26. April 2001 | Süddeutsche Zeitung | Bericht, Weitere Festivals | Dokumentarfilmfestival München

Jedem Tierchen sein Pläsierchen

Die Spanner sind unter uns: Das 16. Internationale Dokumentarfilmfestival in München beschäftigt sich von Freitag an mit dem Tierfilm

Wenn man so will, dann ist der Tierfilm Kino in verschärfter Form. Zum einen sind wir als Zuschauer immer Voyeure, weil Lebewesen bei ihren täglichen – gerne auch sexuellen – Verrichtungen beobachtet werden, ohne dass diese davon etwas ahnen. Zum anderen hat man ohnehin den Eindruck, dass sich der Blick durch die Kamera in dem Fall nicht so sehr von der Perspektive des Jägers unterscheidet, der sich anschleicht, um seine Opfer ins Visier zu nehmen. Und zum dritten verdichtet sich im Tierfilm der dokumentarische Ansatz immer auf ganz natürliche Weise zur Fiktion – die Moral von der Geschichte lautet stets: „That‘s (wild) life!”

„Das Tier im Blick” heißt das Motto des 16.Münchner Dokumentarfilmfestivals, das den Spuren der Tierfilmer bis ins Jahr 1911 zurückfolgt. Das geht von frühen Naturbeobachtungen über die poetischen Phantasien Jean Painlevés zu den Heroen der Tiersendung, bis zu den Effekthaschereien im Stile von MIKROKOSMOS. Es ging ja immer schon darum, der Natur ihr ewig gleiches Lied vom Fressen und Gefressenwerden abzulauschen, aber in neuester Zeit stehen dafür technische Mittel zur Verfügung, die eine geradezu artifizielle Naturnähe erlauben, durch welche der Tierfilm vollends zu dem geworden ist, was er früher nur im Wortsinn war: Science Fiction. Da diese Wunderwerke der Tierfilmtechnik im Fernsehen omnipräsent sind, richtet sich der Blick des Festivals eher zurück, zu den Pionieren des wissenschaftlichen Spannertums.

In den Anfängen des Genres waren die Parallelen zum Jägertum noch offensichtlicher, weil die Aufnahmen von der Großwildjagd mindestens so sehr als Trophäe taugten wie die ausgestopften Tiere selbst. Wobei in den Werken von Alfred Machin (Montag 17.30 Uhr im Filmmuseum) neben der Freude, ein Nilpferd zu erlegen oder einen Affen zu fangen, auch schon erste kritische Töne anklingen, wenn er seine Silberreiherjagd auf einer Frau mit Hutschmuck enden lässt, die sich da mit fremden Federn schmückt.

Im selben Programm laufen Filme aus dem Nachlass des Vogelschützers Hermann Hähnle, in dem sich derselbe Silberreiherfilm mit diesmal deutschen Zwischentiteln findet – eine ähnliche Praxis hat auch das deutsche Tierfernsehen später gepflegt, indem es BBC-Produktionen gerne als eigene Forschungsarbeit ausgegeben hat.

Aber unser Leben wäre ohne Leute wie Bernhard Grzimek, Heinz Sielmann, Eugen Schuhmacher, Hans Hass oder Horst Stern natürlich ganz anders verlaufen. Wobei Letzterer mit seinen Bemerkungen über die Spinne, das Rind oder den Rothirsch Anfang der Siebziger einen ganz neuen Tonfall in den Tierfilm brachte: Mit der üblichen Beschaulichkeit hatte Stern nichts am Hut, denn er wollte nicht versöhnen, sondern alarmieren. Nicht der ewige Kreislauf der Natur wurde beschworen, sondern Kritik an unserem Umgang mit ihr geäußert. Hier ging es nicht um verlorene Paradiese, die durch Spenden zu retten gewesen wären, sondern um ein ganz anderes Verständnis, das ohne Vermenschlichung und Verniedlichung der Tiere auskommen musste. STERNS STUNDE war die reinste Spielverderberei. (Am 4.Mai um 13 Uhr und am 6.Maium 15 Uhr im Gasteig.)

Über dem reflexartigen Trancezustand, der einem bei Tiersendungen im Fernsehen sofort befällt, kann man leicht vergessen, dass Werke wie Hass’ ABENTEUER IM ROTEN MEER (Samstag 17.30 Uhr Filmmuseum), Grzimeks SERENGETI DARF NICHT STERBEN (Sonntag 19.30 Uhr) oder Sielmanns GALAPAGOS (Freitag 17 Uhr, Filmmuseum) auch als Filme für sich bestehen können. Es gibt allerdings einen Franzosen, der den Tierfilm auf eine ganz andere Ebene gehoben hat: Jean Painlevé, dessen Filme über Seepferdchen, Tintenfische, Mollusken, Seeigel, Garnelen oder Fledermäuse die reinsten Gedichte sind. So wie er es betrieben hat, ist der Tierfilm wirklich eine fröhliche Wissenschaft. (Programm 1 am Sonntag, Programm 2 am Mittwoch, beide 17.30 Uhr im Filmmuseum).

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