14. März 1996 | Süddeutsche Zeitung | Essay | Las Vegas und das Kino

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Warum Hollywood die Spielerstadt Las Vegas immer schon geliebt hat - und heute mehr denn je

Als der holländische Regisseur Paul Verhoeven gefragt wurde, warum er die Geschichte von SHOWGIRLS nicht im Crazy Horse in Paris angesiedelt hat, sagte er: ‚Weil das Crazy Horse in Paris nur einer von vielen Aspekten dieser Stadt ist. Während es in Las Vegas nichts anderes gibt, nur Sex, Geld und Macht.‘

Sex, Geld und Macht: Davon erzählen, wenn auch nicht unbedingt in dieser Reihenfolge, all die Filme, die gerade in Las Vegas spielen. Gerade gab es SHOWGIRLS , jetzt CASINO und demnächst LEAVING LAS VEGAS wo es denen, die nichts mehr zu verlieren haben, eine Heimat ist. In SMOKE wurde von Vegas geträumt, und SCHNAPPT SHORTY machte dort auch Station. Die Spielerstadt hat somit Chicago und Seattle als Schauplatz überholt und rangiert hinter Los Angeles und New York an dritter Stelle der amerikanischen Hauptstädte des Kinos.

Seine Magie ist nichts Neues, aber seine erneuerte Anziehungskraft hat schon auch etwas mit unserer Zeit zu tun. In den Siebzigern war es zu gefährlich, in den Achtzigern zu billig, jetzt ist es aus eben diesen Gründen genau richtig. Es bietet klare Alternativen in einer zunehmend unübersichtlichen Zeit: Rot oder Schwarz, Gewinn oder Verlust, Leben oder Tod. Und sei es nur, um vor diesem Hintergrund zu zeigen, daß es so einfach nicht ist.

Las Vegas war immer der Ort, wo Filme, wenn alle anderen Optionen erschöpft waren, den Deus ex slot-machina auftauchen lassen konnten, der dann die Glücksspielautomaten zum Klingeln brachte und alles zum Guten wendete.

Das konnte so aussehen: Ein Schönling und ein Idiot, die sich nicht leiden können, durchqueren das Land von Osten nach Westen, machen in Las Vegas halt, wo sie mit dem Tick des Idioten ein Vermögen machen und werden die besten Freunde. Richtig, das ist die Geschichte von RAIN MAN. Aber es ist auch die Geschichte von HOLLYWOOD OR BUST, der gute dreißig Jahre früher entstanden und – so schwört Regisseur Barry Levinson – unwissentlich kopiert worden ist.

Levinson war es auch, der in BUGSY von der Geburt dieser Phantasie namens Vegas erzählt hat. Der Gangster Bugsy Siegel sagt da: ‚Wovon träumen die Leute? Sex, Geld und Abenteuer. Ich werde diesen Dingen ein Denkmal errichten.‘ Und sein Gegenüber fragt zurück: ‚Reden wir von einem Puff?‘ – ‚Nein, ich rede von Las Vegas, Nevada, von einem Ort, wo alles erlaubt ist.‘

Jener Gangster Bugsy Siegel errichtete 1948 das Flamingo und übernahm sich damit. Der Mob, der ihm das Geld geliehen hatte, nahm ihm das Leben. Aber sein Traum lebte weiter. In den Fünfzigern gehörte die Stadt praktisch dem exzentrischen Milliardär Howard Hughes, der später in Jonathan Demmes Film MELVIN UND HOWARD noch kurz vor seinem Tod mit dem Motorrad durch die Wüste braust. Hughes selbst produzierte den Film THE LAS VEGAS STORY, dem ironischerweise vorgeworfen wurde, er sei nicht sonderlich realistisch.

In den Sechzigern herrschten dort – wie es der gleichnamige Film nennt – FRANKIE UND SEINE SPIESSGESELLEN, also Sinatra, Dean Martin, Sammy Davis jr., Peter Lawford, Joey Bishop und Konsorten. Sie machten Vegas zu dem, was es ist – oder war: ein Ort für Spieler, Trinker und andere Romantiker.

In DIAMANTENFIEBER residierte James Bonds Gegenspieler in Vegas; in THE ELECTRIC HORSEMAN entführt Robert Redford sein Pferd, das wie er selbst dort zur billigen Attraktion verkommen war. Und in THE GAMBLER geht die Kamera vor James Caan, als er beim Blackjack gewinnt, auf die Knie und krönt ihn mit einem Strahlenkranz aus Licht, den die Neonröhren an der Decke über ihm bilden. Da steht er, im Zustand der Gnade, und nur ein Narr würde dieses Schicksal Zufall nennen.

Um zu verdeutlichen, wie nahe hier Hölle und Paradies beieinander liegen, hat Michael Herr diese Stadt Helldorado genannt. Zusammen mit dem belgischen Maler Guy Pellaert hat er in dem wunderbaren Buch „The Big Room“ Glanz und Einsamkeit von Las Vegas beschworen: ‚Wirkliche Liebe und wirkliche Gewinne, wenigstens so wirklich wie das Neon, Xenon, Argon und Krypton, das durch die Hunderttausende Meilen von Röhren treibt; ,Edelgase‘ zwar, aber letztlich doch auch nur Gase oder Dämpfe, mit all den Eigenschaften eines Phantoms, erst überwältigend präsent, dann verdampft es.‘ Und dann kommt der schönste Satz, eine Frage, die alles auf den Punkt bringt: ‚Wer hätte je gedacht, daß so kaltes Licht so romantisch, so inspirierend sein könnte?‘

Francis Ford Coppola wird sich dasselbe gedacht haben, als er ONE FROM THE HEART dort ansiedelte. Aber in seinem Wahn ließ er den ganzen Strip von Vegas in seinem eigenen Studio für sechs Millionen Dollar – was 1981 sehr viel Geld war – nachbauen. Der Film wurde ein totaler Flop und begrub den Kinofürsten für Jahre unter einem Berg von Schulden. Halbe Sachen kennt diese Stadt nicht – nicht einmal, wenn man sich ihrem Bann zu entziehen versucht.

Es gibt natürlich noch einen Grund für die augenblickliche Präsenz dieser Stadt, der ganz in der Tradition Hollywoods liegt. Er erklärt sich, wenn man das Ende von CASINO sieht, das der Drehbuchautor Nicholas Pileggi in seiner Vorlage so beschrieben hat: ‚Vegas ist zu einer Art Freizeitpark für Erwachsene geworden, einer Stadt, in der Eltern und Kinder ihren Spaß haben können. Während die Kinder sich mit dem Papp-Piraten im Treasure Island Casino vergnügen oder im Excalibur an Ritterturnieren teilnehmen, verspielen Mommy und Daddy das Hypothekengeld und die Ersparnisse für Juniors zukünftigen College-Besuch an den Pokerautomaten. ‚

Das ist es: Vegas ist keine Sache für harte Kerle und leichte Mädchen mehr, sondern eine Unternehmung für die ganze Familie. Die großen Entertainment- Konzerne, die dort investiert haben, sind natürlich sehr daran interessiert, für dieses neue Image zu werben. Und nirgends geht das besser als im Kino.
Den dritten Grund für die Geistesverwandtschaft zwischen Hollywood und Vegas nennt wieder Michael Herr: ‚Wahrscheinlich ist kein anderer Ort in der Geschichte des modernen Städtebaus so sehr auf einer einzigen Idee begründet wie Las Vegas. Am nächsten kommt ihm Hollywood, das groß wurde, indem es seine Idee exportierte, aber die Idee von Vegas kann die Stadtgrenzen nicht verlassen. Es hat nichts zu exportieren außer sein ewiges Versprechen, daß man mit dem Greyhound ankommt und mit einem Ferrari wegfährt.‘

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