30. März 1992 | Süddeutsche Zeitung | Bericht, Oscars | Academy Awards 1992 (2)

Die schöne Kunst des Mordens

Vorschau auf die 64. Oscar-Verleihung

Verbrechen zahlt sich aus: Ein Kannibale, ein Psychopath und ein Gangster liegen im Rennen um den Oscar für den besten Schauspieler. Anthony Hopkins, Robert DeNiro und Warren Beatty dürften jedoch gegen Nick Nolte kaum Chancen haben. Aber Tom Cruise wurde vor zwei Jahren auch so lange als als Favorit gehandelt, bis er gegen Daniel Day Lewis verlor. Man kann sich eben nie sicher sein. Und dieses Jahr noch weniger als sonst.

Im Unterschied zum letzten Jahr, wo alles für Der mit dem Wolf tanzt sprach, gibt es bei der Verleihung, die heute Nacht in Los Angeles stattfindet, keine Favoriten. Im Gegenteil, die fünf Kandidaten für den besten Film haben alle ein Handicap. Bugsy, der mit zehn Nominierungen das Feld anführt, hat erst 47 Millionen Dollar eingespielt und macht wenig Anstalten nochmal zuzulegen. Das Schweigen der Lämmer wurde bereits Anfang letzten Jahres gestartet, was bei dem schlechten Gedächtnis der knapp 5 000 Stimmberechtigten immer ein Nachteil ist. Zuletzt hat 1977 Der Stadtneurotiker trotz eines Frühstarts gewonnen.

JFK läuft zwar besser, aber die Kontroverse dürfte dem Film bei der notorisch harmoniesüchtigen Academy nicht unbedingt geholfen haben. Der Herr der Gezeiten dürfte darunter leiden, daß Barbra Streisand weder als Regisseurin noch als Schauspielerin berücksichtigt wurde. Was daran liegt, daß über alle Nominierungen – außer der für den besten Film – von den einzelnen Berufsgruppen abgestimmt wird, während die endgültige Entscheidung von allen Mitgliedern gefällt wird. Erst zweimal gewann ein Film, dessen Regisseur nicht einmal nominiert worden war: 1932 Grand Hotel und 1989 Miss Daisy und ihr Chauffeur.

Bleibt noch der neueste Disney-Zeichentrickfilm Die Schöne und das Biest, für den alles spricht, außer daß keine Schauspieler dabei sind. Und das dürfte bei der Stimmgewalt der Schauspieler innerhalb der Academy ein großer Nachteil sein. Aber allein die Tatsache, daß zum ersten Mal überhaupt ein Zeichentrickfilm unter den fünf besten Filmen gelandet ist, läßt darauf schließen, daß 1991 nach Oscars Meinung kein besonders gutes Jahr gewesen sein kann.

Für die Regie wurden John Singleton für den schwarzen Film Boyz’N the Hood, Barry Levinson für Bugsy, Oliver Stone für JFK, Jonathan Demme für Das Schweigen der Lämmer und Ridley Scott für Thelma & Louise nominiert. Wenn man auf Bugsy als besten Film tippt, käme hier Oliver Stone in Frage. Die Tatsache, daß das sein dritter Regie-Oscar in sechs Jahren wäre, spricht nicht gegen ihn. Frank Capra uund John Ford haben das auch schon geschafft. Ob jemand schon oft oder noch nie gewonnen hat, spielt bei der Academy in der Regel keine Rolle. Geraldine Page, Peter O’Toole und Richard Burton waren sieben Mal, Thelma Ritter und Deborah Kerr sechs Mal nominiert, ohne zu gewinnen.

Natürlich hat der Oscar filmgeschichtlich kaum Bedeutung, natürlich gibt es Fehlentscheidungen zuhauf. Aber gerade das macht die Verleihung so spannend. Und so lukrativ. Gewinner können mit etwa 30 bis 50 Prozent Einnahmensteigerung rechnen. Was dazu geführt hat, daß in der letzten Ausgabe des Branchenblattes Variety jetzt laut darüber nachgedacht wird, ob man den Termin nicht zum Beispiel in den Herbst verlegen sollte. Die Oscarfilme müßten dann nicht mehr mit den in der Regel noch populäreren Weihnachtsfilmen konkurrieren. Das käme wiederum Cannes entgegen, wo man ebenfalls eine Verlegung diskutiert, weil den Franzosen durch den Termin im Mai alle Oscarfilme verloren gehen. Davon profitiert jetzt noch die Berlinale, weil dort zudem Filme, die im Ursprungsland schon in den Kinos liefen, zugelassen sind. So besehen ist der Bär auch nur ein Haustier von Oscar.

Variety zitiert einen Oscar-Gewinner: ‚Wir leben mit der Illusion, Hollywood sei das Zentrum der Welt. Wir sollten die Zeremonie nach Berlin verlegen. Oder noch besser nach Tokio, wo all unser Geld herkommt. Dann brauchen wir auch keine Statuen mehr zu vergeben, sondern können gleich Koffer voller Yen verteilen.‘
MICHAEL ALTHEN

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