Jenseits von Rangoon
Ein ganz und gar unbekanntes Filmland: Burma
Es heißt, dieser Mann sei der Laurence Olivier von Burma. Und er könne sich in seiner Heimat vor Fans und Autogrammjägern kaum retten. Hier in Berlin ist San Shwe Maung jedoch nur ein freundlicher Herr, der mit einem bescheidenen Lächeln Filme aus einem Land vorstellt, von dem die meisten nicht einmal wissen, wo es liegt. Geschweige denn, daß dort Filme gemacht werden. Die Welt mag sonst vielleicht immer kleiner werden, aber manche Dinge liegen eben immer noch Lichtjahre entfernt.
Das Internationale Forum hat nun drei Filme aus der 75jährigen Filmgeschichte des Landes zwischen Indien, China und Thailand ausgegraben: einen stummen Actionfilm mit Tigern und Elefanten, Heißluftballons und Teakholzräubern aus dem Jahre 1937, ein Melodram um eine Sängerin zwischen einem Komponisten und einem Soldaten von 1970 und ein Road-Movie um einen Arzt auf der Flucht von 1977. Wobei die Übergänge zwischen den Genres nach asiatischer Art fließend sind. Es wird überall gerne gesungen, gekämpft und vor allem geweint. Aber ansonsten besitzen die Filme einen enormen Reichtum, der über die Blüten im Haar der Damen weit hinausgeht.
Schon die Beschaffung der Kopien muß ein Abenteuer für sich gewesen sein. Das Filmmaterial und die Chemikalien sind so knapp in Burma, daß San Shwe Maung schon seine ganze Popularität in die Waagschale werfen und vor allem den Leuten im Kopierwerk über die Schulter schauen mußte, um diese kleine Reihe noch zu ermöglichen. Das Material sei so knapp in Burma, heißt es, daß von Filmresten zur Wiederverwertung die Farbschicht abgekratzt wird und Tonbänder mit der Rasierklinge halbiert werden, um die mageren Vorräte zu verdoppeln. Aber noch schlimmer ist natürlich die Zensur des SLORC, des ‚Staatsrates zur Wiederherstellung von Recht und Ordnung‘.
Wer noch nicht durch die Friedensnobelpreisträgerin Suu Kyi von Burma gehört hat, dem ist dieses Land vielleicht durch John Boormans kritischen Film BEYOND RANGOON geläufig, der letztes Jahr in unseren Kinos lief. Die Initiatorin der kleinen Forums-Reihe, Dorothee Wenner, berichtet, daß die von Thailand aus operierende studentische Guerilla einige hundert Videokopien des Films ins Land geschmuggelt habe, und daß die burmesische Regierung, als der Film in Hongkong ausgestrahlt wurde, durch Soldaten bei allen Besitzern einer Satellitenschüssel den Empfang verhindert habe. Daß in diesem Klima keine allzu interessanten Filme entstehen können, ist nicht verwunderlich.
San Shwe Maungs eigener Film NAY CHI PHYAR HMA NGWEE THWA GYAUNT, zu deutsch: WARM WIRD ES NUR, WENN DIE SONNE SCHEINT erzählt von den Problemen, mit denen der Vielvölkerstaat sonst noch zu kämpfen hat. Fünf Jahre lang hat er auf eigene Faust in der Kachin-Region im Norden, wo die schneebedeckten Ausläufer des Himalaya liegen, die Geschichte eines Arztes auf der Flucht inszeniert. In dem kaum erschlossenen Gebiet hatten sie, erzählt er, teilweise so mit dem Hunger zu kämpfen, daß sie kurz davor waren, streunende Hunde zu verspeisen. Zu Beginn des Films erklärt der Regisseur, hier sollten die Menschen aus der Tiefebene mit Gegenden ihres Landes vertraut gemacht werden, von denen die meisten noch nie gehört hätten. Dazu kommt, daß die nordburmesischen Völker im Zweiten Weltkrieg auf der Seite der Engländer gekämpft haben, die Niederbirmanen auf Seiten der Japaner.
Die britische Kolonialzeit ist der Hintergrund des Dokumentarfilms OUR BURMESE DAYS von Lindsey Merrison, deren Mutter und Onkel in Burma groß geworden sind, dies aber ein Leben lang verleugnet haben. Mit den beiden Geschwistern unternimmt die Regisseurin eine Reise in die Vergangenheit, an die Orte der Kindheit und Jugend, und die ganze Spannung rührt von der unterschiedlichen Art her, wie die beiden auf die Wiederbegegnung mit ihrer verschütteten Herkunft reagieren. Während der Onkel buchstäblich seine Identität wiederzufinden scheint, leugnet die Mutter hartnäckig jedes Interesse an ihren burmesischen Wurzeln.
Ganz beiläufig werden da Verbindungen zur Geschichte des Landes sichtbar, wenn sie dem einstigen Fluchtweg der Familie vor den Japanern folgen oder ein Bekannter in Erinnerung an die Repressionen, denen er als Mischling in der Armee ausgesetzt war, in Tränen ausbricht. So wird aus diesen burmesischen Tagen eine wunderbare Geschichte des Erinnerns, in einem Land, das aufs Vergessen setzt.