26. März 1992 | Süddeutsche Zeitung | Bericht | Hollywood in der Krise

Die Sache mit dem Haken

Hollywood in der Krise: Die Kostenspirale ist überdreht

Im letzten Jahr gingen in Amerika so wenig Leute ins Kino wie seit anderthalb Jahrzehnten nicht mehr. Nach den vorangegangenen zwei Rekordjahren, in denen erstmals mehr als fünf Milliarden Dollar in die Kassen flossen, ist nun der Jammer groß. Dabei hat sich Hollywood diese Rezession selbst zuzuschreiben: Die Kosten sind explodiert, die Gewinnspannen minimal. Bestes Beispiel dafür ist Steven Spielbergs neuer Film HOOK, der heute auch bei uns anläuft.

Nur Schatten und Nebel sind zu sehen. Aber für einen Moment reißt das Zwielicht auf und gibt den Blick auf die Sterne frei. Wie trügerisch sie glitzern, meint Mia Farrow. Dabei sei ihr Licht so lange unterwegs, daß manche Sterne gar nicht mehr existieren, wenn es auf der Erde ankommt. Diesen Gedanken findet der ohnehin sehr nervöse Woody Allen ausgesprochen beunruhigend: Etwas ist nicht mehr da, obwohl man es mit eigenen Augen sieht.

Woody Allen war taktvoll genug, für diese Einstellung aus seinem neuen Film SCHATTEN UND NEBEL nicht das Sternbild des Orion zu verwenden, aber pikant genug ist die Szene immer noch. Denn seine Produktionsfirma Orion, deren Filme immer zu Beginn das gleichnamige Sternbild zeigten, ist bankrott – auch wenn ihre Sterne noch zu strahlen scheinen. DAS SCHWEIGEN DER LÄMMER , der Erfolgsthriller des langjährigen Orion-Protegés Jonathan Demme, ist zwar für sieben Oscars nomiert und wird wohl auch den einen oder anderen gewinnen, aber die Tätigkeit des Studios wird dann längst erloschen sein. Und das nach einem Kinojahr, in dem die damals 13 Jahre alte Firma zwei der fünf erfolgreichsten Filme stellte: Neben dem SCHWEIGEN DER LÄMMER stammte auch noch DER MIT DEM WOLF TANZT aus ihrem Haus.

Die Einnahmen reichten zwar aus, um die Zinsen für 400 Millionen Schulden zu bezahlen, aber vom Rest konnte man nicht mehr leben. Man mußte DIE ADDAMS FAMILY vor der Fertigstellung zu einem Spottpreis von 15 Millionen an Paramount verkaufen, die damit dann 60 Millionen verdienten. Als im Oktober sogar Woody Allen, den Orion durch dick und dünn begleitet hatte, zu Tri-Star wechselte, wußte man, daß es nicht mehr lange dauern könne. Im Dezember war es vorbei: Orion war bei 550 Millionen Dollar Schulden angelangt und erklärte sich bankrott. Es gibt zwar Kaufinteressenten, aber das Studio, das AmADEUS, PLATOON, DIE TRAUMFRAU, ROBOCOP, TERMINATOR und MISSISSIPPI BURNING produziert hat, wird es so nicht mehr geben.

Orion ist nicht allein. Auch MGM/Pathé und Carolco hatten Liquiditätsprobleme und mußten von ihren Teilhabern kurzfristig vor dem Ruin gerettet werden. MGM war auf undurchsichtige Weise von dem Geschäftsmann Giancarlo Paretti, dem Mafia-Kontakte nachgesagt werden, für 1,3 Milliarden Dollar gekauft worden und schon kurz darauf in Schwierigkeiten geraten. Während der neue Eigentümer in Sizilien in Untersuchungshaft saß, rollten bei der Bank Credit Lyonnais, die für große Teile der Kaufsumme gebürgt hatte, Köpfe. Dennoch machte man neues Geld flüssig. Die United Artists, die nach dem Desaster von Heaven’s Gate noch ein Jahrzehnt lang als Kürzel an MGM/UA dranhingen, waren in dem Deal ohnehin endgültig ausgelöscht worden.

Carolco wiederum hatte zwar letztes Jahr mit den etwa 100 Millionen Dollar Produktionskosten für TERMINATOR 2 – dabei hatte der erste Teil nur 40 Millionen eingespielt – einen neuen Kostenrekord aufgestellt und damit tatsächlich auch den erfolgreichsten Film des Jahres produziert. Aber auch hier wäre der Bankrott kaum zu vermeiden gewesen, hätten nicht Rizzoli, Canal Plus und Pioneer Geld in die Firma gepumpt, um ihr Überleben zu sichern. Die Fälle mögen sich unterscheiden, aber zusammen führen sie die bitteren Konsequenzen einer Entwicklung vor Augen, die unübersehbar aus dem Ruder gelaufen ist.

Der Boom der achtziger Jahre hatte 1989 seinen Höhepunkt erreicht, als zum erstenmal in der Geschichte Hollywoods die Jahreseinnahmen auf dem amerikanischen Kontinent fünf Milliarden Dollar überschritten. BATMAN hatte am ersten Wochenende allein 40 Millionen Dollar eingespielt – normalerweise gelten 10 als gut und 20 als exzellent -, und Disney hatte 23 Quartale in Folge seine eigenen Gewinnbestmarken übertroffen. Der Gipfel war erreicht, und daß man im folgenden Jahr nur knapp darunter blieb, galt schon als Glück.

Man darf dabei aber nicht vergessen, daß die Rekordzahlen auch inflationär bedingt waren. Anfang des Jahrzehnts hatte eine Kinokarte noch 2,70 Dollar gekostet, 1989 waren es bereits 4,50, heute sind es nochmal 40 Cents mehr. Das heißt nichts anderes, als daß die Zuschauerzahlen stetig sinken, während die Einnahmen dauernd steigen. Filme mit Schwarzenegger oder Costner werden heute zum Beispiel nur von etwa 40 Millionen Leuten gesehen, während den KRIEG DER STERNE allein in Amerika gut 100 Millionen Menschen gesehen haben. Man könnte einwenden, daß es dafür heute erhebliche Mehreinnahmen durch Video gibt, aber dafür hat STAR WARS nicht einmal ein Zehntel von TERMINATOR 2 gekostet: Und die neun Millionen Dollar Herstellungskosten galten damals durchaus als Risiko.

In seinem Buch ‚Das Hollywood-Geschäft‘ schrieb William Goldman 1983: ‚Es würde mich nicht überraschen, wenn wir Ende der Achtziger zurückblicken würden auf die gute alte Zeit, als Heaven’s Gate noch billig war.‘ Tatsächlich gab es letztes Jahr ein Dutzend Filme, die mehr als jene 40 Millionen Dollar gekostet haben. Im Februar ’91 wurde prompt ein Memo des Studiochefs von Disney, Jeffrey Katzenberg, publik, in dem er seine Mannschaft warnte: ‚Wie Lemminge rasen wir immer schneller ins Meer, weil wir versuchen, den anderen zu übertrumpfen und zu überbieten im Rennen um die Illusion, den nächsten Blockbuster zu produzieren.‘ Zurück zu den Ursprüngen, hieß seine Losung: Ideen statt Geld. Katzenbergs Schlüsse waren zweifellos richtig, sein Pech war nur, daß Disney gerade ROCKETEER und BILLYBATHGATE machte, die jeweils 42 Millionen kosteten und diese Summe nicht annähernd wieder einspielten. Es gibt wohl einen Willen, aber keinen Weg zurück.

Studios sind wie Supertanker. Eine Umkehr dieser schwerfälligen Konstruktionen wäre so schwierig wie die Kehrtwende eines dieser Riesenschiffe. Zumal sie Filme nicht mehr nur für die heimischen Kinokassen, die vor zehn Jahren noch 80 Prozent des Gewinns ausmachten, herstellen, sondern auch noch an das Videogewerbe, die ausländischen Märkte und das Lizenzgeschäft denken müssen. Heute macht das Kinogeschäft in den USA gerade noch ein Viertel des Gesamtumsatzes aus.

Dazu kommt, daß Anwälte, Manager und Agenten, die keinerlei Interesse daran haben, die Preise zu drücken, mittlerweile eine zentrale Rolle spielen. Wie groß der Einfluß vor allem der Agenten geworden ist, sieht man vielleicht am besten daran, daß in der jährlich in der Filmzeitschrift Premiere veröffentlichten Liste der 100 mächtigsten Leute Hollywoods seit zwei Jahren Michael Ovitz vor jedem Studiochef an der Spitze steht, weil dessen Creative Artists Agency (CAA) wirklich fast alles vertritt, was Rang und Namen hat. Heutzutage einen Vertrag mit einem Star abzuschließen, schrieb das Branchenblatt Variety, gleiche dem Versuch, zwei multinationale Unternehmen zu fusionieren.

Die durchschnittlichen Produktionskosten eines Films liegen mittlerweile bei 23,6 Millionen Dollar, die zusätzlichen Werbekosten bei knapp 12 Millionen. Durchschnittlich. Das heißt nicht, daß für die Werbung nicht mitunter mehr gezahlt wird als für die Herstellung desselben Films. Batman setzte in dieser Hinsicht Maßstäbe, die kaum einer erreichen kann. Trotzdem versuchen es alle. Es ist dabei durchaus bekannt, daß manche Filme – Variety nennt als Beispiel Herr der Gezeiten – auch mit weniger Anzeigen auskämen. Aber das Risiko will keiner eingehen. Zumal der Erfolg den Werbeabteilungen immer Recht gibt, während sie im Falle eines Flops darauf verweisen können, daß alles versucht wurde. Außerdem halten großformatige Anzeigen die Stars dem Studio gewogen: Geld spielt keine Rolle.

Es darf schon deswegen keine Rolle spielen, weil man den Erfolg um jeden Preis braucht. Bei der durchschnittlichen Überlebensdauer an der Spitze der Studios liegt das auf der Hand. Columbia verbrauchte in sieben Jahren fünf Präsidenten, die Fox vier. Von langer Hand kann da nicht geplant werden; schnelle Erfolge müssen her. Deshalb wird um jeden Schimmer von Talent gefeilscht. 1990 setzte man plötzlich alles auf die Autoren und bot panikartig jede Summe für ihre Drehbücher. Am Ende der von Agenten geschickt angefachten Preistreiberei hatten mehr als ein Dutzend Scripts die Millionen-Dollar-Grenze durchbrochen. Das Filmemachen ist inzwischen zur Rekordjagd ausgeartet.

‚Homerun‘-Denken hat das Katzenberg genannt. Das bezeichnet beim Baseball einen Schlag mit voller Wucht, bei dem wenig Kontrolle möglich ist. Wenn man voll trifft, macht man seinen Punkt sofort. Weil das aber nur selten passiert, riskiert man in der Regel ein Aus. Ein gezielter Schlag ins Feld bringt da meistens mehr.

Aber daran ist in der Liga, in der Hollywood spielt, überhaupt nicht zu denken. Früher startete man Filme mit 300 Kopien, heute sind es 1500 bis 2000. Der Werbeaufwand ist entsprechend um ein Vielfaches höher. Denn bei der Konkurrenz auf dem Markt braucht man ein starkes erstes Wochenende, um im Rennen zu bleiben. Daß ein Film ‚legs‘ bekommt, also durch Mundpropaganda langsam aber stetig wächst, kommt dabei immer seltener vor. Was wiederum dazu führt, daß die Attraktionen von Film zu Film immer größer werden müssen, um möglichst schnell ihre Anziehungskraft zu entfalten. Es muß einem sozusagen Hören und Sehen vergehen.

Große Namen sind deshalb wichtiger denn je. Denn ihre Zugkraft zeigt schneller Wirkung als alle anderen Attraktionen eines Films. Die Stars wissen das, und ihre Agenten wissen es noch besser. Schwarzenegger hat zuletzt einen 14 Millionen Dollar teuren Jet verlangt, Michael Douglas und Eddie Murphy bekamen für ihre neuen Filme gar 15 Millionen. Und Bruce Willis, der für Last Boy Scout ebenfalls 14 Millionen einstrich, obwohl er mit HUDSON HAWK und BILLY BATHGATE gerade zwei Flops hinter sich hatte, machte in einem Interview mit der Los Angeles Times allen Ernstes die Gewerkschaften für die Kostenexplosion verantwortlich.

Mittlerweile weiß man natürlich auch in Hollywood, daß die Stars überbezahlt sind, und hat in den Branchenblättern beteuert, daß besonders im mittleren Bereich empfindliche Kürzungen zu spüren sein werden. Es wurden dabei als Beispiele Kurt Russell und Nick Nolte genannt. Aber letzterer hat gerade in zwei Hits mitgespielt und darf also erst einmal mit eher höheren Gagen rechnen. In Hollywood gehört ein schlechtes Gedächtnis zu den ersten Tugenden.
1991 gab es empfindliche Einbußen. Und gerade als man allerorten über die Rezession nachdachte, verscheuchte das erfolgreichste Weihnachtswochenende aller Zeiten die bösen Gedanken. Nur bedeuten die guten Ergebnisse noch lange keine Gewinne. Steven Spielbergs Hook, der nun auch bei uns gestartet ist, zeigt dabei am anschaulichsten, daß die Sache einen Haken hat.

Etwas unter 120 Millionen Dollar hat der Film in Amerika eingespielt. Ein Hit also, aber dennoch eine Enttäuschung. Denn die Produktionskosten lagen bei mindestens 70 Millionen. Aber dieses Verhältnis ist nicht so interessant wie die Frage, wieviel der Film hätte einspielen müssen, um auf seine Kosten zu kommen. Die Antwort lautet: 400 Millionen Dollar. 40 Prozent davon bleiben bei den Kinos, mit weiteren 40 sind der Regisseur und seine Stars Robin Williams, Dustin Hoffmann und Julia Roberts beteiligt, und etwa 80 Millionen müßten bei diesen Einnahmen für die Werbung ausgegeben werden.
400 Millionen hat übrigens erst ein Film in der Geschichte des Kinos erzielt, und das war E.T. Vermutlich wird HOOK sein Geld durch weltweites Einspiel, Video, Kabel und andere Lizenzen wert sein, aber er wird dann das Kostenkarussell weiter beschleunigt haben. Und mittlerweile dreht es sich immerhin schon so schnell, daß nicht einmal mehr Erfolge einen Platz darauf garantieren.

Die Zukunft hat bereits begonnen, die Japaner sind schon längst da. MCA/Universal gehört Matsushita, Columbia ist Teil der Sony Pictures Entertainment, und Time-Warner hat gerade ein Achtel an Toshiba und C. Itoh verkauft. Und für diese Elektronik-Giganten ist das Kino ohnehn nur die Software, mit der sie ihre Hardware füttern.

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