25. Juli 1996 | Süddeutsche Zeitung | Essay, Leben | Essen und Kino

Allerlei Geschmacklosigkeiten

Gibt es etwas traurigeres im Kino als Köche, die nichts mehr schmecken?

Es fängt ganz harmlos an, aber das ist im Kino ja meistens ein schlechtes Zeichen. Der Koch hat plötzlich Nasenbluten. Auf die weiße Schürze tropft es rot, und nur seine Frau weiß, was es damit auf sich hat. Ihr Mann leidet an einem seltenen Tumor, der Geschmacks- und Geruchssinn zerstört. Deshalb muß er sein Lokal schließen, und deshalb feiert er den Abschied, von dem Hippolytes FEST erzählt.

Einmal beschwert sich ein Gast, der das sichtlich häufiger nötig hat, daß sein Fleisch nicht in Ordnung sei. Als der Koch das endlich satt hat, schleppt er das rohe Fleisch zum Tisch. Natürlich vermutet er zu recht, daß der Gast sich lediglich aufspielt, aber wirklich wissen kann er es nicht. Die bloße Möglichkeit, daß der Gast doch im Recht sein könnte, ist schon der reinste Horror.

Unlängst erzählte auch Ang Lee in EAT DRINK MAN WOMAN von einem Koch im Ruhestand, der nichts mehr schmeckt. Die Rituale der Zubereitung beherrscht er zwar noch wie im Schlaf, und er zelebriert sie auch aus alter Gewohnheit noch, aber die Töchter, denen das Beste gerade gut genug ist, schmecken schon bei der Suppe schnell den Unterschied. Daß sie dennoch nichts sagen, sagt alles über ihre Beziehung zum Vater. Dabei sollten sie Mitleid haben: Denn ein Koch, der nichts mehr schmeckt, ist wie ein Maler, der nichts mehr sieht, oder ein Musiker, der nichts mehr hört.

Was ist bloß los mit dem kulinarischen Kino? Fallen den Regisseuren zum Kochen nur noch Geschmacklosigkeiten ein? Haben wir es hier mit den ersten Auswirkungen der Rezession zu tun? Was ist mit den Exzessen im Stile von DAS GROSSE FRESSEN? Wer solchen Fragen nachgeht, wird bald feststellen, daß das Essen im Kino noch meistens mit Abschied und Erstarrung, Vergänglichkeit und Tod zu tun hatte. Und daß der Genuß von Speisen im Kino ohnehin nie ganz unbeschwert möglich ist.

Schon jenes GROSSE FRESSEN von Marco Ferreri endete ja mit dem Tod aller Beteiligten. Aber wenngleich das Gelage der Freunde in einen Alptraum mündet, der die Schilderung der Dekadenz als Fortführung der Gesellschaftskritik mit anderen Mitteln betreibt, so sind die gezeigten Delikatessen doch verführerisch genug, um sich eindeutigen Lesarten zu verweigern und zu den schönsten Phantasien zu berechtigen. Das gleiche gilt für Bunuels Diskreten CHARME DER BOURGEOISIE, in dem die Paranoia, die Einladungen umgibt, ebenfalls zum fortgesetzten Alptraum auswächst. Wenn man die Exzesse kulinarischer Art hier oder sexueller Art im Letzten Tango sieht, dann drängt sich doch der Verdacht auf, daß offenbar nicht nur dem Kino seit den Siebziger Jahren eine bestimmte Art von Sinnlichkeit und Körperlichkeit und Aufrichtigkeit verloren gegangen ist. Vielleicht sind ja subtilere Genüsse an die Stelle dieser Tugenden getreten – am Gefühl des Verlusts ändert das nichts. Vom deutschen Kino wollen wir gar nicht reden. Dort kann man ja schon froh sein, wenn sich mal einer ein Ei in die Pfanne haut.

Im amerikanischen Kino, das ja immer irgendwie den Ton angibt, wird wahrscheinlich bald gar nicht mehr gegessen. Getrunken wird auch nur noch in Maßen, und Rauchen tun ohnehin nur noch die Bösewichter. Andererseits war man dort am Essen selbst nur insofern interessiert, als es spielerische Möglichkeiten eröffnete, die man in Tortenschlachten lustvoll erprobte. Ansonsten läßt man sich allenfalls bei Tisch nieder, um der Situation ihre komischen Seiten abzugewinnen. Ob es sich um Meg Ryans falschen Orgasmus in HARRY UND SALLY handelt oder um Nathan Lanes Versuche, in BIRDCAGE sein Toastbrot wie ein Mann zu streichen, stets spielt das Essen selbst eine untergeordnete Rolle. Wer das Essen hingegen ernst nimmt, der spielt nicht damit.

Wie sogar Gastronomiekritik bei Amerikanern in Action umschlägt, konnte man in FALLING DOWN sehen, wo Michael Douglas der offensichtliche Unterschied zwischen der knackigen Fastfood-Werbung und der labbrigen Wirklichkeit so in Rage bringt, daß er Amok läuft. Die europäische Entsprechung dazu wäre Louis de Funès, der in BRUST ODER KEULE unter schlechtem Essen so leidet, daß er sofort Ausschlag kriegt. Was sich bei den Amis nach außen richtet, wütet bei ihm im Inneren. So ist er eben, der Europäer.

Natürlich ist aber auch in der Alten Welt, das Essen häufig genug nur Anlaß, die Erstarrung hinter den Sitzordnungen und Tischsitten vorzuführen. Daß schon eine verdammt gute Köchin nötig ist, um dagegen etwas ausrichten zu können, konnte man in Gabriel Axels BABETTES FEST sehen, in dem Stephane Audran einen Haufen hartgesottener Protestanten so lange bekocht, bis auch sie weich werden. Der große Unterschied zur Neuen Welt liegt im Ende vielleicht nur darin, daß das europäische Kino dem Duft der Speisen mehr Raum läßt, sich auszubreiten, und dem Zuschauer mehr Zeit, das Gezeigte auch zu verdauen.

So lange nur die Köche den Geschmack verlieren, gibt es also noch Hoffnung. Schlimm wird es erst, wenn es den Essern genauso geht.

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