sitze doch nur da und schreibe Sätze.
Wußten Sie eigentlich von Anfang an, daß „Unterwelt” als letzten Satz das bloße Wort „Frieden” haben würde?
Nein, das wurde mir erst ganz am Ende klar. Ich dachte, das Buch würde mit einem Satz schließen, der ein, zwei Seiten weiter vorne steht; es geht dort um Sister Edgar, die als Seele durch den Cyberspace schwirrt und denkt, gleich werde sie Gott begegnen – statt dessen sieht sie eine H-Bombe. „The jewels roll out of her eyes and she sees God. ” Aber dann wurde mir klar, daß das nicht funktionieren würde. Das Wort „Frieden” ist aber nicht ironisch gemeint, sondern als eine wirkliche Möglichkeit, als eine Sehnsucht. Ich dachte, am Ende dieses Buches voller Konflikte wäre es ganz schön, mit einer Sehnsucht nach Frieden zu enden.
Wußten Sie denn, daß das der letzte Satz war, als Sie ihn hinschrieben?
Ich war mir ziemlich sicher, daß ich das nicht mehr verändern würde. Als das Buch schon auf dem Markt war, sagte mir jemand, daß T. S. Elliots „The Waste Land” mit dem Sanskrit-Wort „Shanti” endet, was soviel bedeutet wie: der Friede, den wir nicht verstehen. Natürlich wußte ich das irgendwann, aber ich hatte es ganz vergessen.
Was war es für ein Gefühl, diese letzten Buchstaben zu tippen?
Erleichterung, ganz einfach Erleichterung. Als ich an „Sieben Sekunden” saß, da wußte ich ungefähr bei der Hälfte des Buches, wie der letzte Satz lauten würde – und von da an lief alles auf dieses Ende zu. Und als ich schließlich diesen Satz tippte, der von Lee Harvey Oswald handelt und wie sein Name nun nicht mehr seiner Mutter gehört, sondern Eigentum der Geschichte geworden ist, in genau diesem Moment fiel von meinem Regal das Photo von Oswald mit seinem Gewehr. Ich schwöre Ihnen, das ist die Wahrheit – und keine Paranoia.

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