08. September 1994 | Süddeutsche Zeitung | Bericht | Vorschau Herbst 1994

Die Spitze des Eisbergs

Was das Kino im Herbst so zu bieten hat

Vor allem das deutsche Kino zeigt, was es zu bieten hat. Dominik Graf führt in DIE SIEGER (Start 22.9.) vor, daß man auch Actionfilme machen kann, die nicht nur nach amerikanischem Muster verfahren. Ein Sondereinsatzkommando der Polizei folgt einem Totgeglaubten von Düsseldorf über München bis in die Alpen, aber es geht vor allem um das Glück und um den Preis, den man dafür zahlen muß.

Sönke Wortmann hat Ralf Königs Schwulen-Comic DER BEWEGTE MANN (13.10.) mit Til Schweiger verfilmt, der aus einer heterosexuellen Beziehung in eine homosexuelle WG stolpert. Außerdem gibt es die Verfilmung von Akif Pirinçcis Katzenkrimi FELIDAE (3.1.), Jacques Breuers AFFÄREN (29.9.) und Christian Wagners TRANSATLANTIS (3.11.).

Aus Frankreich kommen schwergewichtige und vor allem lange Filme: Isabelle Adjani spielt in Patrice Chéreaus Schlachtengemälde DIE BARTHOLOMÄUSNACHT (29.9.) 164 Minuten lang die Königin Margot, und Sandrine Bonnaire 300 Minuten lang die Jungfrau von Orleans in Jacques Rivettes zweiteiligem JEANNE LA PUCELLE. Vor allem aber kommt Alain Resnais‘ je 140minütiger Doppelfilm SMOKING/NO SMOKING (27.10.) ins Kino . Zu immer neuen Scheidewegen führt das Schicksal in diesen Filmen, und Resnais verfolgt alle zwölf Möglichkeiten bis an ihr mehr oder minder bitteres Ende.

Eine andere große Französin spielt in Amerika: Isabelle Huppert tritt nun bei Hal Hartley in AMATEUR (10.11.) als ehemalige Nonne auf, die Pornos schreibt. Der schönste Filmtitel der Saison ist sicher EVEN COWGIRLS GET THE BLUES (20. 10.), aber die Reaktionen auf die ersten Vorführungen waren so katastrophal, daß Gus Van Sant die Tramper-Story umgeschnitten hat. Der Soundtrack von k.d.lang gehört aber zum besten, was der Herbst zu bieten hat, nur überboten von der Musik zu PULP FICTION (3.11.), wo von Al Green bis Urge Overkill alles vertreten ist, was cool und vergessen ist.

Quentin Tarantinos zweiter Film ist ohnehin der beste der Saison; er hat all das, was Oliver Stones mit Spannung erwarteten NATURAL BORN KILLERS (27.10.) abgeht: Herz und Witz. Die drei verwobenen Geschichten von PULP FICTION bringen einen abwechselnd zum Lachen und Schaudern. Bei Stones BONNIE & CLYDE-Geschichte gibt es hingegen nichts zu lachen, weil er wieder nur den moralischen Verfall seines Landes beklagt, ohne sich je zu einem Gegenentwurf aufschwingen zu können. Aber wie er das macht, ist schon sehenswert: Ein ähnliches Trommelfeuer aus Bildern und Tönen hat das Kino noch nicht gesehen.

Ansonsten kommen aus Hollywood zwei Bestsellerverfilmungen, DER KLIENT (22.9.) nach John Grisham und DAS KARTELL (29.9.) nach Tom Clancy; zwei Comic- Verfilmungen, THE SHADOW (27.10.) mit Alec Baldwin und THE MASK (24.11.) mit Jim Carrey, der übliche Disneyheuler DER KÖNIG DER LÖWEN (17.11.) und der etwas verfrühte Oscar-Anwärter FORREST GUMP, der die amerikanische Geschichte aus der Sicht eines Simplicissimus (Tom Hanks) schildert. Aber natürlich ist das nur die Spitze des Eisbergs.

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