17. November 1995 | Süddeutsche Zeitung | Essay | Der Eiffelturm im Kino

Die Tour mit dem Turm

Nur ein Traum: Männliches Symbol einer weiblichen Stadt

‚Ich frage mich‘, sagt Philippe Noiret am Fuße des Eiffelturms, ‚warum man Paris immer als Frau darstellt? Mit so einem Ding. Bevor das gebaut war, vielleicht. Aber jetzt?‘ Der Film heißt zwar ZAZIE DANS LE MÉTRO (OV, 55 Mark), aber der Eiffelturm ist der Dreh- und Angelpunkt der Geschichte – nicht nur weil dabei seine phallischen Qualitäten diskutiert werden. Dort oben geraten Zazie und ihr Onkel Gabriel ins Nachdenken über die Stadt. Sie sei, sagt wieder der Onkel, ’nur eine Täuschung, nur ein Traum, nur die Täuschung eines Traums.‘ Und kurz darauf hört man das Meer rauschen, und während die Gesellschaft auf der Platform steht, durchnäßt sie eine Welle von Kopf bis Fuß. Und das Stakkato ihrer Schritte beim schier endlosen Abstieg über die Treppen des Turms behält man noch lange im Ohr.

Wo der Eiffelturm vor allem im amerikanischen Kino immer auf einen Blick Paris und also die Liebe symbolisierte, da trieb die Nouvelle Vague ihr Spiel mit dem Wahrzeichen. Nicht nur Louis Malle, sondern besonders Truffaut verband mit dem Turm geradezu eine Obsession. Sein Kameramann Nestor Almendros schrieb: ‚Er hatte eine riesige Sammlung von Eiffeltürmen, vom kleinsten bis zum größten, aus Eisen, Papier, Gold. Und er brachte sie in seinen Filmen unter: In AUF LIEBE UND TOD (OV, 59,90 Mark) etwa schlägt Fanny Ardant jemanden mit einem metallenen Eiffelturm nieder.‘

Schon 1955 hatte Truffaut ein Filmprojekt, in dem eine junge Frau aus der Provinz den Eiffelturm immer wieder aus der Ferne zu Gesicht bekommt, aber nie zu ihm findet. (Unlängst hat Lawrence Kasdan in FRENCH KISS diese Situation zitiert, indem er Meg Ryan immer wieder am Turm vorbeilaufen ließ.) Diesen Kurzfilm TOUR EIFFEL hat er dann mit dem Beginn seines ersten Spielfilms verwirklicht. In SIE KÜSSTEN UND SIE SCHLUGEN IHN (OV, 59,90 Mark) erhascht die Kamera unter dem Vorspann immer wieder einen Blick auf den Turm, um ihn im nächsten Moment wieder aus den Augen zu verlieren. Erst wenn der Name des Regisseurs eingeblendet wird, ist sie direkt unter dem Turm angekommen. Auch in Geraubte Küsse liegt Truffauts Name über einem Bild des Turms.

Jacques Tati hat in PlAYTIME (OV, 49,90 Mark) eine Vision von Paris aus Glas und Licht entworfen, die nichts mehr mit dem Paris, das man kennt, zu tun hat. Einmal betritt eine Touristin, die vorher schon am Mangel an fotogenen Motiven verzweifelt ist, durch eine Glastür ihr Hotel. In dem Moment spiegelt sich in der Scheibe der ferne Eiffelturm. Sie hält einen Moment lang inne, dreht sich um, sieht aber nichts. Hier ist die Stadt und ihr Wahrzeichen nur noch eine Reflexion, eine Täuschung, ein Traum.

Die schönste Eiffelturm-Szene findet sich in Eric Rochants EINE WELT OHNE MITLEID, wo Hippolyte Girardot Punkt Mitternacht für seine Geliebte mit einem Fingerschnippen die Lichter des Turms auslöscht. Und dann entwirft er ihr die verführerische Vision, daß in Paris, wenn die Lichter erlöschen, die Liebenden auf die Dächer steigen, um sich unter dem Nachthimmel ihren Gefühlen hinzugeben. Und dabei schwenkt die Kamera über die nachtblaue Silhouette der Stadt.

In dem gerade gestarteten Film HASSvon Mathieu Kassowitz versuchen die Kids aus der Banlieue ebenfalls den Trick mit dem Eiffelturm, aber auf ihr Fingerschnippen passiert nichts. Erst als sie sich wegdrehen, gehen die Lichter aus.

Ob man Paris als Frau oder als Mann darstellt, ist einerlei: Sobald der Eiffelturm ins Bild kommt, geht es um die Liebe. Und wenn es nur die Liebe zu dieser Stadt ist.

Kleiner Tip: In Wirklichkeit gehen die Lichter übrigens erst um ein Uhr aus. (Die Originalversionen sind alle bei Schauinsland, Tel. 02325 / 3951 erhältlich.)

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