10. Juni 1997 | Süddeutsche Zeitung | Essay | Hollywood-Rekorde

Der Untergang der Titanic

Einsteins Einfluß auf Hollywood: Rekorde und Krokodilstränen

Ein Rekordsommer steht an, in jeder Hinsicht, da wirkt der neueste Rekord geradezu niedlich. 57 000 Dollar hat ein unbekannter Europäer auf einer Auktion bei Christies für ein silbercremefarbenes Abendkleid gezahlt, das Marilyn Monroe in Wie angelt man sich einen Millionär? getragen hat. Wenigstens das Kleid hat also einen Millionär gefunden, der es in den Schrank hängen oder womöglich selbst tragen wird, um seinen ganz persönlichen Träumen von Hollywood nachzuhängen.

Solche Träume sind nur noch Fußnoten im heutigen Hollywood. Die Leute dort träumen nicht mehr von Marilyn Monroes Kleidern, sondern allenfalls von ihren Gagen. Das ist das einzige, was noch zählt. Die Filme heute leben nicht mehr von der Ausstrahlung, sondern von den Ausgaben. Hollywood heute, das ist die Kunst, möglichst viel Geld möglichst so auszugeben, daß es jeder mitkriegt. Vorbei sind die Jahre der Bescheidenheit, in denen Studios schamhaft die Kosten ihrer Projekte verschwiegen, damit keiner auf die Idee komme, es könnte dabei Geld verschwendet worden sein. Mittlerweile besteht die Kunst darin, so viel Geld wie möglich zum Fenster hinauszuwerfen, in der Hoffnung irgendein gnädiger Wind werde es schon wieder zurücktragen. Und meistens ist es ja auch so.

Von Geld reden wir später

Tiefstapelei war noch nie Hollywoods Sache, aber inzwischen treibt dessen Finanzgebaren jedem Banker die Schamesröte ins Gesicht. Als die Kosten von Michael Ciminos HEAVENS GATE auf die 40 Millionen Dollar zugingen, wurde über diese Summe nur hinter vorgehaltener Hand geredet. Das war in den achtziger Jahren, ist also gar nicht so lange her, und das Studio zerbrach an diesen Ausgaben. Mit James Camerons TERMINATOR 2, dessen Produzent Carolco mittlerweile auch bankrott ist, brach die Zeit der 100-Millionen-Dollar-Filme an – und das war lange die absolute Schmerzgrenze. Dahinter lauerten Tod und Verdammnis. Camerons neuester Film TITANIC kostet nun 200 Millionen Dollar – und keiner macht einen Hehl daraus.

Mit der TITANIC geht im Ernstfall nicht nur ein Studio unter – es trifft gleich zwei. Paramount und die Fox teilen sich die Kosten: Die einen stehen für 65 Millionen vom Budget und die Verleihkosten in Nordamerika ein; die anderen tragen alles, was darüber hinaus geht: die Zinsen und die internationalen Vertriebskosten. Nachdem monatelang beteuert wurde, man werde den Starttermin am 2. Juli einhalten können, hat nun Regisseur Cameron in einer Pressekonferenz bekannt gegeben, daß der Film erst am 19. Dezember in die Kinos kommt. Nach Schätzungen kostet allein diese Verschiebung 20 Millionen Dollar an Zinsen. Das scheint gar keine Rolle mehr zu spielen, sondern das Interesse eher noch anzuheizen.

Daß es ausgerechnet um die TITANIC geht, ist natürlich ein schlechter Witz. Man kann sich richtig vorstellen, wie die Heizer im Bauch des Schiffs die Geldscheine verfeuern, um den Kahn so richtig in Fahrt zu bringen. Für einen großen Film gehört es offenbar inzwischen zum guten Ton, das Budget zu überziehen und das Geld wie Kohle zu verheizen. Aus der Geheimwissenschaft mit den Zahlen ist ein öffentliches Spektakel geworden. Und die Tränen, die Hollywood über die steigenden Kosten vergießt, sind natürlich Krokodilstränen.

Der Sommer braucht gar keine TITANIC , um sich im Glanz der eigenen Verschwendungssucht zu sonnen. BATMAN AND ROBIN, SPEED 2. CRUISe CONTROL, MEN IN BLACK, STARSHIP TROOPERS, ALIEN RESSURECTION stehen an; die haben alle um und über 100 Millionen gekostet. Natürlich folgt das der Logik der Casinos: Nur wer viel riskiert, kann viel gewinnen. Es wird ja auch keiner der Entscheidungsträger in Hollywood persönlich zur Verantwortung gezogen – den Schaden haben andere, wenn das Studio zumachen muß.

Die ganze Bank sprengen

Dies wäre nicht Hollywood, wenn das düstere Szenario nicht auch glückliche Sieger präsentieren könnte. Steven Spielbergs Fortsetzung JURASSIC PARK: THE LOST WORLD hat am Startwochenende jeden bestehenden Rekord in Grund und Boden getrampelt, war schon nach sechs Tagen bei 100 Millionen Dollar Einnahmen und hat selbst INDEPEMNDENCE DAY weit hinter sich gelassen. Und dabei hat der Film nur 75 Millionen gekostet – praktisch geschenkt. Natürlich träumt jeder davon, noch billigere Filme zu machen, die ähnlich einschlagen. Aber der Traum kann gar nicht in Erfüllung gehen, weil solche Filme einfach nicht mehr gemacht werden. Sparsamkeit ist in Hollywood ein untragbares Risiko geworden.

Im Lichte dieser Rekorde ist ein Artikel besonders erheiternd, der unlängst im New Yorker erschienen ist. Da ging es um einen Wirtschaftswissenschaftler, der ein mathematisches Modell erstellt hat, welches die Frage klären soll, warum Filme Hits oder Flops werden. Das Ergebnis war rundherum überzeugend. Nach langen Berechnungen lautete die Antwort nämlich: Es gibt keine Antwort. Hollywood sei eben ein so komplexes System wie das Wetter. Es ist so unstabil wie die Atmosphäre, weswegen winzigste Veränderung am einen Ende riesige Veränderungen am andere bewirken können. Und so wenig, wie sich das Wetter vorhersagen läßt, so wenig läßt sich der Erfolg eines Filmes voraussagen.

Der Theoretiker mit dem hübschen Namen Art De Vany hatte sich an Einstein orientiert, der in den Zwanzigern die statistische Verteilung von Gasmolekülen untersucht hat, die dazu tendieren, sich in Räumen zu Kugeln zu ballen. Wo die Kugeln auftreten, läßt sich nicht sagen, nur daß sie auftreten werden, ist gewiß. Und so untersuchte De Vany die Einspielergebnisse von 300 Filmen und fand heraus: Kinogänger verhalten sich wie Einsteins Moleküle. Sie tendieren dazu, sich auf wenige Filme zu konzentrieren, aber auf welche, lasse sich partout nicht sagen. Es läßt sich ja auch nicht vorhersehen, warum sich manche Moleküle zu Marilyn Monroe zusammenballen – und andere nicht.

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